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Konzertkritik

Mark Padmore (Evangelist in Bachs Mathäus-Passion) war Inbegriff des liebenden Geliebten



Das ist Mark Padmore, der Evangelist aus Bachs Matthäus-Passion | Bildquelle: berliner-philharmoniker.de

[Doch zunächst die Bringepflicht wegen der zwei bereitgestellten Freikarten zum Gastspiel der EuropaChorAkademie: Sie weilte hier - Philharmonie Berlin, Kammermusiksaal - mit H-MOLL-MESSE von Bach; Chorgründer Joshard Daus tat die "im herkömmlichen Sinne", also in der Art so zwischen Otto Klemperer und Hellmuth Rilling, zelebrieren; und der Chor, ganz unabhängig davon, wie er nun genommen werden wollen würde, machte seine Sache ausgesprochen gut - ein wahres Pfund so zwischen Bremerhaff und Stuttgart'schem... Schön zu beobachten auch das Zusammenspiel und Zwischenlauschen von den beiden ausführenden Solo-Damen Talia Or (Sopran) sowie Fredrika Brillembourg (Alt). Sonst blieb nichts erheblich Sonderliches in der Nachbetrachtung hängen; allenthalben noch die sonnig klar vernehmbaren Klänge des Trompetenensembles Wolfgang Bauer. Und das Stuttgarter Kammerorchester wirkte brav und bleich. Das Werk, also an sich, bleibt dennoch unzerstörbar, wenn man's "fehlerfrei" dann spielte so wie hier...]
*


Mark Padmore wird sich rühmen können oder rühmen lassen müssen (!!), der vielleicht im derzeitigen Erdkreisweltenrund herzlieblichste Evangelist zu sein. Die Matthäus-Passion (und völlig wurscht, in was für aufführungspraktischen oder a-aufführungspraktischen Vorstellungsweisen sie, von wem auch immer, geboten werden würde) profitiert durch seine bloße Gegenwart so wie als würde eine buttermilchglimmernde Glühbirne in einem moderigen Weinkeller den Schleichweg zu den teuersten der Jahr um Jahr hier lagernden Trinkschätze richtungsweiserisch bezeichnen... Alles ist auf dieses Licht fixiert. Seine Gestalt - Mark's Körper wirkt sehr zart und schlank, und seine Gliedmaßen bewegt er sehr gelenkig - legt Erzähltes und Erzählbares, fast pantomimisch, frei. Von seinem Haupt - Mark's Schädel, bis zur Sichtbarwerdung seiner Kopfhaut, ist sehr kurz rasiert - strahlt eine "harte" Milde nieder, dass es einem unablässig und vor Wonne schauernd nur so friert. Und seine Stimme - Mark's Tenor ist textverständlich-lupenrein - zieht seinen Hörer in ein Zentrum, das man eigentlich in dieser Dimension so nicht beschreiben kann; nur so viel ist (also bei mir, also in meinem hörerischen/seherischen Fall) zu sagen: Wenn der Mittelpunkt der Erde sonstwo sein soll... wenn ich Padmore so erlebe, weiß ich also wo der Mittelpunkt der Erde stecken könnte!

Alle andern Mitwirkenden um Mark Padmore - wir besprechen hier nur einen der zu würdigenden Hauptaspekte einer an gefühlsgeladener Wahrhaftigkeit bestimmten Darbietung von den Berliner Philharmonikern (Sir Simon Rattle) mit dem Rundfunkchor Berlin (Simon Halsey) sowie weiteren Solisten (s.u.) - haben sichtlich "Not" und Lust, sich auf ihn einzustellen; er bestimmt den Weg, er ist das Ziel...

Kultregisseur Peter Sellars hatte sich (wie schon zuvor bei den zwei Darbietungen zu den Osterfestspielen in Salzburg), also fürn Scharounbau, ein paar Holzklötze und jede Menge interaktionale Spiele und Bewegungen einfallen lassen; Padmore stellte er dabei, und wie bereits gesagt, ins absolute Zentrum des Gesamtgeschehens. So rückt Magdalena Kožená, beispielsweise, diesem Jesus - und Mark Padmore stellt den Jesus freilich, und indem er permanent über ihn rezitiert, selbstredend in persona dar - mit Händen und mit Fäusten auf die Pelle, dass man hätte fürchten können, dass es gleichsam irgendwie dann zum Geschlechtsakt zwischen beiden kommt. Oder auch die Begegnung mit Thomas Quasthoff: Beide sehen und befingern sich, und ihre Zugeneigtheit scheint mit einem Mal so derart groß, dass Quasthoff den Padmore und dass Padmore den Quasthoff zärtlich küsst - einer der stärksten und bewegendsten Momente insgesamt und überhaupt!!

Belassen wir es bei dem Angedeuteten; es gäbe Hunderte, um nicht zu sagen Tausende Momente nachzuzeichnen, um nur annähernd, also versuchsweise, dem Außenstehenden das zu vermitteln, was ich Mittendrinverweilthabender zwischen 19 Uhr und Mitternacht (also noch lange während meiner Heimfahrt, und bis jetzt noch) so erlebte oder/und erleben durfte.

Ich sag' einfach Danke.



Andre Sokolowski - 12. April 2010
ID 4593
Bachs H-MOLL-MESSE (KMS Philharmonie Berlin, 02.04.2010)
Talia Or, Sopran
Fredrika Brillembourg, Alt
Carsten Süß, Tenor
Horst Lamnek, Bass
EuropaChorAkademie
Trompetenensemble Wolfgang Bauer
Stuttgarter Kammerorchester
Dirigent: Joshard Daus
http://www.europachorakademie.de

Bachs MATTHÄUS-PASSION (Philharmonie Berlin, 10.04.2010)
Camilla Tilling, Sopran
Magdalena Kožená, Mezzosopran
Topi Lehtipuu, Tenor (Arien)
Mark Padmore, Tenor (Evangelist)
Thomas Quasthoff, Bariton (Arien)
Christian Gerhaher, Bariton (Christus)
Rundfunkchor Berlin
(Choreinstudierung: Simon Halsey)
Knaben des Staats- und Domchors Berlin
(Choreinstudierung: Kai-Uwe Jirka)
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Sir Simon Rattle
Ritualisierung: Peter Sellars
http://www.berliner-philharmoniker.de



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