2 x Tristan
in Berlin
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Die Neuinszenierung des Tristan an der Deutschen Oper Berlin war vom Charlottenburger Publikum so rüd' wie selten ausgebuht worden. Und dabei hatte sie - im Gegensatz zu allen anderen bisherigen Premieren dieser Spielzeit - Aufsehenerregendes zu bieten... und zwar nicht bloß die zwei sehenswerten Nackedeis aus dem Statisterie-Ensemble.
Graham Vick, der sich modern und aktuell haltende Regisseur, ließ Wagners dreiteilige Handlung in 'ner Datsche irgendwo am Meer und jedesmal bei schlechtem Wetter spielen; Knackpunkt und Idee war, dass das Ganze dann hermetisch abgeriegelt war ("my home, my castle") und dass es sich bieder gab; aber von wegen "bieder", so dann auch nun wieder nicht, denn: In der Inszenierung trat ein Dutzend fescher Fensterputzer auf, das der Isolde, die sich vorher noch ihr Marke(n)-Brautkleid auseinanderfetzte, sexuelle Frühlingswünsche mittels maskuliner Schritt- und Ausschreitgesten körperlich bezeigte; und der etwas ratlos drein schauende Zuschauer konnte dann hochschließen, dass es wohl so oder so ähnlich irgendwo in Irland, Schottland oder der Bretagne zugeh'n könnte ... Auch vom Interieur her (Ausstattung: Paul Brown) könnte es "derzeitig" bei irgendeinem Iren, Schotten oder Westfranzosen mit und/oder ohne Anhang ausgesehen haben; und viel zusätzliches Personal - noch viel viel zusätzlicher halt als es die O-Story von Tristan und Isolde hergibt - tat sich hinter Zimmertüren aufhalten und hin und her und rein und raus begeben... Rätsel über Rätsel also; dennoch: Irgendwie schon sehenswert!
Petra Maria Schnitzer sang Isolde und ihr Gatte Peter Seiffert Tristan - das allein (= das Lebenspaar gibt Liebespaar) war eine schon seit Langem vorgeprägt gewesene Fügung des Schicksals - dass es nunmehr Donald Runnicles gelingen sollte, dieses "Paar in echt" als Hauptprotagonisten-Duo seiner Einstudierung live hierher zu kriegen, könnte der Chemie des Maestros zuzuschulden sein; ihm eilt ein menschelnd-positiver Ruf voraus... / Seiffert, der insbesondere im Dritten Akt zur Höchstform auflief, war dann auch ein großartiger Schauspieler; und es bleibt unvergesseen, wie er (zwischen II und III hat Vick 'nen Zeitsprung von Jahrzehnten inszeniert) einen an seiner Liebeskrankheit nach und nach gealterten und außerdem an Parkinson leidenden Mann so um die 60 mimte. // Und auch Schnitzer, wie sie ihn nach dieser langen Zeit dann wieder traf, wirkte doch psychisch gänzlich aus dem Ruder, und sie kehrte als gebroch'ne alte Frau zurück; ihr Liebestod: eine Verheißung an die Ewigkeit - ich kriege nachträglich noch Gänsehaut...
* * *
Dass Daniel Barenboim (der in dem Benefizkonzert zugunsten der Sanierung der Berliner Lindenoper "nur" als Pianist des 3. Beethoven-Klavierkonzertes zu erleben war) Sir Simon Rattle immerhin den ganzen Zweiten Aufzug aus dem Tristan dirigieren ließ, ihm also sozusgen unter Preisgabe eines Tabus (denn Tristan war seit eh und je "nur" Chefsache) die Staatskapelle hiermit überantwortete, darf dann schon als höchst bemerkenswert an dieser Stelle aufnotiert sein:
Das Orchester war und ist mit dieser Partitur vertraut so wie kein zweites (in Berlin); und Rattle konnte, wie er wollte, aus ihm holen was er aus ihm rauszuholen augenblicklich dachte, dass es wichtig für sie beide, also es und ihn, dann sei - ja, für die Musiker im Grunde kein Problem... Der Streicherklang (!) entfaltete sich warm und satt, die Bläser tönten weich und auf den Punkt präzise (Fernorchester mit den Hörnern!!); wirkungsvolle Lautstärkezurücknahmen ("O sink hernieder...") und/oder detailversessene Herausarbeitungen von Einzelstimmen!!!
Storey & Urmana hielten ihre Paar-Verpflichtung ein; der Eine (Einspringer für den erkrankten Smith) stand's ingesamt gut durch, die Andere bewies Solidität; dass sie sich dann - vor/während des "Duetts" - nicht einmal gegenseitig anschauten, verwunderte doch außerordentlich. / Den stärksten Eindruck hinterließ dann zweifelsohne Selig mit der elend langen König-Marke-Klage; seine Textverständlichkeit war fulminant.
Enthobene Begeisterung.
Andre Sokolowski - 16. März 2011 ID 5106
TRISTAN UND ISOLDE (Premiere an der Deutschen Oper Berlin, 13.03.2011)
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Inszenierung: Graham Vick
Ausstattung: Paul Brown
Mit: Peter Seiffert (Tristan), Kristinn Sigmundsson (Köng Marke), Petra Maria Schnitzer (Isolde), Eike Wilm Schulte (Kurwenal), Jörg Schörner (Melot), Jane Irwin (Brangäne), Peter Maus (Ein Hirt), Paul Kaufmann (Seemann) und Krzysztof Szumanski (Steuermann)
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Weitere Termine: 17., 22., 26., 30. 3. / 3. 4. 2011
http://www.deutscheoperberlin.de
STAATSKAPELLE BERLIN (Benefizkonzert in der Philharmonie Berlin, 15.03.2011)
Beethoven: 3. Klavierkonzert
Wagner: 2. Akt aus Tristan und Isolde
Daniel Barenboim (Klavier)
Violeta Urmana (Sopran)
Lioba Braun (Mezzosopran)
Ian Storey (Tenor)
Franz Josef Selig (Bass)
Reiner Goldberg (Tenor)
Hanno Müller-Brachmann (Bassbariton)
Staatskapelle Berlin
Dirigent: Sir Simon Rattle
http://www.staatskapelle-berlin.de
http://www.andre-sokolowski.de
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