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nachDRUCK # 5

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Prosa

Die Erotik des

Lautenschlägers

Assoziationen während eines Doppelkonzerts mit dem Freiburger Barockorchester und dem Orchestra of the Age of Enlightenment

Er schien groß und von athletischer Statur. Sein dunkles Haar war dicht und voll. Zwei satte Strähnen fielen ihm mitunter ins Gesicht; sie mittels stakkativer Kopfbewegungen vor seinen Augen zu entfernen mühte er sich zwar gelegentlich, aber die Eitelkeit in ihm war überhaupt nicht unversucht, er wusste längst, wie sexy ihm das stand. Das Auffälligste an ihm waren allerdings die schwarzen Lackschuhe. Und wurde man nicht erst durch sie seines verunruhigenden Beingefühls für rhythmische Hinzugestelltheiten des Körpers auf die Füße generell gewahr. Es zappelten, es zuckten ihm zudem die Kniee.

Er war in der Mitte vorn platziert. Seine Kollegen saßen neben, hinter ihm. Allein die beiden Pulte für die Ersten Geigen rechts und links (es waren zwei Orchester aufgeboten, die als eins zusammen musizierten, und das Doppelgastspiel sollte mit der Feuerwerksmusik von Händel seine Krönung finden) waren allenthalben eine Handbreit weiter vor, sodass er sie als einzige von vorne sah. Er schlug die Laute; und da sie, für jeden hörbar, in dem Rund als leisestes der Instrumente galt, war es wohl richtig, dass er so weit vorne saß. Man musizierte ohne Dirigenten. Takt und Taktvorgabe sollten je vom Pult der Ersten Geige ausgehen; und die Konzertmeister der zwei Orchester (Gottfried Gönneweyn & Rachel Roderich) hielten das Heft nur allzu bravourös in ihren Händen, was für‘n Idealgleichklang! und mittenmang wie‘n Pfeil zielender Amor, er - der Lautenschläger.
Hin und her wechselte seine hals- und mundgemahnte Zugerichtetheit. Gingen die musikalischen Impulse fürs Orchester von der linken Ersten Geige aus, benickte und belächelte er Gottfried Gönneweyn - wechselte alles das dann auf die rechte Erste Geige, wurde Rachel Roderich auf das Verführerischste angenickt und angelächelt. Es ging hin und her. Am Ende war sich keiner, der das Alles sah, mehr sicher, wem nun eigentlich das Herz des Lautenschlägers zugeeicht gewesen war.
*

Der Lautenschläger strahlte, dass es eine Wonne war. Er ließ nicht eine Geste aus, um seinen ganzen Charme nach außen hin zu demonstrieren; es beflügelte die anderen bei ihrem Spiel. Er war der Gute-Laune-Motor des Orchesters, und sein ganzer Liebreiz schien dem freundlichsten Gelingen dieses Abends anheimelnder Weise zugedient zu sein. Wie er‘s bloß anstellte, dass es aus ihm so ungeheuer sprühte - - dass sich Gabi Dorlewitz sofort an ihm verlor, und selbst dem Unbeteiligtsten in ihrer Nähe wäre das, auch zuen Auges, aufgefallen. Ja, es war wohl mehr als Rührung, und es trieb ihr völlig unverhofft die Tränen in die Augen, und sie setzte mutig ihre Sonnenbrille ab. Sie wollte auf der Stelle, dass er ihre Fühlung sah, und also sah sie ihn mit zudringlichem Wimpernaufschlag an als würde sie ihm ihr „Schau her! jetzt schau doch auch mal her zu mir!“ entgegenklimpern; aber nichts, rein gar nichts, nicht einmal auf halber Strecke ihrer zweiseitig begrenzten Blickdiagonale, kam von ihm auf sie zurück. Das irritierte Gabi, denn er schien ihr doch so nah, sie saß ja in der ersten Reihe mittig vorn, direkt vor ihm.

Die Eintrittskarte hatte sie von A. gekriegt. Er schreibt Konzertkritiken für die Zeitung; und er hatte eine zweite Karte, die er nicht verfallen lassen wollte, frei. Die beiden wohnen in dem gleichen Haus. Auch war es für ihn günstig, dass sie ihn in ihrem Wagen zum Konzerthaus mitgenommen hatte, denn sie wohnen ziemlich außerhalb der Stadt. Sie würde auch sehr gern mit ihm nach dem Konzert wieder zurück fahren, vielleicht auf eine Flasche Wein, erklärte sie.
Der Saal war ausverkauft, die Leute warn in Superstimmung; das Orchester spielte schon im ersten Teil so wunderbar und göttlich, dass das Publikum nicht in die Pause gehen wollte, und jetzt freute es sich umso mehr auf Händels Feuerwerksmusik, dem eigentlichen Highlight dieses Abends.

Alle spielten sie noch wunderbarer und noch göttlicher als wie zuvor erlebt; und unserm Lautenschläger, der nicht müde wurde seine ungehemmten Enthusiasmen amorpfeiliger als amorpfeilig sowohl Rachel, seiner rechten Ersten Geige, als auch Gottfried, seiner linken Ersten Geige, aufzubürden, war der beinquirlige Schlusseinsatz mit seinem Instrument so was wie‘n Huldruf auf die immergrüne Liebelei. Die Leute nahmen es bereitwillig zur Kenntnis.

Gabi warf ihm, noch bevor der Schlussapplaus verebbte, ein Kuvert vor seine Füße; es fiel außer ihm auch keinem weiter auf. Er bückte sich danach, er drehte das Papier; es war kein Absender zu lesen. Und der Lautenschläger steckte es sich in den Frack.

Nach einer Viertelstunde lichtete sich das Parkett.


* *

A. wartete auf Gabi. Er stand draußen, lehnte sich an ihr Gefährt. Die Zeit verging. Er sah sie plötzlich aus der Richtung Bühneneingang kommen. Sie nahm Kurs auf ihren Wagen, bat ihn wortlos einzusteigen und fuhr los.

Zu Hause angelangt, entriegelte sie ihm die Wagentür, und er bedankte sich bei ihr. Sie hatte es nicht mehr gehört, gab Gas.

Wie er die Haustreppe nach oben stieg, vernahm er einen mörderischen Knall, der Boden schwankte, und er hielt sich fest. Ein roter Feuerschein drang durch das Fenster auf das Treppenhausgeländer. Es war klar.

Er würde ihrem Mann, der seit paar Wochen dienstlich unterwegs gewesen wäre, wie sie auf der Hinfahrt zu ihm sagte, irgendwie Bescheid geben; er wusste noch nicht wie.

Den Dorlewitzens ging es doch nicht übel oder? Dies heraus zu finden war gewiss die Aufgabe der Polizei. Freilich, man müsste sich auf Fragen einzustellen haben. Wird man sehen.


Andre Sokolowski - 6. Mai 2007
ID 3189

Konzerthaus Berlin | 30. April 2007
Corelli: Concerto grosso D-Dur op. 6 Nr. 1
Purcell: Orchestersuite mit eingelegten Fantasias
Zelenka: Ouvertüre à 7 concertanti F-Dur ZWV 188
Händel: Musik for the Royal Fireworks HWV 351
Freiburger Barockorchester
Dirigent: Gottfried von der Goltz
Orchestra of the Age of Enlightenment
Dirigentin: Rachel Podger

Weitere Infos siehe auch: http://www.konzerthaus.de


http://www.andre-sokolowski.de



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