DIE HORNISTEN DER BERLINER PHILHARMONIKER
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Gurken, Gaudi & Geschwister
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[Ihre CD heißt Opera! - ich gebe das sogleich zu Protokoll, bevor ich es vergesse.] *
Musiker sind launig, lustig und sehr lieb. Das Letztere, also das Liebsein, ist die inhärente Logik ihrer Wesensart an sich; und wenn es anders wäre (Gegenteil von Liebsein wäre Bössein) könnten oder würden sie nicht musizieren. Also gibt es keinen Grund, sie spaßenshalber nicht mal zu besuchen - dachte ich, der ich nicht menschenunscheu bin; und alles Dieses hatte selbstverständlich eine kleine Vorgeschichte... denn auf einen Kurztext hin bekam ich nachstehend die
E-Mail hier:
"Sehr geehrter Herr Sokolowski, im Namen der Horngruppe möchte ich mich bei Ihnen für die sehr netten (und aufmunternden!) Wörter in Ihrem Artikel bedanken. Wir haben uns wirklich gefreut, dass unsere Horngruppe Ihnen positiv aufgefallen ist.
Wir würden Sie darauf hin herzlich zu unserem Hornabend im Kammermusiksaal am 8.12.08 einladen. Falls Sie Zeit und Lust hätten, könnten wir für Sie 2 Karten organisieren und wir würden gerne danach mit Ihnen ein Bier hinter der Bühne trinken. Viele Grüße von der ganzen Gruppe und hoffentlich bis bald, Sarah Willis"
Fand ich geil.
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Foto:/ Andreas Knapp
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Und so verabredete ich mich mit den Hornsolisten der Berliner Philharmoniker zu ihrer samstäglichen Probe; und ich teilte ihnen vorher mit, dass ich vielleicht so was wie ein Porträt von ihnen machen würde, auch als Gegen-Geste für die nette Einladung.
Doch wie beginnen?
Mit dem initialen Erstmoment unsrer Begegnung: Also schneite ich - ich war ja froh, dann überhaupt den Weg zu ihnen durch das Treppenlabyrinth des KMS gefunden zu haben - mitten ins Probieren rein. Sie waren grade mit dem Stückidyll für Flöte und vier Hörner fertig; der gastierende Flötist Michael Hasel war schon weg; der Komponist Benedict Mason hatte zwischenzeitlich seinen Arbeitstisch mit Laptop, Notenblättern, Zetteln, Absperrband und einem Bleistift nebst Notizblock vollbepackt; Christoph (der Tontechniker) machte sich bereit, die anwesenden Musiker mit kompliziertem Hightech zu verkabeln... aber dazu später.
Sarah hatte mich sofort mit ihrem Blick erfasst und stellte mich ganz kurz den andern vor; ich lehnte mich über die Brüstung, gab dem Einen und dem Anderen die Hand; und Sarah dirigierte mich zu sich aufs Podium, und über das Podium - dieses "kleine" Podium der Berliner Philharmoniker ("klein", weil es "nur" das Podiumchen des KMS ist) - schritt ich ihr und allen anderen in die Kantine nach... und Sarah Willis, Stefan Dohr und Stefan de Leval Jezierski plauderten etwas mit mir während des Gurkenscheibchenweglegens von ihren Imbisstellern:
"Gurken ruinieren das Konzert." - "Denn jede Gurke, die man isst, das heißt, man spielt eine." - "Deswegen isst man keine." - "Das ist unser Schicksal."
"Gurken", muss man wissen, ist das innerbetriebliche Synonym für "Kiekser" (auch ein innerbetriebliches Synonym). Verstanden? nein?? Egal auch.
Stefan de Leval Jezierski ist am längsten in der Gruppe, und er hatte noch das legendäre Gastspiel der Berliner Philharmoniker in Dresden, Jahre und Jahrzehnte vor der Wende, mitgemacht; ich sprach ihn darauf an. Es hatte sich in meinem kindlichen Bewusstsein derart eingeprägt, weil es für mich (ich bin ein DDR-Kind) ein herausragender Höhepunkt der damaligen Zeit links/rechts der Mauer war; ja und ich hatte zwar, wie Tausende mit mir, am Ende doch dann keine Karte für das Gastspiel anlässlich der 1. Dresdner Musikfestspiele kriegen können; doch es war halt da. Das heißt, s i e waren da und hier: die Berliner Philharmoniker; und Karajan sagte in einem Interview mit Radio DDR, dass die Berliner Philharmoniker so ziemlich Alles spielen könnten, und sie könnten das auch alles ohne einen Dirigenten spielen... klang nicht schlecht.
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So wie die Gruppe der Hornisten jetzt zusammen ist, hatte sie sich (in zeitlich rückwirkender Reihenfolge) eingefunden: Stefan de Leval Jezierski, Klaus Wallendorf, Fergus McWilliam, Stefan Dohr und Georg Schreckenberger (sie kamen beide gleichzeitig hinzu), Sarah Willis und (als "Neuester" im Bunde) Radek Baborek; die achte Stelle ist z.Z. vakant.
Ich frage, wie das mit der jeweiligen Auswahl neuer Musiker in das Orchester, was bekanntlich nicht nur als das beste, sondern auch das demokratischste Orchester weltweit gilt, bestellt ist; ihre Antwort lautete: Dass das Orchester regelmäßig Hunderte Bewerbungen erhält, und die Bewerber würden auf ihre Befähigungen hin gehört, geprüft; und neben ihren Musiziertalenten (diese freilich Grundvoraussetzungen) müssten sie vor allem nervenstark, stress-resistent sein. Das Belastungspensum der Orchestermusiker ist groß. Man darf sie sich nicht nur als ein Organ von singulären Weltstars denken, nein, sie wirken auch als Hochschullehrer, Gastsolisten, Kammermusiker... und dann die vielen Reisen; wie das alles "nagt" und "nervt"; ja und so könnte, beispielsweise, jeder in der jeweiligen Instrumentengruppe seinen Mitstreiter, wenn dieser beispielsweise (krankheitshalber) ausfiele, sofort ersetzen; Einer ist dann auf den Andern sozusagen eingespielt; es funktioniert als Selbstlauf. Also muss derjenige, der neu hinzustößt, passen wie in einem Puzzle. Doch nicht etwa nur die Instrumentengruppe, wo der "Neuzgang" erwartet werden würde, hat über den "Neuzugang" letztredend zu befinden, nein - denn Alle im Orchester stimmen über jeweilige "Neuzugänge" ab. Und manchmal können die Entscheidungen auch dauern. (Nicht viel anders - um das nebenbei noch einmal in Erinnerung zu bringen - läuft es bei der Dirigentenwahl der jeweiligen Chefs; nein, das Orchester lässt sich keinen Chef von außen her bestimmen, es befindet selbst, per Abstimmung, wer Chef von ihnen werden darf; bei Simon Rattle stimmte halt dann alles überein, so wie sich "außenstehend" denken ließe.)
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Timo Steininger ist - nicht erst diesmal - Gasthornist bei den Berliner Philharmonikern. Er spielt gleich "nebenan" im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt, also ist angestellter Hornsolist im dortigen Konzerthausorchester; vielleicht erfüllte sich für ihn demnächst ein Traum, und er bekommt diese vakante Stelle, niemand weiß das vorher so genau - - und Sarah meinte nur, als ich sie darauf ansprach, Timo wäre noch so jung; und also ließen sie ihn öfter schon bei sich gastieren, dass sie rausfänden, ob Timo wirklich "richtig" in die Gruppe passte; ja, die Auswahl hat schon was Brutales, und obgleich sie höchstwahrscheinlich überall, wo Spitzenleistungen gefragt oder erwartet werden, so oder so ähnlich praktiziert wird/werden muss.
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Wir sind zurück im KMS; und jetzt wird Mason's IGLOO INCLINES ISOGRAMS geprobt. Es ist ein Auftragswerk der Stiftung der Berliner Philharmoniker; ja und das einzige "Problem" besteht darin, dass die Hornisten ihre Noten viel zu spät bekommen hatten, und die Zeit (zum Üben auch) bis zu der Uraufführung in zwei Tagen, Montagabend also, reichlich knapp bemessen wäre. Aber - kein Problem dann wiederum, denn: Was sie schwarz auf weiß dahingeschrieben kriegen, spielen sie dann auch so wie es halt geschrieben steht; sonst würde man sie nicht die 8 Hornisten der Berliner Philharmoniker bezeichnen, oder etwa nicht?!
Fergus McWilliam, der mit mir einen Espresso trank (bei ihm nahm Sarah Willis, die erst später zu der Horngruppe hinzu stieß, Unterricht), erklärte mir noch, wie das mit der zeitgenössischen Musik so über all die Jahre und Jahrzehnte funktionierte; und die schlimmsten Zeiten - also in der Vor-Stockhausen-Ära oder so - , wo dann Klaviere auf der offnen Bühne kurz und klein geschlagen worden waren (hab ich irgendwo dann mal gelesen), wären freilich längst Legende, dachte ich bei mir - - wir mussten wieder los; die Pause war vorbei.
Der Komponist Benedict Mason hat für die Hornisten der Berliner Philharmoniker ein Auftragswerk geschrieben, es heißt IGLOOS INCLINES ISOGRAMS und wurde am 8. Dezember 2008 im Kammermusiksaal uraufgeführt.
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Der Komponist Benedict Mason hat sich etwas ganz besonders An- und Aufregendes ausgedacht. Er komponierte nicht nur Noten, sondern er verzeichnete in seiner Partitur auch alle Richtungen und Standpunkte, wolang/wohin sich die Hornisten in dem Saal bewegen müssen. Choreografisch also. Das ist freilich etwas ungewöhnlich, und es sprengt auch irgendwie den Rahmen einer vorgeprägten Interpretationsgewohnheit. Doch, man merkt es ihnen an, wie "distanziert" sie diesem Neuen gegenübertreten. Es hat freilich nichts mit mangelndem Respekt vor einer Neuschöpfung zu tun. Sie finden nur nicht gleich den rechten Zugang zu der neuerlichen Angelegenheit; und Mason macht es ihnen dahingehend auch nicht leicht, indem er - selbst so eine Art von Abziehbild des Spitzweg'igen "armen Schöpfers" (heißt natürlich völlig anders); allerdings mit einer so noch nie in life erlebten Segnungsweise unhumorigsten Verhaltens - dieses Alles so sehr ernst, als wenn es gelten würde, die Titanic doch noch heil um jenen Eisberg rum zu schiffen, nimmt; nun gut. Die gute Laune jedenfalls war ungetrübt.
So kann man sie dann, choreografisch einwandfrei (weil: über Kopfhörer erhalten sie die jeweilige Marschroute vom Tontechniker oder irgend einem andern Unsichtbaren mitgeteilt; es ist wie bei der Fuchsjagd, und die spielt im Wald, und also schließt sich unser Themenkreis zum Wald-Horn wunderbar) über das Stück hinweg, im ganzen Saal und außerhalb von ihm, nach rechts und links, nach unten und nach oben, und nach vorn und wiederum zurück, und hin und her, und her und hin... mit ihren Instrumenten schwirren, stoppen, schlendern, stolpern (so als Gag nur, wie von Georg Schreckenberger pantomimisch kurz manifestiert, also unter der Einbeziehung der Gefahr, das man mit seinem Instrument so plötzlich, zwei statt eine Treppenstufe nehmend, auf die Schnauze fiele) sehen. Macht schon einen Heidenspaß, dem Ganzen beizuwohnen. Ihnen quasi zuzufiebern, dass ihnen nur bloß beim Schwirren, Stoppen, Schlendern, Stolpern nichts passiert.
Plötzlich bimmelt das feuerrote Handy Radek Baboraks, die Mutter ist am Apparat; und wenn die Mutter anruft, hat die Kunst halt erst mal Pause, Recht so! Radek scheint der Erzkomiker in der Gruppe, er macht Faxen vor und hinter allen Rücken, und er gähnt so herrlich ungeniert, wie ich noch keinen Menschen vormals gähnen sah (den Musikern liegt immer noch die Zeitumstellung in den Knochen; vor zwei Tagen waren sie erst aus Fernost zurückgekehrt); auf jeden Fall beeindrucken ihn diese sportlichen Aktivitäten während der bevorstehenden Uraufführung nur insofern, dass er - wie ein Braunbär durch den Böhmerwald vor-/rückwärts tapsend - seinem Waldhorn einen möglichst guten Halt dabei vergönnt.
Dem Kapitän der ganzen Chose, Stefan Dohr, "gehorchen" alle wie aufs Wort. Er ist die unbedingte Schlüsselfigur dieser Unternehmung (Uraufführung); Dohr kennt Mason auch persönlich etwas näher als die anderen; er muss und kann vermitteln, und so überzeugt er permanent durch kenntnisreiches Dirigieren seiner Gruppe; und sein Vor-Wissen (um dieses neue Werk) und seine mutmachenden, nicht nur dirigistischen Erläuterungen, stecken alle andern an. Ich sagte ihnen hinterher, nach einer zweiten Durchlaufprobe, dass ich eine Ahnung davon hätte, dass das Werk beim Publikum gut ankäme, auf jeden Fall kämen sie gut, und jedenfalls zu mir, herüber: optisch sowieso, und musikalisch obendrein!!!
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Wen hatte ich noch nicht erwähnt?
Klaus Wallenorf! (Ist Thüringer, und seine "ganze Sippe" stammt genau dann aus derselben Gegend, Nähe Ilmenau, Großbreitenbach, wo meine Mutter aufgewachsen ist; nein was für ländlich anheimelnde Zufälle es gib.) Klaus Wallendorf also!! Ja, er brilliert, neben dem exquisiten Musizieren auf dem Horn, auch als ein geistreiche Bonmots verstreuender und so sein Publikum mit sektlaunigen Wortspielen erquickender Showmaster oder Conferencier; das hatte er dann auch am Montagabend, während des Konzerts, getan und konnte sich seines Erfolges, doppelstark, gewiss dann sein; der Stil kommt bei den Leuten prima an. Und mehr noch... Schließlich sang er gar, selbstredend auf der Basis eines eigens hierfür um- oder zurechtgemodelten "Transkripts", mit Sarah Willis ein paar flotte Weisen aus der WEST SIDE STORY: wie der Saal da tobte!!
Und: Die Uraufführung des Benedict-Mason-Stücks gestaltete sich - dieses nicht nur nebenbei erwähnt (es ist jetzt Montag, 8. 12.; und ich bin gerade vom Konzert zurück) - zu einem Sensationstriumph für ihn, den Komponisten, und für seine Interpreten. Damit hätte keiner, jedenfalls nicht die "Betroffenen", im Voraus rechnen wollen. Was für'n Jubel! Kann das wirklich sein!! ja, kann es, allerdings!!! - - Auch nehme ich sofort den von mir aufgestellten "Vorwurf" rück, der Mason hätte etwa keinen oder nicht sehr viel Humor; im Gegenteil: der Mann hat einen schatzvergrabnen Witz (einer besonders schottisch ausgeprägten Art; nicht jedermann verstand das gleich, ich auch nicht); doch an diesem Abend und zu dieser Uraufführung, diesem Mischwesen zwischen gesportlichter Performance und gewieftester Musikdarreichung, war er unbestritten da; es übertrug sich wellenhaft aufs Publikum.
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Was ist mir, vom Gefühl her, wohl am nachhaltigsten in Erinnerung geblieben:
Dass sie alle wie Geschwister auf mich wirken, also: Hat sie "ihre" Mutter, sicherlich sowas wie eine Erz-Hornistin oder so, von sieben "gleichgesinnten" Männern, halt den Vätern ihrer Kinder - ja, vererbte Individualität müsste schon irgendwie prosaisch vorgeschrieben sein - gekriegt; da wuchsen also sieben "Individuelle" glücklich und gediegen auf, und jedes hatte einen andern Vater oder so oder so ähnlich. Und so luden sie sich - große Kinder, die sie immer bleiben werden - einen Spiel- bzw. Mitspielfreund zu sich nach Hause ein; und Timo (dieser Spiel- bzw. Mitspielfreund) begriff sich gleichsam als ein Teil von ihnen. Zeitlos, ohne jedes Alter. Weil es lieb und schön in ihrer Nähe war und ist.
Bin anhaltend gerührt, doch.
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Andre Sokolowski - 10. Dezember 2008 ID 4134
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Radek Baborak
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Stefan Dohr
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Stefan de Leval Jezierski
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Fergus McWilliam
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Georg Schreckenberger
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Klaus Wallendorf
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Sarah Willis
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Timo Steininger (als Gast)
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