Allradantrieb
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Werner Schretzmeier lässt sich nicht beirren. Mit beharrlicher Ausdauer richtet er Jahr für Jahr zu Ostern in seinem Stuttgarter Theaterhaus Jazztage aus, in Konkurrenz zum hochsubventionierten kommerziellen Jazzopen, das mit Jazz so viel zu tun hat wie Stuttgart 21 mit sozialem Wohnbau. Diesmal machte auch 4 Wheel Drive, bestehend aus Nils Landgren (tb, voc), Michael Wollny (p), Wolfgang Haffner (dr) und Lars Danielsson (b, cello) zum Abschluss seiner Tournee bei den Jazztagen Station.
Nils Landgren hat von 2008 bis 2011 das renommierte Berliner Jazzfest geleitet und ist vor allem durch seine Big Bands bekannt. In der klassischen Quartett-Besetzung mit dem deutschen Pianisten Michael Wollny, dem schwedischen Bassisten Lars Danielsson, der schon seit längerem zu seinen Partnern zählt, und dem deutschen Schlagzeuger Wolfgang Haffner kann er seine Fähigkeiten als Posaunist und Sänger voll zur Geltung bringen. Aber ein Allradantrieb funktioniert nur, wenn die Räder übereinstimmen. Wenn ein Rad Eskapaden macht, kommt das Fahrzeug ins Schleudern. Davon zeigt diese Formation, mit der der 63-jährige Schwede seine jüngste CD aufgenommen hat, keine Spur, mit anderen Worten: sie hält die Spur.
Landgren geht den Abend in der vollbesetzten größten Halle des Theaterhauses leise an, mit Billy Joels She‘s Always A Woman und einer hohen, sanften Stimme, die an James Taylor erinnert. Danach, in Lady Madonna von den Beatles, amalgamiert er auf seiner Posaune Legato und Funk. Die Mitmusiker stellen sich mit langen Soli vor, eindrucksvoll Wolfgang Haffner als zurückhaltender, musikalischer Schlagzeuger in der Tradition eines Mel Lewis. Darauf wieder eine Ballade, Another Day in Paradise von Phil Collins. Die Hits aus der Popwelt werden unterbrochen von Eigenkompositionen der Bandmitglieder.
Es gibt im Jazz eine Richtung, die das Raue, Brüchige, „Schmutzige“ der an sich eher unflexiblen Posaune auskostet. Da gehört Nils Landgren nicht dazu. Er pflegt den Schönklang. Und beherrscht die dafür erforderliche Technik. Technisch und auch musikalisch lassen seine Partner nichts zu wünschen übrig. Beim Übergang von einer Chinoiserie, die er mit Danielsson am Cello eröffnet, zu Stings Shadows In The Rain bewährt sich Michael Wollny als virtuoser Pianist, bei dem die rechte Hand wohl weiß, was die linke tut, sich aber nicht darum schert.
Jazz hat es nicht leicht in diesen Tagen. Bei Schretzmeier im Theaterhaus kommen die alternden Fans noch zusammen. Der Jubel am Schluss kannte keine Grenzen und äußerte sich mit einer schrillen Lautstärke, die jene des Quartetts auf der Bühne übertraf. Ob das ein Beweis von jugendlich gebliebenem Temperament ist?
Thomas Rothschild – 20. April 2019 ID 11361
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Theaterhaus Stuttgart
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