CLAUDIO ABBADO (1933-2014)
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Claudio Abbado (1994) | (C) Cordula Groth; Bildquelle: Wikipedia
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In dieser Welt ist ein Licht, das klingen konnte, heiter, selbst ernst, verloschen
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Den Krebs hatte Abbado vor zehn Jahren besiegt, seither gezeichnet von der zehrenden Krankheit, ein filigran jungenhafter Greis, von innen wie leuchtend, das vergnügte Lächeln blitzte stets in seinen Augenwinkeln, und amüsiert spielte es um den empfindsamen Mund, dessen Lippen, oft leicht geöffnet, mit der Musik, mit dem Orchester zu atmen schienen, durchlässig, wie ein lauschendes, liebendes Erwarten, Lucidität ist für mich das magische Schlüsselwort, um das leuchtende, klingende Universum dieses Musikzauberers zu benennen…
Warum hatte ich ein Bangen vor der zu erwartenden Nachricht vom Ableben dieses Musikers? Ich konnte Abbado einige Male erleben, die Unbeschreiblichkeit seiner Magie, seines zuinnerst sensiblen Charmes – Kunst ist ja nichts anderes als das Innerste ganz nach Außen wenden zu können, als Eigenes, lebendig. Ich hörte ihn mit Berg, mit Mahler, mit Schubert und Beethoven, mit Bruckner, mit Schönberg, Brahms und Berlioz… Zunächst kannte ich seine Interpretationen vor allem von Schallplatten und aus dem Fernsehen: Verdi, Rossini, Berg und Beethoven. 1990 dann mit Ruth Berghaus, die in Graz Lohengrin inszenierte, besuchte ich die Übernahme-Premiere von Schuberts großer Oper Fierrabras an der Wiener Staatsoper – Abbado hatte das fast vergessene Werk mit Berghaus im Theater an der Wien neu entdeckt. Abbado betrat das Pult im Orchestergraben, dieses immer ein bisschen lausbübisch-verschwörerische Lächeln, die hochgezogenen Augenbrauen, der geöffnete Mund, diese anhebende Geste des angewinkelten Arms, die Hand, als müsse sie all die Noten, das Zerbrechliche, behutsam schützen… Und die Wiener Philharmoniker verströmen unverkennbar auf Anhieb den Abbado-Klang, diesen lichten Klang, diesen Hauch, wie er nur unter seinen Fingern und Blicken entstand…
Er strahlte aus, was niemand sonst auszustrahlen vermochte: dass das Leben, im Zauber der Musik figuriert, etwas Helles und Schönes sei, dass auch seine entsetzlichen Brüche und Abgründe leben, dass noch der Tod Teil des wundervollen Lebens sei und Alles, was ist: IST. Abbados scheinbar schwerelose Art, aufstrahlend, transparent, flexibel und grandios die vielen Leute dazu zu bringen, so himmlisch zu musizieren, klingend zu atmen, singend zu SEIN, das wird ausbleiben. Ich werde es nicht mehr erleben. Er kam, und seine Lust steckte alle an, sich mit ihm in diese Welt der Töne zu stürzen, zu erheben. Er streute einfach mit seinem unverwechselbaren Lächeln ein Glück in den Tag, das den Sinn von Kunst und Leben quasi spielerisch auffing. Kein Wunder, dass Abbado immer für das Neue war, für Neue Musik, und sich unermüdlich mit jungen Leuten befasste, ausbildend, fördernd, fordernd, musizierend. Als er sich von den großen Chefposten der Welt mehr und mehr zurückzog, gründete er weiter junge Orchester – mit denen er auch für sich selbst Neues auftat – selbst wenn es nun sogar die Alte Musik war, die vorrevolutionäre also: Bach, Pergolesi und Mozart (von Neuem). Ein Freund schrieb mir heute: "Er hat sich mit den herrschenden Verhältnisse nie abgefunden, ist nie einfach darüber hinweggegangen. Es hat Abbado interessiert, die Welt nicht der Bourgeoisie zu überlassen. ..." Seine letzte Initiative galt, das venezolanische Kulturmodell EL SISTEMA auch in Italien zu installieren.
Claudio divino hieß es von Monteverdi, Claudio divino, die Italiener können ihre Bewunderung so liebevoll sagen…
Abbado war ein philosophischer Dirigent, er sah alles im geschichtlichen und existentiellen Zusammenhang, aber nicht im deutsch vergrübelt-schwerlastenden Sinn, auch nicht in kapriziös-intellektueller Attitüde der Franzosen, sondern durchaus mediterran, ganz apollinisch: ideal für Beethoven etwa, für Mahler und die Moderne. Er war kein „konservativer“ Musiker, kein „reaktionärer“ Dirigent, kein „autoritärer“ Macker, kein „eitler“ Pult-Star – Kunst, Musik, Literatur und Philosophie sind Allen zugänglich und einsehbar zu machen – auf höchstem Niveau: denn das ist man den großen Meistern und der Menschheit schuldig! Er konzipierte Musik-Programme von Schubert bis Nono etwa um Hölderlin. Sein Geist war SOLIDARISCH. Er war links, er war Kommunist (es wird in wenigen Nachrufen zu finden sein, aber er war es): und er verließ die Mailänder Scala im Protest, er litt an den finanziellen Einschnitten der Kulturpolitik, dem kulturellen Kahlschlag im neoliberalen Europa – noch zuletzt musste er seinen Traum, sein „Mozart-Orchester“ aus finanziellen Gründen aufgeben. Wie verlogen klingen nun die Ehrungen seiner Verdienste aus den Mündern jener Politiker, die sich schuldig machen am kulturellen Raubbau, an diesem Verbrechen an Geist und Seele der Völker.
Claudio Abbado ist heute Morgen im Kreise seiner Lieben „unbeschwert“ verstorben. Nach einem langen, glücküberfließenden Leben, denn, wie sein Großvater ihm auf den Lebensweg mitgab: "Großzügigkeit macht reich."
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Olaf Brühl - 20. Januar 2014 ID 7531
Siehe auch unter http://www.kultura-extra.de/musik/feull/rezension_abbadokonzert_berliner_philharmoniker_2010.php
Post an Olaf Brühl
http://www.olafbruehl.de
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