ALBAN GERHARDT
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(C) Alban Gerhardt
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Für alban@albangerhardt.com - ein Link
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Hi Alban, wie ist Stresa? wie klingts in Eremo di Santa Caterina del Sasso?? wie kam dein Konzert an???
Fragen über Fragen - musst nicht gleich auf alle antworten.
Ich mail dir hier den Link zum Text, den ich jetzt über dich und unser kurzes Treffen (Nähe Wannsee, am frühen Nachmittag des 21. Juli 2010) gemacht habe...
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Stresa muss schön sein. Auf der Homepage www.stresafestival.eu bekommt der User einen ungefähren Eindruck von der überwältigenden Landschaft und Natur in Leggiuno/Lago Maggiore, die das sommerliche Klassik-Festival umgeben; und du hättest, wie du mir gestandst, am liebsten Ferien dort gemacht. Jetzt allerdings bist du, und von Berufs wegen, so wie ich der Programmvorschau entnehmen konnte, in der "elitäresten" Gesellschaft, die sich denken ließe: Thomas Zehetmair, Philip Glass, das Borodin-Quartett, das Cleveland Orchestra, das Orchestra of the Age of Enlightenment und und und... Der Leiter dieses kleinen, aber superfeinen Events, Gianandrea Noseda, hätte dich letztes Jahr gefragt, ob du nicht Lust hättest, bei ihm die Bach'schen Cello-Suiten aufzuführen; und obwohl du zu dem Zeitpunkt eigentlich dann "nur" die Hälfte der sechs Suiten sozusagen auf dem Kasten hattest, sagtest du ihm zu. Auch wärest du noch nie zuvor in Stresa abgestiegen - und obgleich du fast auf allen Kontinenten schon Konzerte gabst. Ja und jetzt sitzt du halt mit deinem Cello in der Klosterkirche Eremo di Santa Caterina del Sasso und spieltest oder spielst noch immer - - zwei Konzerte, die du mit den Bach'schen Cello-Suiten nacheinander gibst.
Bachs Suiten BWV 1007-1012 (das muss man wissen) sind für den Cellisten so was wie das Nonplusultra seines Lebens - kann ich das so übertreibend sagen? Also von der Pike auf wisst ihr um ihre "höhere" Bedeutung; ihr seid euch von frühster Jugend an bewusst darüber, dass sie zu dem Schwerstmachbaren zählen, was ihr euch - Cellisten, die ihr seid - vorstellen könntet oder halt auch nicht. Du sagtest mir, du hättest einen "Heidenschiss" vor ihnen; und nachdem ich dich dann fragte, ob du dich für sie, von deinem Alter her, schon reif fühltest, winktest du ab, "ich würde sie nie aufnehmen", also noch nicht, nicht jetzt (so meintest du).
Das RADIALSYSTEM am Spreeufer Berlin (www.radialsystem.de) probierte dich mit "deinen" Suiten eine Woche vor dem Stresa-Festival schon einmal aus. Ja und da schwebte dir so eine völlig andere, unelitäre Dargebrachtseinsweise für sie vor - führt man die Suiten alle nacheinander auf, kommt man auf weit über 2 Stunden Spieldauer - ; ja und du spieltest sie dann je von einer andern Position des Saales aus und wandertest mit deinem Cello also hin und her; die Leute, ein paar Hunderte müssten's gewesen sein, waren total begeistert, und mit so viel Publikum und dieser positiven Resonanz hättest du nie gerechnet, oder?
Als ich dich, von meinem Sitzwürfel aus, rechterseits dann spielen sah, bemerkte ich, wie dir bei dem Präludium zu der zweiten Suite die Tränen kamen. Doch es war so derart unauffällig, dass man es tatsächlich nur in allernächster Nähe mitbekommen konnte; und ich saß dir nun mal fast zum Greifen nahe... Nein, du hattest das nicht sehen und nicht merken können; du spielst immer mit geschlossnen Augen, und du trägst auch Ohrstöpsel, damit dich nichts, kein Nebenlaut, kein Überhauptnichts dann, beim Cellospielen stört. Dir sieht man wahrhaft an, dass du, während du Cello spielst, dann "nicht von uns" und also nicht von dieser Welt bist; mach das unbedingt auch weiter so, es wirkt sehr stark und ist sehr glaubwürdig!
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Ich habe nochmal nachgeschlagen - jene Stelle mit dem Leutnant aus dem Tonio Kröger (du erinnerst dich?); also: "... erhebt sich ein Offizier, ein Leutnant, ein hübscher und strammer Mensch, dem ich niemals eine seines Ehrenkleides unwürdige Handlungsweise zugetraut hätte, und bittet mit unzweideutigen Worten um die Erlaubnis, uns einige Verse mitzuteilen, die er angefertigt habe." Das ist jene Stelle, wo der Thomas Mann den Tonio Kröger gegenüber seiner Malerfreundin Lisaweta Iwanowna eine Episode aus irgendeiner abendlichen Gesellschaft berichten lässt; und da geht es halt um Kunst und Dilletantismus, und der Tonio arbeitet sich peu à peu zu Dem, was er dann eigentlich der Lisaweta sagen wollte, vor, ja und genau d i e Stelle, die dann allerdings paar Seiten später kommt, d i e meintest du wahrscheinlich, als wir uns über dein Spiel und deine Spielart unterhielten und du glaubtest, dich an eine Stelle aus dem Tonio Kröger zu erinnern, wo der (sinngemäß) zu seinem Freund, oder auch umgekehrt der Freund zu ihm, gesagt hätte, 'du darfst nicht lieben' (eine Schlüsselstelle aus dem Doktor Faustus übrigens), also man dürfe kein Gefühl des Überschwangs, kein überschwängliches Gefühl aufbringen, wenn man - so wie du dann deine Bach'schen Cello-Suiten, beispielsweise - spielen würde...
Ja, wie Recht du hast! Und seltsam ist es trotzdem, dass dann ausgerechnet bei den Werken Bachs - und ganz egal, welche der ernst zu nehmenden CD-Aufnahmen du corpus-delict-mäßig zu Rate ziehen würdest - dieses Maß emotioneller Reduktion "beobachtbar" und nacherlebbar wird; ja, dieses Maß-Halten an Emotion, diese vermeintliche Zurücknahme der Herzfrequenz, dieses Beherrschtsein - und dass du dann selbst (und nicht nur du, der ausführende Interpret) von der Musik um Gotteswillen nicht beherrscht würdest - versteht sich wohl als Kunstausdruck an sich und hat wohl mit dem Leben allenthalben so viel dann zu tun, wie wenn du jetzt dein Instrument - und im konkreten Fall der Skordatur der fünften der sechs Bach'schen Cello-Suiten - justament von "g" auf "a" (der a-Saite) wieder hinaufstimmst... dass es also insgesamt dann wieder stimmt.
Im Tonio Kröger streiten sich die Geister um des Kaisers Bart; gefragt wird anhaltend danach, ob Kunst was Anderes als Leben sei, oder ob sie (die Kunst) letztendlich doch nicht nur die Abbildung des Lebens ist; und wer nicht wirklich lebt, schafft auch dann keine Kunst oder so ähnlich. Müßig drüber nachzudenken; du, ich wollte dich nicht weiter langweilen.
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Von Boris Pergamenschikow (einem der Hochschullehrer deiner Kölner Studienzeit) - er schrieb über die Cello-Suiten von "Musik, die einem die Seele wäscht, besonders wenn man sie für sich selbst spielt, am besten ohne Zuhörer" - gibt es die schöne Aufnahme von 1998. Kennst du sie? Doch warum frage ich dich das, du sagtest mir ja, dass du schon seit Jahren keine Aufnahme der Bach'schen Cello-Suiten mehr gehört hättest; bestimmt machen das alle Interpreten so, wenn sie dann aktuell mit einem ganz bestimmten Werk beschäftigt sind, dass sie in dieser Zeit "nichts Fremdes" von und über es an sich heran lassen... Und John, mein Freund, der auch Cellist ist (ich erzählte dir von ihm) sagte mir neulich, dass er längst von dieser Art zu spielen, wie es Pergamenschikow im Fall der Bach'schen Cello-Suiten praktizierte, abgekommen wäre; John war (wie ich dir erzählt hatte) der erste Schüler Pergamenschikows, nachdem der seine Hochschultätigkeit in Köln begonnen hatte; John kennt dich vom Sehen her, er war fast fertig mit dem Studium, kurz nachdem du angefangen hattest...
"Ich bin eine faule Sau", beschriebst du dich mit einem Augenzwinkern - also, anders ausgedrückt, müsstest du schon dann über das Normalmaß weit hinaus begeistert oder gar "gezwungen" sein, um ein Musikstück neu oder erneut zu üben; an den Bach-Suiten, so sagtest du, säßest du nun schon 14 Tage oder so; und würde ein Veranstalter dir jetzt, also von jetzt auf gleich, Dvořáks, Prokofjews, Schostakowitschs oder Haydns Cellokonzert anbieten, könntest du ihm sofort dann zusagen, so "sitzen die" - - doch bei den Bach'schen Cello-Suiten geht das nun mal leider nicht!
Ich habe dich während der Darbietungen im RADIALSYSTEM genau beobachtet, ja und ich habe dich bewundert, wie, also mit welcher überbordenden Idee du angetreten warst, den Zyklus, der, wenn man nicht gründlich (auch oder erst recht als Hörer!) auf ihn vorbereitet ist, sich keinesfalls erschließt, dem Publikum auf eine lichte oder leichte Art und Weise nahbringen zu wollen - freilich war dir dieses ehrgeizige Ziel gelungen.
Du, ich prophezeie dir das Eine: Spiel die Suiten, wenn (und falls) du 80 oder älter werden solltest, noch einmal an diesem Ort; du wirst dann auch von dir aus nicht nochmal den Wunsch verspüren, mit dem Cello hin und her gehen zu wollen, also mach es dann (und unbedingt) von einer Position und Warte aus und... warte, was in über 40 Jahren dann um dich herum und in dir drin passiert...
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Nein, du hast keine Angst vorm Tod, sagtest du mir - ja, und wie kamen wir darauf?!
Du selbst bist ja so ein nicht altern könnender Hanshansentyp, also vom Äußeren gesehen; und, so wie ich mitkriegte, geriet dein elfjähriger Sohn, der wohl die melancholisch-tiefblickenden dunklen Augen seiner Mutter erbte, weitaus mehr in dieses Toniokrögerhafte, wovon wir (und wie gesagt) bei unserer Begegnung redeten, als du... Wie formulierte Das dann Thomas Mann gleich nochmal: "Aber meine tiefste und verstohlenste Liebe gehört den Blonden und Blauäugigen, den hellen Lebendigen, den Glücklichen, Liebenswürdigen und Gewöhnlichen." - Das Blonde und das Blauäugige, also "in persona", bist natürlich - wie so Viele (wie auch ich) - du selbst. Von daher ist die ganze Diskussion, die uns der alte Thomas Mann zu seiner Zeit aufzwingen wollte, wo es also um den Kunst-und-Leben-Gegensatz zu gehen schien, völlig vergeblich und auch richtungsirr, seitenverkehrt, denn: "Todessüchtig" - was du gerne auch beim Hören jener Bach'schen Cello-Suiten werden könntest (und du sagtest mir, als Kind und Jugendlicher warst du schon mitunter "todessüchtig") - wären oder sind wir Alle, die wir uns vielleicht mehr oder weniger romantizistisch nennten: du und ich und Alle wie sie heißen... scheißegal ob blond oder ob braun oder was/wie auch immer...
Wünsche dir noch schöne Tage in Italien,
LG Andre
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Andre Sokolowski - 30./31. Juli 2010 ID 4738
Weitere Infos siehe auch: http://www.albangerhardt.com
http://www.andre-sokolowski.de
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