Der Schatz
im Silbersee
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Ja, es ist ein Klischee. Warum soll ausgerechnet ein tschechischer Dirigent eine tschechische Oper wie Rusalka besonders gut dirigieren? Egal. Hier und heute ist das Märchen wahr geworden und der Prinz heißt Tomáš Hanus. Ihm bereitet es Genuss, diese Partitur zu dirigieren. Und er geht diesem Genuss auf sinnliche, regelrecht aufmüpfige Weise nach. Hanus durchlebt jedes einzelne Motiv, jagt jedem Akzent, jeder dynamischen Feinabstufung akribisch hinterher, serviert mal große Bögen, dann wieder flinke Tempi, dreht mit höchster Lust am Rad der Dvořák-Musik. Unter diesem musikalischen Leiter wächst das Bayerische Staatsorchester über sich hinaus, spielt inspiriert, impulsiv, mit Glanz und Gloria.
Für die Titelpartie war eigentlich Nina Stemme vorgesehen. Nun werden Verträge im Opernbusiness mitunter auf Jahre im Voraus geschlossen und da kann es durchaus mal passieren, dass ein Sopran in die dramatische Richtung geht und der Weg zurück zum Lyrischen versperrt bleibt. Krístīne Opolaís bekam die Chance für Stemme einzuspringen und sagte zu. Optisch betrachtet entspricht ihre Rusalka genau dem Ideal: Distanziert aber zu Herzen gehend, unschuldig und dennoch verführerisch. Stimmlich präsentiert sich diese Nixe als starke Frau: eher Drahtseilsopran statt Nachtigall, kühle Erotik statt jugendliche Schwärmerei. Opolaís besitzt kein Buttercreme-Timbre à la Renée Fleming, aber sie verfällt auch nicht in Manierismus, singt pur, ungekünstelt. Im letzten Drittel lässt Opolaís konditionell etwas nach, arbeitet mit mehr Nachdruck, was deutlich auf Kosten ihrer Gesangslinien geht. Bei Klaus Florian Vogt verhält es sich genau umgekehrt: Sein knabenfarbener Tenor verleiht diesem Prinzen etwas Reines, Unberührtes, obwohl seine Figur diese Wesenszüge hier nicht aufweist. Ein verwirrendes Porträt, von Vogt toll gesungen und gespielt. Nadia Krasteva quält sich mit den Höhen der fremden Fürstin herum und sollte lieber bei ihren Mezzosopran-Rollen bleiben. Janina Baechle orgelt sich respektabel durch die Partie der Ježibaba, kann aber im Spiel nicht überzeugen. Günther Groissböck (Wassermann) hat nicht nur ein wunderbar sonores Organ, sondern ist auch der bessere Darsteller. Ulrich Reß (Förster) und Tara Erraught (Küchenjunge) erweitern die geglückte Auswahl der Sänger. Bei den Waldnymphen sticht Evgeniya Sotnikova hervor.
Über dem ersten Bild von Martin Kušejs Inszenierung könnte der Titel „Was Berge verbergen“ stehen. Vor einer idyllischen Bergseelandschaft, die natürlich nur der schöne Schein einer Fototapete auf Leinwand ist, hockt ein ziemlich abgewracktes Pärchen: der Wassermann (Zigarette, blauer Bademantel) und die Ježibaba (eine Flasche mit vermutlich hochprozentigem Inhalt, Sackgewand, kaputte Dauerwelle). Der wahre Schrecken jedoch lauert darunter: Ein feuchter Keller, in welchem der Wassermann Mädchen gefangen hält. Aus der Nixe und den Waldnymphen sind weibliche Ausgaben Kaspar Hausers geworden, mehrmals fällt der Name Natascha Kampusch im Programmheft. Aber während Kampusch ihr Schicksal auf höchst kommunikative Weise verarbeitet, passt die Parallele zum sprachlich zurückgebliebenen Hauser recht gut. So muss auch Rusalka ihre Stimme lassen, um frei zu sein. Doch was Kušej aus dieser gelungenen Ausgangsbasis dann szenisch macht, wie er diesen Faden weiter fort spinnt, das ist alles andere als befriedigend ausgefallen.
Kušej traut sich nicht so recht, schwankt zwischen radikalem Ansatz und halbgarer Romantik. Vor allem die lasch gezeichneten Charaktere verwehren dem Abend das Tempo, die erzählerische Kraft. Die Sänger verteilen Schläge, fallen übereinander her, erledigen eben das typische Potpourri aus der Sex'n'Crime-Schublade. Aber es bleiben halt Sänger, die Dinge tun, und das ist für einen Regisseur, der eigentlich vom Schauspiel kommt, ein wenig dürftig. Das Ausweiden eines Rehs gerät nicht zum Skandal, taugt aber metaphorisch maximal zur Küchentisch-Psychologie: Rusalka, die Beute, die über die Schulter geworfen und nach Haus getragen wird, Rusalka, die weiße Braut, deren Hochzeitsfeier in einen Akt der Selbstzerfleischung mündet. So etwas muss böse enden und das tut es auch: Rusalka landet in der (immer wieder gern genommenen) Psychiatrie, wo sie mit dem Mord am Prinzen letztlich die Liebe in sich selbst tötet. Nikolaus Bachler hat nun eine weitere Produktion, die sich seiner Meinung nach irgendwann einmal als „Kult-Inszenierung“ entpuppen wird, im Repertoire. Musikalisch ist der Abend aber schon jetzt eine Sternstunde.
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Heiko Schon - red. / 24. Oktober 2010 ID 4898
RUSALKA (Nationaltheater München, 23.10.2010)
Musikalische Leitung: Tomaš Hanus
Inzenierung: Martin Kušej
Bühne: Martin Zehetgruber
Kostüme: Heidi Hackl
Besetzung:
Der Prinz ... Klaus Florian Vogt
Die fremde Fürstin ... Nadia Krasteva
Rusalka ... Krístīne Opolaís
Der Wassermann ... Günther Groissböck
Die Hexe ... Janina Baechle
Der Förster ... Ulrich Reß
Der Küchenjunge ... Tara Erraught
1. Waldnymphe ... Evgeniya Sotnikova
2. Waldnymphe ... Angela Brower
3. Waldnymphe ... Okka von der Damerau
Ein Jäger ... John Chest
Chor der Bayerischen Staatsoper
(Choreinstudierung: Sören Eckhoff)
Bayerisches Staatsorchester
Premiere an der Bayerischen Staatsoper: 23. Oktober 2010
Weitere Infos siehe auch: http://www.bayerische.staatsoper.de
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