Anastasia Yasko
mit drei russischen Klaviersonaten des 20. Jahrhunderts
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Bewertung:
Heute (10. Januar 2025) erscheint unter dem Titel 20th Century Russian Piano Sonatas, Vol. 2 das neue Album der mehrfach preisgekrönten russischen Pianistin Anastasia Yasko, sie hat es beim Label Ars veröffentlicht, und es enthält drei großformatige Klaviersonaten von Rachmaninow, Schostakowitsch und Kabalewski. Zugleich ist es die Fortsetzung ihrer bereits vor drei Jahren für den "Opus Klassik" nominierten Debüt-CD (20th Century Russian Piano Sonatas, Vol. 1).
Aufgenommen hatte sie die Werke im Sommer d.J. im oberösterreichischen Klavierhaus Schimpelsberger Wels, und sie spielte dort auf einem satt und warm klingenden FAZIOLI-Flügel der Manufaktur Sacile aus der für traditionelle Holzverarbeitungskunst berühmten Provinz Pordenone - 60 Kilometer nordöstlich von Venedig gelegen.
Die von der Interpretin ausgewählten und den meisten Hörern (so auch mir!) weniger bekannten drei Meisterwerke russischer Klavierliteratur - nämlich die erste Klaviersonate von Sergei Rachmaninow (1873-1943), die zweite von Dmitri Schostakowitsch (1906-1975) und die dritte von Dmitri Kabalewski (1904-1987) - ließen lt. Yasko "auch einen Einblick in die musikalische und kulturelle Entwicklung Russlands sowie der Sowjetunion zwischen 1908 und 1946" erkennen:
"Dramaturgisch führen uns diese Werke durch die unsichere und turbulente Zeit zwischen Revolutionen und dem Ersten Weltkrieg, durch die Tragödien des Zweiten Weltkriegs bis hin zu einem hoffnungsvollen Ausblick auf eine ‚helle Zukunft‘ in friedlicheren Zeiten. Alle drei Werke gehören für mich zu den verborgenen Schätzen des pianistischen Repertoires."
Yasko verfasste das Booklet (wie auch schon zu 20th Century..., Vol 1 und ihrem 2023er Chopin-Album) selbst, und darin gibt sie gut lesbare Werkeinführungen, nimmt also Hörer unterhakend mit in ihre weite, weite Welt...
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Als ich den Namen Kabalewski jetzt nach vielen, vielen Jahren erstmals wieder las, assoziierte ich sofort meine jugendlichen Klavierstunden, in denen mir mein damaliger Musiklehrer auch diverse Lernstückchen Kabalewskis zum Üben mit nachhause gab; von ihm existieren die nicht unberühmten 24 kleinen Stücke für Klavier, jenem sowjetischen Pendant zu Schumanns Album für die Jugend.
Auch Schostakowitsch komponierte Lernstücke für Heranwachsende; und ich glaube mich vage zu erinnern, dass ich auch aus dessem Kinderalbum für Klavier das eine oder andere geübt und danach auswendig vor meinem damaligen Lehrer gespielt hatte.
Jetzt also ist das alles plötzlich wieder voll in meinem Bewusstsein - ziemlich merkwürdig (und schön!), dass ausgerechnet Yaskos neue CD so etwas in mir auszulösen im Stande war...
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Anastasia Yasko | Foto (C) Sascha Tekale
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Die Rachmaninow-Sonate ist, allein von ihrem Umfang her (36 min), das ungleich markanteste Opus auf Yaskos CD, ja und sie spielt sie daher voller Wucht und breitwandfilmisch vorstellbarer Dimension. Der Komponist beabsichtigte mit ihr nicht viel weniger als Goethes Faust (sagen wir's so:) näher als nah zu sein; so sollte der 1. Satz der Titelfigur, der 2. Satz dem Gretchen und der 3. Satz dem gemeinsamen Flug mit Mephistopheles zum Brocken hoch hinauf "entsprechen" - das war freilich höchstambitioniert gemeint, obgleich Rachmaninows Musik (auch völlig unabhängig des von ihm gewollten literarischen Vergleichs) für sich allein sprach/ spricht. Üppigste Spätromantik in komplexester Dramaturgie.
Schostakowitschs Klaviersonate Nr. 2 in h-Moll gilt - neben der 7. und 8. Sinfonie, dem Klaviertrio und dem 2. Streichquartett - als eines der "musikalischen Denkmäler" aus seiner Zeit während des Zweiten Weltkrieges. Er hatte vor ihr 16 Jahre nichts mehr für Klavier geschrieben und widmete sie seinem damaligen Klavierlehrer am Petrograder Konservatorium Leonid Nikolajew (1878‒1942). Mit ihren ca. 26 Minuten Spieldauer, wobei der als Chaconne angelegte Finalsatz doppelt so lang wie die beiden vorherigen Sätze ist, wirkt sie nicht so kompakt wie die von Yasko vorangestellte Rachmaninow-Sonate, hat es aber dennoch ziemlich in sich...
Ganz anders verhält es sich mit der abschließenden Kabalewski-Klaviersonate, der dritten seines Werkverzeichnisses. Er hatte sie drei Jahre nach dem Kriegsende komponiert, und sie "überrascht mit ihrem optimistischen und märchenhaften Charakter" - Yasko beschreibt sie in ihrem Booklet wie folgt:
"Der erste Satz (Allegro con moto) enthält vor allem unbefangene, lyrische Themen, ohne wesentliche Konflikte oder Dramatik. Die kontrastierende Episode der Durchführung, die einen marschartigen, invasiven Charakter annimmt, hinterlässt trotzdem keinen großen dramatischen, sondern eher einen grotesken Eindruck.
Der zweite Satz (Andante cantabile) erinnert an einen langsamen, beschauli-chen Walzer. Die gemächliche, fast gesang-liche Melodie wird mit Dissonanzen bereichert. Die Entwicklung der dichten Polyphonie und dunklen Farben glüht in einer kurzen, dramatischen Kulmination auf; doch wird diese sofort wieder aufgelöst.
Im dritten Satz (Allegro giocoso) herrscht eine scherzoartige, humorvolle Stimmung. Das Hauptthema imitiert einen aufrufenden Trompetenklang. Im Mittelteil erscheint eine quasi märchenhafte Episode mit einem verrückten, wilden Baba-Jaga-Tanz, welcher trotz seiner Aggressivität und Bedrohung nicht ernsthaft wahrgenommen wird. Die Sonate endet in einer spritzigen und jubelnden Coda, die den Hörer mit einem Gefühl von Freude und Optimismus entlässt."
Grandios gespielt und - allgemeinverständlich sekundiert [s. obige Zitate].
Sehr, sehr zu empfehlen.
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Andre Sokolowski - 10. Januar 2025 ID 15096
20th Century Russian Piano Sonatas Vol. 2
Sergej Rachmaninoff: Klaviersonate Nr. 1 d-Moll op. 28
Dmitri Schostakowitsch: Klaviersonate Nr. 2 op. 61
Dimitri Kabalewsky: Klaviersonate Nr. 3 op. 46
Anastasia Yasko, Klavier
Aufgenommen im Klavierhaus Schimpelsberger Wels, 7/2024
Erstveröffentlichung: 10.01.2025
Label: Ars 38669
Weitere Infos siehe auch: https://anastasiayasko.com
https://www.andre-sokolowski.de
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