...und jeder
(noch so)
kleine Stern
Clara Guldberg Ravn mit vier Flötenkonzerten des Barock
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Bewertung:
Die Blockflöte zählt nicht gerade zu den Musikinstrumenten, deren Klang ich mir bevorzugt durch die Ohren gleiten lassen würde; sie hat sowas wie "von früher her", ja und da ich sie erstmals überhaupt (als hölzerne Materie und durch ihren irgendwie doch aufdringlichen Klang) wahrnahm, war/ ist schon ziemlich lange her: Zwei meiner damaligen Mitgespielinnen versuchten sie und mich zu drangsalieren; wir waren neun, zehn oder zwölf Jahre jung, und es klang grauenhaft, was sie da während eines Schulkonzertes auf ihr spielten und v.a. wie sie's spielten, unvergesslich furchtbar alles das. Ein Kindertrauma also, an dem ich noch lange folgenschwer zu leiden hatte und dessen psychosomatische Auswirkungen mich bis heute alptraumhaft verfolgen.
Vor zehn Jahren geriet ich mit meinem Freund J. (einem ausgewiesenen Barockcellisten, aber das nur nebenbei bemerkt) anlässlich eines Kurzausflugs nach Amsterdam ins dortige Concertgebouw, wo ein Konzert mit 27 unterschiedlich großen Flöten stattfand; und wir buchten das, weil ausgerechnet dann an diesem Tag nichts anderes dort lief, ja und ich dachte mir, dass das womöglich heilend oder nachheilend für mich hätte gewesen sein können [s. Kindertrauma] - doch es machte "es" nur noch viel schlimmer...
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Gestern allerdings - ich schob mir das Album And Every Little Star mit Clara Guldberg Ravn und dem Bremer Barockorchester (Dirigent: Néstor Fabián Cortéz Garzón) in den CD-Player - beschloss ich mich zu revidieren und meiner bisherigen Voreingenommenheit in puncto Flötentöne entschiedener als je zuvor entgegenzutreten.
In ihrem vorzüglich geschrieben Booklet [s.u.] erläuert und beschreibt die dänische Starflötistin alle vier von ihr ausgewählten Werke inkl. ihrer Komponisten, nämlich Giuseppe Sammartini (1695-1750), Johan Helmich Roman (1694-1758), Antonio Vivaldi (1678-1741) und Nicola Fiorenza (nach 1700-1764) - allein Vivaldi war mir bis da ein Begriff, vielleicht noch Sammartini, doch mit Fiorenza konnte ich dann nichts mehr anfangen, halt Neuland für mich, ja und vom schwedischen Komponisten Roman hatte ich dann auch noch nie etwas gehört oder gelesen.
Ravn über ihn:
"Johan Helmich Roman erhielt seine musikalische Erziehung durch seinen Vater, einen Musiker. Schon in jungen Jahren spielte er in der Hofkapelle – Hovkapellet – die Violine. Mit königlicher Erlaubnis studierte Roman in London, wohin er 1715 aufbrach. Dort lebte er bis 1721, nahm am reichen kulturellen und intellektuellen Leben der Stadt teil. Wie Sammartini trat er in Händels Orchester ein, allerdings in der Streichergruppe unter den zweiten Geigen. Nach Stockholm zurückgekehrt, wurde er 1721 Vizehofkapellmeister und 1727 Hofkapellmeister. Die Stelle hatte er bis 1751 inne. Nach diesem Leben in der Öffentlichkeit zog er sich aufs Land zurück. Die verbleibenden sieben Jahre widmete er der Erziehung seiner Kinder (seine Frau war 1744 gestorben), komponierte und übersetzte Texte zur Musiktheorie ins Schwedische, darunter Gasparinis wichtige Generalbasslehre L‘Armonico Pratico al Cimbalo. Einmal war Johan Helmich Roman nach Neapel gereist, seine Musik zeugt von der Inspiration, die er aus Italien und dem italienischen Stil gewonnen hatte."
[...]
"Im Konzert von Roman habe ich in zwei Kadenzen ein Zitat aus zwei verschiedenen Jazz-Melodien eingefügt; There Will Never Be Another You und I’ve Told Every Little Star – daher der Titel dieses Albums. Im Laufe des Jahres, in dem dieses Album aufgenommen wurde, habe ich mehr Jazz gehört als je zuvor, und es hat mir sehr gefallen. Zum Jazz gehören Improvisation und Ornamentik, etwas, das vor hunderten von Jahren allgemein üblich war. Musiker, die Barockmusik spielen, improvisieren damals wie heute über das von den Komponisten überlieferte musikalische Material. Ich habe mich von der Art und Weise inspirieren lassen, wie Jazzmusiker improvisieren, und wie dies dem Stil der Verzierungen in der italienischen Barockmusik ähneln könnte, wobei es eher um Harmonie als um Rhythmus geht."
(Quelle: Booklet von Clara Guldberg Ravn, 2024)
Drei der vier Konzerte sind dreisätzig, das Werk von Fiorenza hat vier Sätze. Und apropos Fiorenza (ich bemerkte ja bereits, dass ich mit dessem Namen überhaupt nichts anzufangen wusste); Ravn schreibt zu ihm:
"Der neapolitanische Komponist Nicola Fiorenza wurde Anfang des 18. Jahrhunderts geboren. Über ihn ist wenig bekannt. 1743 erhielt er eine Anstellung als Geigenlehrer am Konservatorium S. Maria del Loreto in Neapel, an dem er vermutlich selbst studiert hatte. Seit 1750 gab es wohl mit Kollegen wie Schülern Konflikte, 1763 wurde er entlassen. Neben dem Unterrichten scheint er in der Capella Reale als Geiger musiziert zu haben, seit 1754 leitete er dieses Orchester."
Gut, dass es Ravns Booklet gibt!
Also, zusammenfassend:
Sämtliche auf diesem Album vorgestellten Konzerte sind eine jeweilige Entdeckung für sich wert, und zwar sowohl hörerischer- als auch informativerseits.
Von ihnen gehen tänzerische Leichtigkeit und melancholische Besinnung aus, und so vereinen sie in sich all das, wofür die Liebhaber und Kenner der Barockmusik sie a priori liebhaben und kennenlernen sollten.
Und das Bremer Barockorchester unter Leitung seines Mitgründers Néstor Fabián Cortéz Garzón erweist sich als eine höchst kongeniale und schier unterhaltende Begleiterin einer der virtuosesten Flötistinnen, die es derzeit wohl gibt.
Das Album ist seit heute auf dem Phonomarkt erhältlich.
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Clara Guldberg Ravn | Foto (C) Patric Leo (2023); Bildquelle: claraguldbergravn.com
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Andre Sokolowski - 8. November 2024 ID 15004
AND EVERY LITTLE STAR
Musik von Sammartini, Roman, Vivaldi und Fiorenza
Giuseppe Sammartini: Konzert für Blockflöte und Orchester in D-Dur
Johan Helmich Roman: Konzert für Flöte und Orchester in G-Dur, Beri 54
Antonio Vivaldi: Konzert für Blockflöte und Orchester in c-Moll, RV 441
Nicola Fiorenza: Konzert für Blockflöte und Orchester in c-Moll
Clara Guldberg Ravn, Blockflöte
Bremer Barockorchester
Dirigent: Néstor Fabián Cortéz Garzón
Aufgenommen in der Kirche Unser Lieben Frauen, Bremen und in der Klosterkirche St. Marien, Lilienthal - im Oktober 2023
Label: Arcantus | arc 24054 (C) 2024
Weitere Infos siehe auch: https://www.claraguldbergravn.com/
https://www.andre-sokolowski.de
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