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CD-Kritik

Was hat das

Bandoneon

mit Krefeld

zu tun?



Bewertung:    



Der in Kaliningrad als Sohn einer deutschen Mutter und eines russischen Vaters geborene und im Alter von 22 Jahren mit seiner Familie nach Deutschland übersiedelte André Parfenov - seit 1998 ist er als Solopianist und Repetitor am Theater Krefeld und Mönchengladbach engagiert - hat jetzt ein Album unter dem Titel Bandoneon-Story beim Label NAXOS veröffentlicht. Zusammen mit seiner rumänischen Duo-Partnerin, der Geigerin Iuliana Münch (sie ist ebenfalls am Krefelder Theater engagiert), und dem argentinischen Bandoneonspieler Omar Massa spielten sie vierzehn mehr oder weniger kurze Stücke, die sämtlich um die Themen Bandoneon & Krefeld kreisen, auf CD ein; Parfenov hatte sie komponiert.

Wie kamen sie auf die Idee?

Das vom Musikwissenschaftler Steffen A. Schmidt vorzüglich geschriebene Booklet gibt detaillierte Auskunft zum Projekt an sich:




"Den musikalischen Ritterschlag erhält ein Instrument, wenn es an staatlichen Hochschulen studiert werden kann. So war es bei der Klarinette und beim Saxofon. Seit einigen Jahren gilt dies auch für das Bandoneon. Durch das Wirken Astor Piazzollas eröffneten sich neue Klang- und Spielräume des Instruments, die untrennbar mit der Schöpfung des Tango Nuevo verbunden sind. Die Musik stand nun für sich selbst, brauchte nicht auf den Zusammenhang von Tanz und Gesang zurückzugreifen. Das Instrument selbst ist nun der Protagonist.

Daher mag es einigermaßen überraschen, dass das Ursprungsland des Bandoneons keineswegs Argentinien ist. Die verschlungene Geschichte führt zurück nach Deutschland, in das niederrheinische Krefeld. Damals, um 1850, als Seidenweberstadt wirtschaftlich prosperierend, entwickelte Krefeld eine Musikkultur, die von einem Cellisten und Musikalienhändler besonders unterstützt wurde. Sein Name war Heinrich Band. Den Bedürfnissen neu entstehender Musikvereine folgend, konzipierte Band ein Instrument, das die harmonische Funktion der Orgel übernehmen konnte, wie zuvor schon das Akkordeon. In einem kleineren Format gehalten, aber durchaus vornehm verarbeitet, diente das neue Instrument zunächst für die Begleitung einfacher Vokal- und Volksmusik, durchaus aber auch für Arrangements berühmter Arien und Ballette. Die Kosten konnten bei der Herstellung gering gehalten werden, durch das Hinzuziehen von Subunternehmen in Waldheim und Chemnitz, die Teile des Instruments in Gefängniswerkstätten fertigen ließen. Das überzeugende Preis-Leistungs-Verhältnis machte das kleine Schmuckstück schnell bekannt."



Und so kam's also zu dem Instrumentennamen Bandoneon (abgeleitet vom bürgerlichen Namen "Heinrich Band"), und der hiermit untrennbar im Zusammenhang stehende Bezug zu Krefeld (s.o.) wäre somit hergestellt.

Man lernt nie aus.

Zudem: In NRW wird Tradition nicht nur um Karneval herum gepflegt; ja und so wurde Omar Massa letztes Jahr mit dem seit 2018 ausgelobten Bandoneon-Preis der Stadt Krefeld geehrt - auch das war sicherlich eine der Initialzündungen, weswegen es jetzt aktuell zu dem Bandoneon-Projekt gekommen war.




Der argentinische Bandoneonist Omar Massa | Foto (C) Marco Borggreve


"Bei der Bandoneon-Story handelt es sich um eine Anzahl von Sätzen, die von den verschiedenen historischen Stationen inspiriert wurde; sowohl von den neueren Entwicklungen in Südamerika, aber durchaus auch auf Quellen des Krefelder und Chemnitzer Ursprungs zurückgreifend. [...] Die vorliegende CD lässt sie zur Klangreise werden. Ein Klang, der keineswegs rekonstruktiv angelegt ist im Sinne eines "so-ist-es-gewesen", sondern vielmehr, ähnlich einem Historienfilm, ein geschichtliches Panorama aus der Gegenwart kommentiert. Die Besetzung eines Trios aus Bandoneon, Klavier und Violine, lässt dabei die Nähe zum Tango ebenso deutlich werden, wie sie zugleich offen ist für alle weiteren stilistischen Facetten, die auf der CD die Erzählung einer packenden wie auch gefühlvollen Reise musikalisch entwickeln. Eine historisch inspirierte Forschung von Musik. Denn Parfenov bleibt in seinen Kompositionen keineswegs bei den Rekonstruktionen der Ländler oder gängigen Errungenschaften des Tango stehen." (Steffen A. Schmidt)


Es gibt elf Stücke in Dreierbesetzung und drei Instrumental-Soli, nämlich ein tatsächliches Bandoneon-Solo (mit Massa) sowie Maschinentanz und Familienszene (mit Parfenov).

Auch die anderen Titel von Parfenovs Bandoneon-Story machen neugierig:

In der einleitenden Huldigung an Buenos Aires ist der für Argentinien so typische Tango Nuevo heraushörbar.

Das thematisch fast nahtlos anschließende Adagio dient als Referenz an den Dichter Jorge Luis Borges, der sehr oft sowohl die Straßen als auch die Stadtviertel der argentinischen Hauptstadt besungen hat.

Bandoneonschöpfung würde (lt. Stückbeschreibung) zwischen der historischen Gegebenheit des Instrumentenbaus und der poetischen Fiktion einer Klanggeburt navigieren.

Den an die Seidenweberei erinnernden Tanz der Tücher hatte vormals schon das Krefelder Ballett für sich entdeckt.

Im Stück Wedding (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Berliner Stadtbezirk) wird das Ritual einer Hochzeit musikalisch reflektiert.

Zwei vom Komponisten durchaus skurril, witzig und dreist aufgefasste kurze Gesellschaftstänze - Polka und Ländler - folgen, sie dauern jeweils nicht mal zwei Minuten.

Auf allzu rasanten wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt vs. aufstrebendes Bürgertum im Krefeld des 19. Jahrhunderts hebt das Stück Protest ab:



"Das Klavier haut jetzt mit der Faust auf den Tisch, schweren Schrittes wird eine Richtung eingeschlagen, der die anderen Instrumente in grimmigem Entschluss folgen. Mit einem sich beschleunigenden Unisono-Stampfen entsteht die ganze Wucht einer treibenden Entwicklung, die Veränderungen erzeugt. Tumultös euphorisch stimmen die Instrumente ein in einen Freudenmarsch." (Steffen A. Schmidt)


Im Männertanz obsiegt dann wieder die Geschichte des Tangos, der ja ursprünglich als ein das weibliche Geschlecht imponierender (Männer-)Kampf angelegt war.

Und wieder fast nahtlos folgt ein (fast "originaler") Tango in rhythmisch-ursprünglicher Version.

Zum abschließenden Finale klingt dann noch ein spannender Dialog zwischen Elementen des Tango Nuevo und "klassischer" Filmmusik.

*

Ich gestehe, dass ich mich bis da noch nie zuvor mit der Materie (also Tango und/ oder Bandoneon) beschäftigt geschweige denn auseinandergesetzt habe. Dass ich das nunmehr mittels vorliegendem Album gern und wissbegierig nachholen durfte, zähle ich zu meinem ganz persönlichen Gewinn.

Andre Sokolowski - 13. Dezember 2024
ID 15054
André Parfenov: Bandoneon-Story
1. Buenos Aires 2:57
2. Adagio 4:29
3. Bandoneonschöpfung 5:45
4. Solo 2:12
5. Maschinentanz 2:36
6. Tanz der Tücher 4:23
7. Wedding 5:08
8. Polka 1:43
9. Ländler 1:57
10. Familienszene 8:25
11. Protest 3:45
12. Intro – Männertanz 3:30
13. Tango 3:16
14. Finale 3:01
Iuliana Münch, Violine
André Perfenov, Klavier
Omar Massa, Bandoneon
Aufgenommen auf Burg Linn in Krefeld, 03/2024
Label: NAXOS 8551479


https://www.naxos.com/


https://www.andre-sokolowski.de

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