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CD-Kritik

Cristian

Sandrin (32)

“wagt sich” an

Beethovens

Opus 111



Bewertung:    



Beethovens Klaviersonate c-Moll op. 111 bewegte und bewegt Gemüter und Verstand zahlloser Freunde und Versteher dieses spätestens seit Thomas Manns karikativer Beschäftigung mit ihr (im Doktor Faustus) so eigentlich doch unerklärlicher denn je seienden Werkes – Wendell Kretzschmar, der Musiklehrer Adrian Leverkühns (der Hauptfigur im Faustus), spielt und erklärt es vor einem mehr oder weniger interessierten Publikum:


“Nun, der Mann war imstande, eine ganze Stunde der Frage zu widmen, ’warum Beethoven zu der Klaviersonate op. 111 keinen dritten Satz geschrieben habe’, – ein besprechenswerter Gegenstand ohne Zweifel. Aber man denke sich die Anzeige angeschlagen am Hause der ‘Gemeinnützigen Thätigkeit’, eingerückt in die Kaisersaschener ‘Eisenbahnzeitung’, und frage sich dann nach dem Maß von öffentlicher Neugier, die sie erregen konnte. Man wollte schlechterdings nicht wissen, warum Opus 111 nur zwei Sätze habe. Wir, die wir uns zu der Erörterung einfanden, hatten freilich einen ungemein bereichernden Abend, und dies, obgleich uns die in Rede stehende Sonate bis dato ganz unbekannt gewesen war. Jedoch lernten wir sie durch diese Veranstaltung eben kennen, und zwar sehr genau, da Kretzschmar sie auf dem recht minderen Pianino, das ihm zur Verfügung stand (ein Flügel war nicht bewilligt worden), vortrefflich, wenn auch mit schollerndem Klange, zu Gehör brachte, zwischendurch aber ihren seelischen Inhalt, mit Beschreibung der Lebensumstände, unter denen sie – nebst zwei anderen – verfaßt worden, mit großer Eindringlichkeit analysierte und sich mit kaustischem Witz über des Meisters eigene Erklärung erging, warum er auf einen dritten, mit dem ersten korrespondierenden Satz hier verzichtet habe. Er hatte nämlich dem Famulus auf seine Frage geantwortet, daß er keine Zeit gehabt und darum lieber den zweiten etwas länger ausgedehnt habe. Keine Zeit! Und mit ‘Gelassenheit’ hatte er es auch noch geäußert. Die in solcher Antwort liegende Geringschätzung des Fragers war offenbar nicht bemerkt worden, aber sie war gerechtfertigt durch die Frage.”

(Zitiert aus dem VIII. Kapitel des Romanes Doktor Faustus von Thomas Mann)



Es gab und gibt also [siehe obiges literarisches Beispiel] viel zu rätseln und zu spekulieren über Beethovens letzte Klaviersonate – die 31 Exemplare vor ihr, die das Werkverzeichnis der Sonaten für Klavier aufweist, waren und sind gewiss nicht annähernd so diskussionswürdig wie die bewusste; und obgleich der hörerische Laie einige ihrer gewiss nicht unbedeutenderen Schwestern, die da beispielsweise Pathétique, Mondscheinsonate, Waldstein-Sonate, Appassionata oder Les Adieux geheißen werden, so vom Hören und Sagen deutlich besser zu kennen vermeint als dieses ominöse Opus 111.

Zumeist sind es die altgedienten Pianisten-Granden, die dann ihr Berufsleben mit Opus 111 inkl. deren numerische Vorläufer op. 110 und 109 - diese Sonaten-Trias gilt im eigentlichen Sinne als Programm und war von Beethoven auch so, als “Zyklus” sozusagen, irgendwie gewollt [aber ich will Sie hiermit jetzt nicht weiter langweilen] – in Plattenstudios oder auf Konzertpodien zu krönen beabsichtigen; es ist wie ein altersweisheitliches Bilanzieren oder Überdenken dessen, was ihnen bisher (und insbesondere bei Opus 111) nie oder noch nicht aufgefallen sein könnte. Ich selbst wüsste mich aktuell nicht für und auch nicht gegen referenzlastige Hörbeispiele zwischen Arrau, Gulda, Brendel usw. zu entscheiden; ja und live hatte ich Opus 111 bisher dann auch noch nie erlebt.

Was also treibt einen gerade mal mit Anfang 30 seine pianistische Karriere angefangen und in Schwung gebracht habenden Mann dazu, sich “jetzt schon”, in so jungen Jahren, mit dem klavieristischen Alterswerk von Beethoven (und insbesondere mit Opus 111) auseinanderzusetzen, es quasi in Vorleistung zu praktizieren?

Diese Frage scheint so müßig wie das [obig] aufgemachte Fass an sich.




Der rumänische Pianist Cristian Sandrin | Foto (C) Yvonne Hartmann


*

Cristian Sandrin, den ich spätestens seit seiner ersten CD Correspondances (2023) auf dem Schirm hatte, drängt nunmehr mit seiner Einspielung von Beethovens drei letzten Klaviersonaten auf den Phonomarkt; sein Album hat diesmal gottlob keinen Titel, die vom Cover-Layout her geradezu unauffällige Kopplung der Namen des Komponisten und seines Interpreten reichen da völlig aus.

Der Pianist würde Beethoven “nicht nur als titanischen Komponisten” betrachten, sondern “in seiner Musik eine Fülle verborgener emotionaler Nuancen” entdecken, wie er gegenüber seinem Management zu verstehen vorgibt; er erklärt es weiter so:



“Beethovens präzise Spielanweisungen sind unglaublich fortschrittlich für seine Zeit, aber sie allein reichen nicht aus, um seine Musik wirklich zum Leben zu erwecken.”


Zur besonderen Auffälligkeit dieser seiner zweiten CD gehört, dass Sandrin vor dem “nur” zweisätzigen Opus 111 die seiner Zeit von Carl Tausig für Klavier transkribierte sog. Cavatina aus dem letzten Streichquartett von Beethoven – welches wiederum nach seinem fünften Satz, nämlich der sog. Cavatina, oftmals durch die Große Fuge op. 133 “unterbrochen” und eine Viertelstunde später mit dem siebenminütigen Finalsatz des bewussten Streichquartetts op. 130 “fortgesetzt” wird - positioniert. Sie steht somit als schier entspannendes und schlichtendes Moment und stimmt mich Hörer auf die mir bevorstehende und mir seelisch gut tuende Unerklärlichkeit von Opus 111 geschmeidig ein.


“Ich stelle mir vor, wie Beethoven am Klavier saß, während die ersten Ideen für das Quartett entstanden – das Klavier als Ursprung der melodischen und harmonischen Gedanken.” (Cristian Sandrin)


Sandrinis jugendliche Herangehensweise an Beethovens Alterswerk erscheint mir stimmig und erfrischend zugleich, seine Interpretation ist klar, präzise, durchsichtig, sie birgt vor allem Unbelastendes in sich und führt infolgedessen umso mehr zu einer noch viel geistigeren Aufgeschlossenheit diesen von ihm gewählten Stücken gegenüber.

Ich hatte mir die Scheibe zweimal hintereinander angehört, bevor ich meinen Text zu schreiben begann. Und ich werde sie mir nachher oder im Verlauf der nächsten Tage nochmals anhören.

Ein schöner Anlass also, um mich nach geraumer Zeit mal wieder endlich mit Beethovens Opus 111 gedanklich befasst zu haben.
Andre Sokolowski – 7. April 2025
ID 15219
CRISTIAN SANDRIN | LUDWIG VAN BEETHOVEN
- Klaviersonate Nr. 30 E-Dur op. 109
- Klaviersonate Nr. 31 As-Dur op. 110
- Cavatina. Adagio molto espressivo - aus dem Streichquartett Nr. 13 B-Dur op. 130 (für Klavier bearbeitet von Carl Tausig)
- Klaviersonate c-Moll op. 111
Cristian Sandrin, Klavier
Aufgenommen in den MotorMusic Studios (Belgien) vom 22. bis 24. 8. 2024
Label: Evil Penguin Classic, EPRC 0068

Weitere Infos siehe auch: https://www.cristiansandrin.com


https://www.andre-sokolowski.de

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