FESTTAGE 2015 der Staatsoper Unter den Linden
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Sekten in
Sibirien
PARSIFAL von Wagner
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Bildquelle: facebook.com/staatsoper
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Bewertung:
Der von uns ganz zuletzt verkonsumierte Parsifal liegt nun bereits zwei Spielzeiten zurück - da waren wir auf Christian Thielemanns Zepter-Entgegennahme hinsichtlich der Osterfestspiele von Salzburg mehr als neugierig; ja und da sahen/hörten wir dann auch den Wolfgang Koch (Amfortas/Klingsor gleichermaßen) erstmals überhaupt. Das hatte uns in summa eigentlich - außer der blödsinnigen Inszenierung - ziemlich gut gefallen. Und es hatte ja auch dieses anheimelnde und seniorenresidenzähnliche Flair, in dem man sich als junger (jüngerer!) Besucher immer wieder aufgehoben und geborgen fühlt - - so ähnlich aufgehoben und geborgen wie bei den gestern eröffneten FESTTAGEN der Staatsoper Unter den Linden, wo die Wiener Philharmoniker Boulez und Schubert spielten...
Um nicht weiter abzuschweifen - hier die sachdienlichen Fakten:
Nachkriegs-Parsifal-Premieren Untern Linden fanden 1977 (Suitner/Kupfer), 1992 (Barenboim/Kupfer), 2005 (Barenboim/Eichinger) und 2015 (Barenboim/Tcherniakov) statt. Die gestrige Premiere war demnach bereits die dritte in der Ära Barenboim und mit ihm selbst am Pult; ein wahrlich elitäres Steckenpferd.
Der Inszenierer/Bühnenbildner Dmitri Tcherniakov, der inzwischen als Regie-Star weltweit unentbehrlich zu seien scheint, hatte mit Barenboim bereits (am Ostberliner Stammhaus) Boris Godunow, Der Spieler und Die Zarenbraut gemacht; alles sehr sehenswerte Produktionen. Diesem dreiteiligen Quasi-Russen-Zyklus hat er nunmehr einen vierten Teil hinzugezeitigt: nämlich Wagners Bühnenweihfestspiel.
Wir lesen im Programmheft unterhalb der Überschrift "Russischer Parsifal" von einer Reihe ehrgeiziger Übersetzungen des Wagner'schen Librettos und bedauern - nach der fünfeinhalbstündigen Sichtung aller Dinge, die uns der Tcherniakov observierte - , diesen aktuellen Parsifal nicht spaßeshalber mal auf Russisch vorgesungen bekommen zu haben; das hätte uns zumindest dann die schwachsinnige Weihe-Krampf-Gesülze-Endlosschleiferei zu hör'n erspart; man muss ja nicht die deutschen Übertitel dauernd mitlesen...
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Russische Gralsritter im neuen Parsifal an der Staatsoper im Schiller Theater - Foto (C) Ruth Walz
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Was also ist hier los?
Das Ding spielt irgendwo weitab im Osten, könnte fast Sibirien sein. In einer ziemlich 'runtergekommenen Kapelle (wo gewiss seit Ewigkeiten keine orthodox-institutionellen Gottesdienste mehr gehalten worden sind) haben sich Leute aus der Unterschicht (Aussteiger?) sektenmäßig eingefunden und "gehorchen" einer Art von Guru, der von René Pape grollend-tief und stark-autoritär verkörpert wird; der Vorlage nach könnte das womöglich Gurnemanz sein, aber sicher sind wir uns da nicht... Die Unterschichtler haben unter sich so was wie einen Buhmann ausgemacht, den Wolfgang Koch mimt; dem Wundbauchverband nach müsste das Amfortas sein, gewiss... Plötzlich tritt noch ein Riesen-Typ mit grauem Haar und schwarzem Ledermantel auf, der sich als Buhmann-Vater ausgibt und uns an den Bass-Altstar Matthias Hölle live zurückerinnen lässt; ja, das ist Titurel, ganz klar... Ins Unterschichten-Sekten-Treiben platzt abrupt ein Touri aus dem Westen, den Andreas Schager (mit 'nem Rucksack hinten drauf) forcierend singend darstellt; das kann nur die Titelfigur von der Oper sein... Und eine etwas liederlich wirkende Frau mit abgenutzter Lederknautschtasche macht sich als Einzelweib bemerkbar, das von Anja Kampe [die zu der Premiere stark erkältet war und trotzdem bis zum Ende durchhielt] vorgeführt wird; Kundry, hundertpro.
Dasgleiche Kircheninnere ist dann - im Klingsor/Blumenmädchen-Akt - kalkweiß gehalten, und Tómas Tómasson spielt dort einen etwas minderbemittelten Trottelvater von zig Töchtern von Kleinkäsehoch über Halbwüchsig bis Fastschongeschlechtsreif; Klingsor/Blumenmädchen, wie gesagt. Elena Zaytseva hat für die russischen Familienpartikel schöne doof-bunte Kleinblümchenkleiderchen entworfen.
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Blumenmädchenszene aus dem neuen Parsifal an der Staatsoper im Schiller Theater - Foto (C) Ruth Walz
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In dem dritten Akt sehen wir wieder jene 'runtergekommene Bruchbudenkapelle. [Angeblich hätte der die Inszenierung unterstützende Verein der Freunde und Förderer der Staatsoper 100.000 Euro für das Bühnenbild zusammengesammelt; hält man es für möglich? was für Größenordnungen!]
Der Regisseur macht viel auf Ironie, es gibt also viel Stellen, wo man insgeheim auf Schenkelklopfen oder unterdrücktem Lachkrampf machen kann.
Ob das mit Daniel Barenboims Humorbereitschaft kompatibel war? Wahrscheinlich, denn sonst hätte er Tcherniakov wieder ausgeladen oder so.
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Auf jeden Fall: Die Staatskapelle Berlin musizierte ihren vielleicht längsten Parsifal aller Zeiten. Ein Oratorium in Zeitlupe. Ein Klangteppich zum Drauf- und Reinlegen. Nein, langsamer geht's wahrlich nicht mehr.
Bravos zur Musik, paar Buhs zur Inszenierung.
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René Pape und Anja Kampe im neuen Parsifal an der Staatsoper im Schiller Theater - Foto (C) Ruth Walz
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Andre Sokolowski - 29. März 2015 ID 8532
PARSIFAL (Staatsoper im Schiller Theater, 28.03.2015)
Musikalische Leitung: Daniel Barenboim
Inszenierung und Bühnenbild: Dmitri Tcherniakov
Kostüme: Elena Zaytseva
Licht: Gleb Filshtinsky
Chöre: Martin Wright
Dramaturgie: Jens Schroth
Besetzung:
Amfortas ... Wolfgang Koch
Gurnemanz ... René Pape
Parsifal ... Andreas Schager
Klingsor ... Tómas Tómasson
Kundry ... Anja Kampe
Titurel ... Matthias Hölle
Knappen ... Sónia Grané, Annika Schlicht, Stephen Chambers und Jonathan Winell
1. Gralsritter ... Paul O’Neill
2. Gralsritter ... Grigory Shkarupa
Blumenmädchen ... Julia Novikova, Adriane Queiroz, Sónia Grané, Narine Yeghiyan, Annika Schlicht und Anja Schlosser
Stimme aus der Höhe ... Annika Schlicht
Konzertchor der Staatsoper Unter den Linden
Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin
Premiere bei den FESTTAGEN war am 28. März 2015
Weitere Termine: 31. 3. / 3., 6., 12., 18. 4. 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper-berlin.de
Post an Andre Sokolowski
http://www.andre-sokolowski.de
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