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Konzertkritik

Crowdsurfing

und ein Kiss-In



Felix Brummer, Leadsänger von Kraftklub, im Palladium Köln | Foto © Ansgar Skoda

Bewertung:    



Ein Saisonhighlight - Konzert und Bonuskonzert im Kölner Palladium sind schon lange im Vorfeld ausverkauft:

Die 2010 gegründete Band Kraftklub veröffentlichte 2017 ihr drittes Studioalbum Keine Nacht für niemand, das prompt auf Platz 1 in die deutschen Charts einstieg. Im vergangenen Jahr gewann die fünfköpfige Band aus Chemnitz dann auch die 1 Live Krone als bester Live-Act, was zusätzliche Erwartungen schüren dürfte. Die jungen Männer von Kraftklub beweisen tatsächlich Durchhaltevermögen. Sie warten in ihrer lebendigen Show vor etwa 4.000 Zuschauern mit allerlei Überraschungen auf. Das noch recht junge Publikum feiert bereits ausgelassen. Einige wenige haben schon vor Konzertbeginn scheinbar zu viel getrunken und sich vorm WC flugs vornübergebeugt erleichtert. Bei einer Band, die selbst kein Blatt vor den Mund nimmt und zu deren Stammvokabular sprichwörtlich „Scheiße“ gehört, ist mit allem zu rechnen.

Die kreischenden Fans laufen zu wahren Hochtouren auf, als das großformatige Kraftklub-Konzertbanner vor der Bühne abgerissen wird. Das Quintett kommt dahinter zum Vorschein und legt sogleich energiegeladen los. Leadsänger Felix Brummer wirbelt zu Rhythmen des neuen Albums dynamisch cool rappend über die Bühne. Die sichtlich konzentrierte Security im Bühnengraben hat alle Mühe immer wieder crowdsurfende Fans zurück ins Publikum zu drängen. Immer wieder werden junge Fans auf dem Rücken oder Bauch liegend von der Menge emporgehoben und auf Händen hin zur Bühne getragen. Im Sound der Musik schwenken Lichteffekte über die Bühne und die davor feiernde Menge. Die Fans grölen mit bei Songs wie „Chemie Chemie Ya“, „Mein Leben“ und „Eure Mädchen“, die irgendwo zwischen Indie, Punkrock und Rap angesiedelt sind.

Eine effektvoll in die Show eingebettete technische Panne, auf die Kraftklub spontan die Bühne hin verlässt, sorgt für allerlei Überraschung. Denn prompt betritt die Alternative-Rockband Donots die Spielfläche und performt einen eigenen Hit. Später sind auch noch andere Künstler zugegen und zum gecoverten „I love it“ (Orig. von Icona Pop feat. Charli XCX) zelebrieren zwei Männer im Scheinwerferlicht ein Kiss-In. Frontmann Brummer erklärt, dass sich Kraftklub gegen Rechtspopulismus, Rassismus und Homophobie ausspreche. Sie setzen mit „Karl-Marx-Stadt“ ihrer Heimat ein augenzwinkerndes Denkmal und drücken auch während des Konzertes ihre Besorgnis darüber aus, dass Chemnitz zur Hochburg der neuen Rechten mutiere. Es wird der Ärzte-Klassiker „Schrei nach Liebe“ performt. Für den sanfteren Song „Ein Liebeslied“ bittet Brummer die Zuschauer die Taschenlampenfunktion ihrer Smartphones zu aktivieren. Feierlich sieht man nun tausende Lichter schwenken.

Die Band um Brummer, der eigentlich mit Nachnamen Kummer heißt, Karl Schumann (Rhythmusgitarre, Gesang), Steffen Israel (Leadgitarre, Keyboard), Max Marschk (Schlagzeug) und Felix kleinen Bruder Till Brummer bzw. Kummer (E-Bass) startet die Zugabe „Ich will nicht nach Berlin“ unverhofft im hinteren Bereich der Konzertlocation. Das Quintett wird hier nun, auf einer Rampe erhöht, während der Perfomance langsam über das Publikum hinweg gen Hauptbühne gefahren.

Der insgesamt recht sehenswerte Event vermag leider nicht darüber hinwegzutäuschen, dass die ausgelassenen Songtexte der Künstler manchmal etwas unglücklich sind, etwa wenn sie sich allzu unreflektiert der Umgangssprache bedienen. So festigt Kraftklub in der Jugendkultur beispielsweise mit dem Song „Liebe“ ein Bild, das Menschen mit Behinderung tangieren dürfte. Brummer singt hier „Doch dieser Spasti hat dich nicht verdient, ich hasse ihn!/Ich hasse ihn, ich hasse alle, die noch kommen werden!/Ich würd gerne alle diese Spasten vom Balkon werfen!“ Mit der Beleidigung soll ein Konkurrent runtergemacht werden, der eine Affäre mit dem vormaligen Schwarm hat. Ein Mensch, der unter einer spastischen Lähmung leidet, soll wahrscheinlich nicht angesprochen werden. Vielen Fans und Besuchern wird die ausgelassene und facettenreiche Show trotz der teils kritikwürdigen Lyrics lange in Erinnerung bleiben. Neben Taxikolonnen bahnen sich nach der gefeierten Zugabe auch Krankenwagen ihren Weg zur Konzertlocation.



Kraftklub im Kölner Palladium | Foto © Ansgar Skoda

Ansgar Skoda - 23. März 2018
ID 10601
Nächste Konzerttermine von Kraftklub:
8 .- 9. 6. | Schloss Kaltenberg, PULS Openair
14. - 16. 6. | Nickelsdorf (Österreich), Nova Rock
22. - 24. 6.| Scheessel, Hurricane Festival
22. - 24. 6. | Neuhausen ob Eck, Southside Festival
29. - 30. 6. | Chemnitz, Kosmonaut Festival
11. - 14. 7. | Bern (Schweiz), Gurtenfestival
19. - 21. 7. | Lumnezia (Schweiz), Openair Lumnezia
27. - 28. 7. | Dortmund, Juicy Beats Festival
4. 8. | Berlin, Wulheide
2. - 4. 8. | Lustenau, am Alten Rhein (Österreich), Szene Openair
8. - 12. 8. | Eschwege, Open Flair Festival
9. - 12. 8. | Rothenburg o.d. Tauber, Taubertal Festival
9. - 11. 8. | Püttlingen, Rocco del Schlacko
25. 8. | Dresden, Elbufer


Weitere Infos siehe auch: http://www.kraftklub.to/


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