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100 Jahre

Stuttgarter

Philharmoniker

und Stuttgarter Kulturgemeinschaft




Zwei Institutionen haben gemeinsam ihr hundertjähriges Bestehen gefeiert: Die Stuttgarter Kulturgemeinschaft und die Stuttgarter Philharmoniker.

Eingerahmt von anlasstypischen Begrüßungen, einer von einer populären ansässigen Rundfunksprecherin moderierten Minitalkrunde und zwei nichtssagenden Filmclips spielten die Philharmoniker, die seit dem Weggang von Dan Ettinger keinen Chefdirigenten mehr haben, unter der Leitung von Andrey Boreyko Carl Maria von Webers Oberon-Ouvertüre, George Gershwins Rhapsody in Blue und Ottorino Respighis Pini di Roma.

*

Der Staatssekretär Arne Braun eröffnete sein Grußwort mit einer der törichtsten Politikerphrasen, die durch ständige Wiederholung nicht richtiger werden. „Wir haben Kultur noch nie so nötig gebraucht wie heute.“ Nicht 1980? Nicht 1945? Nicht 1918? Die Wahrheit ist: das gilt, wenn überhaupt, für die rund 4 Prozent der Bevölkerung, die regelmäßig vom Kulturangebot Gebrauch machen. Der Rest hat die Sportschau, Thomas Gottschalk, Taylor Swift, den Weihnachtsmarkt und Steuersenkungen nötiger denn je.

Die Stuttgarter Kulturgemeinschaft ist aus der sogenannten „Volksbühne“ der Vorkriegszeit hervorgegangen. Sie ist ein Kind der Arbeiterbewegung, ein Ergebnis der damals virulenten, heute längst vergessenen Bestrebungen, jener Mehrheit der Bevölkerung, die traditionell von Theater- oder Konzertbesuchen ausgeschlossen blieb, schon weil ihnen die Bildungsvoraussetzungen vorenthalten worden waren, die bürgerliche Kultur zugänglich zu machen. Sie hatte, wie die Volkshochschulen, Anteil an den Bemühungen, innerhalb der bestehenden Klassengesellschaft wenigstens versuchsweise zu demokratischeren und egalitären Verhältnissen beizutragen.

Diese Bemühungen sind, wie die vielfältigen Ansätze zu einer eigenständigen Arbeiterkultur – die Konsumvereine, die Neue Heimat, die Mandolinenorchester, die Arbeiterchöre – aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden oder vielmehr von der Bourgeoisie, die sich ihrer Herrschaft so sicher ist wie nie zuvor, beseitigt und vernichtet worden. Immerhin: die Stuttgarter Kulturgemeinschaft ist als Erinnerung an die wechselvolle Geschichte der Arbeiterbewegung erhalten geblieben, auch wenn sie ihre einstige Symbiose mit der Gewerkschaft, von der sie sich 1961 als gemeinnütziger Verein losgelöst hat, verschämt verschweigt. Sie ist die mitgliederstärkste Theaterbesucherorganisation der Bundesrepublik. Ihre Abonnenten können zu reduzierten Preisen an Kulturveranstaltungen der Stadt und der Region teilnehmen.

Auch der Jubiläumsanlass allerdings soll uns nicht daran hindern, an die Todsünde der Kulturgemeinschaft zu erinnern: die Reduzierung der reichhaltigen, weit über Stuttgart hinaus beachteten Zeitschrift kultur mit ausführlichen Rezensionen und Grundsatzartikeln vor mehr als zehn Jahren zu einem dünnen Anzeigenblättchen. Das war ein Verrat an den eigenen Ansprüchen, an dem aufklärerischen Impetus und an der Vielfalt einer Medienlandschaft, die sich heute kaum noch jemand vorstellen kann. Er hat eine verstümmelte Kulturberichterstattung für die Region hinterlassen.

*

Blieb die Musik der Stuttgarter Philharmoniker, die ihre Qualität in den vergangenen Jahrzehnten signifikant steigern konnten. Die Pini di Roma gaben den einzelnen Instrumentengruppen Raum, ihr Können unter Beweis zu stellen. Die dazu gelieferte Lightshow allerdings dürfte Besucher von Popkonzerten eher unterfordert haben. Da hätte schon ein Bläser mit seiner Posaune auf einem Trapez in den Saal der Liederhalle schweben müssen, um Aufsehen zu erregen.

Seine Rhapsody in Blue hat Gershwin für das kleinere Jazzorchester von Paul Whiteman geschrieben. Ob sie durch die Dynamik eines großen Sinfonieorchesters gewinnt, lässt sich anzweifeln. Atemberaubend jedenfalls war der brasilianische Pianist Fabio Martino, nicht nur wegen seiner stupenden Technik, sondern auch wegen seines Jazzfeelings und durch sein differenziertes Rubato. Offenbar ließ ihn der Applaus vergessen, dass an diesem Abend die Stuttgarter Philharmoniker gefeiert werden sollten. Er lieferte zwei solistische Zugaben.

Bewertung:    
Thomas Rothschild – 21. September 2024
ID 14928
https://www.stuttgarter-philharmoniker.de/


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