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Projektions-
fläche
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Mark Weigel als Peron und Bettina Mönch als Evita im Musical Evita am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu
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Bewertung:
Das Theater Bonn eröffnet die neue Spielzeit fulminant mit einem Parforceritt an wechselnden szenischen Bühnenbildern und gut aufeinander abgestimmten Tanz- und Gesangseinlagen. Dynamisch eindrucksvoll setzt Gil Mehmert das Musical Evita mit der Musik von Andrew Lloyd Webber und Gesangstexten von Tim Rice in Szene. Das große Ensemble glänzt mit punktgenauen, souveränen gesanglichen und choreographischen Einsätzen. Aufgrund der gut verständlichen und von Michael Kunze ins Deutsche übertragenen Texte erinnert wenig an die pathetische US-amerikanische Verfilmung des Musicals von 1996, in der Popstar Madonna die Titelrolle spielte und vielleicht etwas zu sehr eine MTV-Videoclipästhetik dominierte. In der Musicalinszenierung im Bonner Opernhaus wird die Geschichte um den ehrgeizigen gesellschaftlichen Aufstieg einer jungen Frau und die Sehnsucht ärmerer Bevölkerungsschichten nach einer gefeierten Identifikationsfigur mit opulentem Dekor und klanglich virtuos dargeboten.
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Erzählt wird das Leben von María Eva Duarte de Perón (1919–1952), der zweiten Frau des argentinischen Präsidenten Juan Perón. Evita wächst als uneheliches Kind mit vier Geschwistern auf einem Dorf in der Nähe von Junin auf. Im Alter von 15 Jahren geht sie nach Buenos Aires, wo sie erst Model, später Radiosprecherin und schließlich Schauspielerin wird. Sie trifft General Juan Perón auf einer Wohltätigkeitsfeier. Nachdem sie kurze Zeit seine Geliebte ist, heirateten beide 1945. Evita unterstützt ihren Mann beim Präsidentschaftswahlkampf ein Jahr später. Mit populistischen Reden in einer wöchentlichen Radiosendung fordert sie insbesondere ärmere Bevölkerungsgruppe auf, Perón zu unterstützen. Nachdem Perón zum Präsidenten gewählt wird, beginnt Evita ihr soziales Engagement für die Armen und gründet 1948 eine Stiftung für Wohltätigkeit. Während Angehörige der Arbeiterklassen beginnen, Evita wegen ihres Einsatzes für die Armen zu verehren, wird sie von der reichen Elite Argentiniens verachtet, welche ihr ihre Herkunft und Promiskuität als junge Frau vorwerfen. Tatsächlich nutzte Evita zahlreiche Liebhaber, um gesellschaftlich aufzusteigen. Sie erarbeitet sich ihre Machtposition von der Staatsempfangsdame zur Volksrednerin, Ministerin, Botschafterin, Stiftungspräsidentin und schließlich Parteivorsitzenden. Mit nur 33 Jahren stirbt Evita an Krebs. Bis heute wird sie als Symbol einer aufrechten Politik zugunsten der Armen idealisiert und als Mythos, Ikone und Projektionsfläche von der argentinischen Bevölkerung kultisch verehrt.
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Auf einem treppenförmig ansteigenden Podest proklamiert Bettina Mönch (zuletzt aufgefallen als Audrey im Musical Der kleine Horrorladen) in der Titelrolle emphatisch „Weine nicht um mich, Argentinien“. Sie wendet dem Theaterpublikum den Rücken zu und ist umringt von andächtig lauschenden Statisten, die das einfache Volk mimen, von Beatrice von Bomhard liebevoll mit zeitgemäßen Kostümen ausgestattet. Langsam dreht sich die Bühne, und bald werden wir Evita ansichtig, konzentriert im Bühnenzentrum thronend. Mönch verkörpert die unterschiedlichen Facetten der durchaus ambivalenten Figur gekonnt. Sie zeigt Evita berechnend, machthungrig und kalt - aber auch einfühlsam, anziehend und glamourös. Gesanglich vermag sie dabei aus einer ganzen Bandbreite ihres vokalen Ausdrucks zu schöpfen. Als Repräsentant des Volkes, Außenseiter und zynischer Beobachter kommentiert David Jakobs in der Rolle des jungen Revolutionärs Ché temporeich die Ereignisse und fesselt mit einer mitreißenden Performance und gekonnt schillernden und prägnanten Gesangseinlagen. Mark Weigel verkörpert Perón mit adrettem Format, unscheinbar abwägend und im Hintergrund taktierend. Er lässt bei „Ich wäre überraschend gut für dich“ wohlig aufhorchen, wenn er in den prickelnden Singsang Evitas ebenso ausdrucksstark einstimmt. Bei „Ein weiterer Koffer in einer anderen Halle“ vermag Eva Löser als von Evita ausgestochene, leicht bekleidete Geliebte Peróns ungläubig fragend zu glänzen. Die im Bühnenhintergrund platzierte Band spielt die Kompositionen Webbers dicht, wohlaustariert und musikalisch überzeugend. Eine insgesamt sehr sehenswerte Vorführung, die trotz der manchmal zu sehr eingedeutschten Lyrics („Verlass mich nicht“ für „You must love me“) blendend unterhält.
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Mark Weigel als Peron und Ensemble im Musical Evita am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 16. September 2016 (2) ID 9552
EVITA (Theater Bonn, 08.09.2016)
Musikalische Leitung: Jürgen Grimm
Inszenierung: Gil Mehmert
Ausstattung: Beatrice von Bomhard
Licht: Thomas Roscher
Choreographie: Kati Farkas
Sounddesign: Stephan Mauel
Choreinstudierung: Marco Medved
Einstudierung Kinder- und Jugendchor: Ekaterina Klewitz
Dance Captain: Yoko El Edrisi
Besetzung:
Evita … Bettina Mönch
Ché … David Jakobs
Peron … Mark Weigel
Magaldi … Johannes Mertes
Mistress … Eva Löser
Mutter … Brigitte Jung
u.a.
Kinder- und Jugendchor des Theater Bonn
Band: Jürgen Grimm, Petra Riesenweber, Heinz Hox, Bastian Ruppert, Philipp Klahn, Stephan Schott, Rainer Wind, Martin Reuther und Wolf Schenk
Premiere an der Oper Bonn war am 4. September 2016.
Weitere Termine: 24. 9./ 3., 14. + 29. 10./ 5., 13. + 26. 11./ 16., 23. + 31. 12. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de
Post an Ansgar Skoda
http://www.ansgar-skoda.de
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