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Konzertkritik

Möwe

oder

Brachvogel



Cover Programmheft | (C) Elbphilharmonie Hamburg

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In der Elbphilharmonie Hamburg gab es jetzt - außer den Hunderten von anderweitigen Konzerthighlights im Zuge ihrer Neueröffnung - ein genauso kosmisch (wie ihr Bau an sich) gewolltes Festival unter dem Titel Lux aeterna. Und zum Schluss dieser Begebenheit setzten die Dramaturgen des Veranstalters Benjamin Brittens Curlew River, eine zwischen Mysterienspiel und Nō-Theater changierende Kirchenparabel (A Parable for Church Performance; Text von William Plomer), die man hierzulande wohl sehr selten oder gar vielleicht noch nie erlebt zu haben meinte, aufs Programm.



Konzertpodium in der Elbphilharmonie Hamburg vor der Aufführung von Benjamin Brittens Curlew River am 28. Februar 2017 | Foto (C) Claudia Höhne


"Curlew" ist übrigens der englische Begriff für "Brachvogel", und der Ort der Handlung sind die sog. Fens, eine Sumpf- und Moorlandschaft in Ostengland.

"Britten verschmilzt [in Curlew River] seinen persönlichen Glauben mit Erfahrungen einer Japan-Reise 1956. Streng, puristisch und auf das Wesentliche verdichtet – und doch unmittelbar zugänglich und ergreifend", heißt es lapidar auf elbphilharmonie.de.

Noch gründlicher drückte es Ilja Stephan aus, von dem man im Programmheft beispielsweise Dieses (zum konkreten Stück-Inhalt und insbesondere zu dem japanischen Binnenabschnitt) lesen konnte: Erzählt würde da "die Geschichte einer Mutter, die der Schmerz über den Verlust ihres Kindes wahnsinnig machte. An dem Tag, an dem am jenseitigen Flussufer eine Gedenkzeremonie für ihr vor einem Jahr an dieser Stelle verstorbenes Kind abgehalten wird, kommt sie auf der Suche nach ihrem entführten Kind an das Ufer des Flusses Sumida. Der Fährmann berichtet ihr vom Schicksal ihres Kindes. Kurzzeitig erscheint dessen Geist und spricht zur Mutter. Dieser Kern der Geschichte teilt sich mit - egal, wem, wann und wo."

Allerdings (so Ilja Stephan): "In Brittens Curlew River wird die Mutter am Ende von ihrem Irrsinn erlöst; dass sie ihr Kind im Jenseits wiedersehen wird, spendet ihr Trost."



Ian Bostridge in Curlew River von Benjamin Britten in der Elbphilharmonie Hamburg am 28. Februar 2017 | Foto (C) Claudia Höhne

*

Der britische Ausnahmetenor Ian Bostridge - ein Sänger intellektuellen Sonderschlags - war justament in jener Rolle der an vollständigem Irrsinn laborierenden weil kindverlustigen Mutter im sakralsten aller mir bis da bekannten Musen- und Konzerttempel erlebbar! Das an sich war schon mal eine Sensation.

Das anderthalbstündige Stück beginnt mit einem gregorianischen Choral, spintisiert sich dann in Richtung Sumidagawa, jener Nō-Theater-Vorlage von Jurō Motomasa (1395-1431), um letzthin in (wieder) einer Prozession zu Klängen des Chorals Te lucis ante terminum gewissermaßen "auszulaufen"... Die sehr stimmgewaltigen Herren von den Britten Sinfonia Voices taten also, aus der Saalesmitte zum Konzertpodium (und letztlich es wieder verlassend) gänsemarschgleich ihre wunderschönen Chorparts absolvieren.

In dem umfänglichen Zentrum [wie schon angedeutet] trafen nun der Chor als auch die Instrumentalisten von Britten Sinfonia unter Leitung Martin Fitzpatricks auf Bostridge; und die Binnenhandlung fand so statt - auch mit 'nem einprägsamen "Streitgespräch" über die ornithologischen Unterscheidungsmerkmale zwischen Möwe oder Brachvogel - - aufhorchen ließ dann überdies die engelgleiche Stimme des erst 13 Jahre jungen Daniel Hinze (vom Tölzer Knabenchor), der seinerseits den guten Geist des so urplötzlich seiner Mutter abhanden gekommenen Sohnes quasi 'runterlichtern ließ; das war schon sehr beeindruckend.

* *

Ansonsten ist der Curlew River schon ein sperriges und schwierig aufnehmbares Werk des uns v.a. durch den Billy Budd oder den Peter Grimes, mehr freilich noch durchs War Requiem bekannten Komponisten. Man vermisste irgendwie dann die Vermittlung eines simultanen deutschen Textes; wir vermuten mal, dass es womöglich irgendwann noch eine Nachrüstung, also rein baulich-technisch, geben wird bzw. geben müsste, um dem Manko dieser Art entsprechend zu begegnen.



Entgegennahme des Schlussapplauses für alle Curlew River-Mitwirkenden in der Elbphilharmonie Hamburg am 28. Februar 2017 | Foto (C) Edward John Semon


Andre Sokolowski - 2. März 2017
ID 9879
LUX AETERNA (Elbphilharmonie Hamburg, 28.02.2017)
Benjamin Britten: Curlew River / A Parable for Church Performance op. 71
Madwoman ... Ian Bostridge
Traveller ... Marcus Farnsworth
Ferryman ... Ashley Riches
Abbot ... Jonathan Lemalu
Spirit of the Boy ... Daniel Hinze (Solist des Tölzer Knabenchores)
Britten Sinfonia Voices
Britten Sinfonia
Dirigent und Orgel: Martin Fitzpatrick
Konzertante Aufführung in englischer Sprache


Weitere Infos siehe auch: http://www.elbphilharmonie.de


http://www.andre-sokolowski.de

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