Kindermund
tut Wahrheit
kund
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Ceri Williams als Mutter, Sumi Hwang als Lena und Daniel Pannermayr als Vater in Das Mädchen, das nicht schlafen konnte an der Oper Bonn | Foto © Thilo Beu
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Bewertung:
Gewichtiges Gehüstele im Publikum ist beinahe schon ein unverkennbares Merkmal jeder namhaften Opernvorstellung. Eine Ausnahme ist jedoch, wenn Besucher nicht davor zurückschrecken, die Übertitel einer deutschsprachigen Vorführung laut mitzulesen und das bildgewaltige und fesselnd inszenierte Geschehen eifrig zu kommentieren oder gar vorwegzunehmen. Das gemeinsam Erlebte gewinnt so eine ganz eigene Qualität. Eine hinter mir platzierte etwa Sechsjährige teilte ihren Sitznachbarn besonders eifrig Entdeckungen mit, lehnte sich mehrfach vor und legte gar ihr Kinn auf meine Sesselkante, um das Geschehen besser überblicken und beurteilen zu können. Ihr könnt es euch vielleicht schon denken; ich besuchte erstmals in der Oper Bonn eine Schulvorstellung und war überrascht, wie viele Schulklassen sich dann tatsächlich für Marius Felix Langes Vom Mädchen, das nicht schlafen wollte im Bonner Opernhaus einfanden. Das überwiegend sehr junge Publikum half so jedoch auch den älteren Besuchern, dass opulente Bühnengeschehen tatsächlich mit lebendigen Kinderaugen zu betrachten und den unvoreingenommenen Blickwinkel eines Kindes ernst zu nehmen.
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Lena und Leander sind beste Freunde und einander sehr zugetan. Leander versucht mit einem Stein einen Apfel vom Baum zu werfen und trifft dabei einen Vogel. Um seine aufgebrachte Freundin zu beruhigen erzählt er ihr, dass der Vogel nur schlafe, bis er von einer Prinzessin wieder wachgeküsst werde. Die Angst vor den Tod bringt Lena jedoch nun dazu, nicht mehr schlafen zu wollen. Nicht nur bei ihren Eltern, sondern in der gesamten Dorfgemeinde löst ihre Schlaflosigkeit bald allgemeine Ängste und Verunsicherung aus. Die Ärzte sind ratlos. Auf der Suche nach Schlafmitteln begegnen Lena und Leander schließlich bei gemeinsamen Expeditionen unheimlichen Flößern, skurrilen Totengräbern und gar dem sprichwörtlichen Mann im Mond.
Surreal verzerrte Dächer, die sich während der Vorstellung immer wieder effektvoll öffnen, deuten auf der Bühne anfangs und gegen Ende eine Fachwerk-Dorfidylle an und nehmen bereits eingangs als Hingucker für die Geschichte ein. Ausstatterin Tatjana Ivschina ergänzt ihr detailreiches Bühnenbild außerdem um ebenso phantasievolle Kostüme. So trägt etwa die Vogelprinzessin Alba ein wallendes und farbenprächtiges Blütenkleid von exorbitanter Länge.
Langes 2014 in Duisburg uraufgeführte Oper variiert Schuberts Klassiker „Der Mond ist aufgegangen“ nach einem Gedicht von Matthias Claudius. Dieses vom Mondmann (Tenor Conny Thimander) mehrfach vorgetragene Abendlied ist die wahrscheinlich eingängigste Melodie der Oper. Doch auch die übrigen Kompositionen, die das Gefühlsleben der jungen Protagonisten veranschaulichen, sind atmosphärisch in der Spätromantik verwurzelt und bergen nur leise Anklänge an die Moderne.
Die Koreanerin Sumi Hwang [zuletzt auch in Così fan tutte an der Oper Bonn positiv aufgefallen] verkörpert die Titelrolle sehr ausdrucksstark und überzeugt mit beweglichem Sopran und nuancenreichem Klangspektrum. Bariton Maximilian Krummen spielt Leander als charmanten und lebhaften Abenteurer mit ebenso jugendlicher Stimme wie jugendlichem Gebaren. Stefanie Wüst sorgt als Vogelprinzessin Alba stimmlich mit sanft schillernden Koloraturen für ein Gänsehaut-Feeling. In Erinnerung bleibt auch Bassbariton Rolf Broman als formvollendeter Totengräber mit ebenso machtvoller wie unheimlicher Stimme.
Leider übertönt das dynamisch aufspielende Beethoven Orchester einige Male ein wenig die Gesangspassagen, so dass sie hier an Verständlichkeit einbüßen und im Orchesterklang kurzzeitig unterzugehen drohen. Trotz kleiner musikalischer Schwächen sorgen jedoch die opulente Ausstattung, der gut aufgelegte Chor und die einfallsreich eingesetzte Statisterie inklusive gelungener Tanzdarbietungen (Choreographie: Anna Holter) für ein sehenswertes Vergnügen für Groß und Klein, das dem zentralen Motiv des Sterbens stets eine ausgeprägte Leichtigkeit gegenüberstellt.
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Das Mädchen, das nicht schlafen konnte an der Oper Bonn | Foto © Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 13. April 2016 ID 9251
VOM MÄDCHEN, DAS NICHT SCHLAFEN WOLLTE (Opernhaus Bonn, 04.04.2016)
Musikalische Leitung: Christopher Sprenger
Inszenierung: Johannes Schmid
Ausstattung: Tatjana Ivschina
Choreographie: Anna Holter
Licht: Bernd Winterscheid
Choreinstudierung: Marco Medved
Besetzung:
Lena … Sumi Hwang
Leander … Maximilian Krummen
Mutter … Ceri Williams
Vater … Daniel Pannermayr
Alba … Stefanie Wüst
Der Mond … Conny Thimander
Totengräber… Rolf Broman
1. Schütze, Flößer Tim … Paul-Stefan Onaga
2. Schütze, Flößer Teo … Enrico Döring
3. Schütze, Flößer Ben … Johannes Marx
1. Musiker … Harald Becker
2. Musiker … Andreas Hall
3. Musiker … Jens Bauer
4. Musiker … Ulrich Köhler
Tänzerinnen und Tänzer … Viviana Defazio, Francesca Perrucci, Phaedra Pisimisi, Bernardo Fallas, Adrián Castello, Olaf Reinecke und Anna Holter
Opernchor und Statisterie des Theater Bonn
Beethoven Orchester Bonn
Uraufführung an der Deutschen Oper am Rhein (in Duisburg) war am 14. Februar 2014
Bonner Premiere: 21. 2. 2016
Weiterer Termin: 16. 4. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de
Post an Ansgar Skoda
http://www.ansgar-skoda.de
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