Das neue Berliner Festival Pop-Kultur im Club Berghain
Teil 1
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Bewertung:
Ob nun Popkomm oder Music Week, Berlin hat einiges versucht, um das angeschlagene Image der deutschen Musikbranche aufzupolieren. 2014 war endgültig Schluss damit. Nun hat sich unter dem Schirm des senatseigenen Musicboard Berlin ein neues Festival gegründet, das sich weit weg von den großen Major-Labels und Branchenkonzernen wieder ganz auf den eigentlichen Künstler fokussieren will. Weniger Messe und Branchentreff, sondern mehr Ausblick auf die innovative, vielfältige deutsche Kunstproduktion, aufgepeppt mit Acts rund um die internationale Musikszene. „It began in Berlin!“ haben sich die Macher der Pop-Kultur selbstbewusst als Motto auf die Fahne geschrieben. Und passend dazu auch den richtigen Veranstaltungsort gefunden. Der Techno-Club Berghain, einst Quelle der alternativen Musik-Szene Berlins, gehört allerdings mittlerweile selbst zur globalen Pop-Kultur und ist in jedem Berlin-Reiseführer zu finden. Nun kommen nicht nur die nächtlichen Partygänger und Technojünger auf ihre Kosten. Fast ohne Schlange stehen und den strengen Blick des legendären Türstehers Sven Marquardt hat endlich auch ein breiteres Publikum Zugang zum Berliner Szene-Tempel Nummer 1.
Zudem gibt sich das neue Pop-Kultur-Festival auch noch ganz interdisziplinär. So wird es neben den Konzerten auch Performances, Diskussionen und Lesungen geben.
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Am Mittwochabend startete das Festival dann auch mit einem ganz bunten Hund der deutschen Musikszene. Andreas Dorau, das Multitalent der 1980er und 90er Jahre präsentierte seine im Mai herausgekommenen Memoiren unter dem Titel Immer Ärger mit der Unsterblichkeit. Unsterblich ist mit Sicherheit sein, wenn auch einziger, großer Hit Fred vom Jupiter, dessen Entstehungsgeschichte Dorau auch das Anfangskapitel seines Buches widmet. Beim Schreiben unterstützt hat ihn Musikerkollege und Romanautor Sven Regener, der auch mit ihm auf dem Podium der Schlackehalle im Berghain stand.
Es las der Mitautor Sven Regener, während Andreas Dorau versicherte, etwas zu tun, was er wesentlich besser könne. Der Komponist, Videofilmer, ein anerkanntes Genie unter den genialen Dilettanten, bediente über sein Laptop einen Videobeamer, mit dem er Fotos sowie Ausschnitte aus selbstgedrehten Musikvideos, Studentenfilmen und sogar einer kleinen Video-Oper zwischen Brecht-Eisler, Dada und Bauhaus an die Leinwand hinter ihm warf. Beide Künstler erwiesen sich ganz als nordische Jungs. Regener als launig performender Vorleser und Dorau in verschmitzt-ironischer Zurückhaltung. Understatement als Markenzeichen. Das kann man auch den fast durchweg als witzige Anekdoten daherkommenden Kapiteln aus Doraus Künstlerleben entnehmen. Es schwingt in ihnen natürlich auch immer ein wenig der Größenwahn eines Künstlers mit. Aber auch die Lust am Tüfteln, der Spaß am Machen. Erfolg ist dem Sechzehnjährigen mit seinem im Schulprojekt entstanden Song Fred vom Jupiter zunächst nicht so wichtig. Aber mit Beharrlichkeit geht Dorau seinen Weg, der ihn auf die Spitze der Neuen Deutschen Welle spült und auch wieder in die Niederungen der elektronischen Independent-Popszene.
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Andreas Dorau und Sven Regener - Foto © Charlotte Goltermann
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Allerdings hat er dann schließlich nicht nur das Hamburger Indie Label Zickzack, sondern ab den 1990er Jahren auch Motor Music, eine von Tim Renner [gerade in Berlin als Kulturstaatssekretär in aller Munde] gegründete Tochter der Polygram im Rücken. Was ihm einiges an Möglichkeiten bietet, wie einen verrückten Videodreh in Los Angeles. Und so ist das Buch letztendlich auch schöner Rückblick in die Welt der bundesdeutschen Popmusik bis zu ironischen Seitenhieben auf das heutige Business und im Speziellen den internationalen Erflog von Bands wie Rammstein. Zur Freude des zahlreich anwesenden Publikums stellt Dorau den Fenstersturz einer Hinkelstein-großen Rammsteinnachbildung aus dem Fenster seiner Hamburger Plattenfirma in Fotos nach. Andreas Dorau brachte es zumindest in Frankreich mit Girls in Love zu einem Top-10-Hit. Eine Kostprobe davon gibt es in einem Ausschnitt aus einer französischen TV-Show. Recht uneitel gibt sich Andreas Dorau hier in der Lesung mit Sven Regener. Und selbst wenn dem Buch kein Erfolg beschieden sein sollte, dann könnte zumindest die Lese-Tour zum Kult werden, oder zumindest eine Plattenpressung - ein Metier in dem sich Musiker Dorau auch bestens auskennt - davon mit eingelegter DVD.
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Es wird weitergehen mit Pop-Kultur-Festival noch bis Samstagmorgen. Neben einer Lyrik-Lesung mit dem neuen Berliner Pop-Stern Balbina trägt auch Wave-Musik-Größe Bernard Sumner (Joy Division und New Order) aus seinen Memoiren vor. Es gibt Musik-Performances mit Bianca Cassady [Besprechung folgt] und Konzerte mit der Hamburger Newcomer-Band Schnipo Schranke, der Schweizerin Sophie Hunger und Gästen sowie ein Wiedersehen mit der Soul-und Hip-Hop-Legende Neneh Cherry - und natürlich vielen DJ-Sets in allen Bereichen des Berghain.
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Foto (C) Roland Owsnitzki
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Stefan Bock - 28. August 2015 ID 8834
Unser Buchtipp: Ärger mit der Unsterblichkeit
Weitere Infos siehe auch: http://www.pop-kultur.berlin
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
Pop-Kultur im Berghain (Teil 2)
Pop-Kultur im Berghain (Teil 3)
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