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Premierenkritik

Innere und

äußere

Organe



Carmen an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Marcus Lieberenz

Bewertung:    



Gestrige Demonstration Wir haben es satt vor der Grüner Woche in Berlin - ein Demonstrant: „Na klar haben wir auch was zu essen mit. Selbstgebackenes Brot, natürlich ist das Vollkornmehl selbst gemahlen. Sogar den Ziegenkäse machen wir uns selbst. Dann noch etwas saisonales Gemüse vom Markt.“ - Reporter: „Ah ja, da steht es ja, sogar in einer Tupperdose. Hm, sag mal, was machst du eigentlich, wenn du nachts nach einer Party plötzlich Heißhunger auf einen Döner bekommst?“ - Demonstrant: „Na einfach einen kaufen und essen, man muss ja nicht alles immer so schrecklich ernst nehmen.“

*

"Man muss ja nicht alles immer so schrecklich ernst nehmen.":

Unter diesem Slogan hat sich die Regie von Ole Anders Tandberg einem der bekanntesten Stücke der Operngeschichte [Carmen] genähert. In Bewusstsein der gängigen Klischees hat man diese „lustvoll thematisiert und teils auch zugespitzt“ (Ole Anders Tandberg im Programmheft).

Das rote Kleid der Carmen gibt es nun dreimal: Frasquita (Nicole Haslett) und Mercédès (Jana Kurucová) treten als Carmen-Doubles auf. Der tote Stier hängt gleich zu Beginn als riesiger Tierkadaver im Bühnenhimmel, nun könnte man noch weitere Zuspitzungen aufzählen. Ein Teil des Publikums (gefühlt der ältere und konservativere Teil) reagiert mit lauten Buh´s. Wenn dann die Karten der Wahrsagerinnen keine Karten, sondern menschliche Organe sind, hört der Spaß bei ihnen auf. Ach ja, die menschlichen Organe: Die Regie hat das Thema des Todes - wie der Tötende mit seinem Sieg umgeht - wahrhaft auf die Spitze getrieben. Torero Escamillo (Markus Brück) schneidet dem toten Stier nach dem Sieg die Hoden ab und reicht sie Carmen. Don José (Charles Castronovo) entnimmt Leutnant Zuniga (Tobias Kehrer), nachdem er ihn in einer Art Initialisierung getötet hat, die Nieren. Das wird dann teilweise ein wahrer Organhandel: die Schmuggler führen Kühlboxen mit sich, wo sie die Organe ihrer Feinde und der Besiegten aufbewahren und immer mit sich rumtragen. Aber man muss nicht immer alles so ernst nehmen!

Clémentine Margaine als Carmen ist atemberaubend. Sowohl wenn sie was von Männer will als auch wenn sie Männer entsorgt, sie spielt und singt großartig.

Ivan Repusic treibt das Orchester der Deutschen Oper Berlin unprätentiös aber auf höchstem Niveau durch die Partitur, man spielt oft einfach in den Applaus hinein.

Heidi Stober scheint der Publikumsliebling dieses Hauses zu sein, von 2008 bis 2014 war sie hier Ensemblemitglied. Ihre Micaëla lebt von einem sehr zurückhaltenden Spiel im Kontrast zu ihrem ausdrucksstarken Sopran.

* *

Insgesamt ein wirklich sehr unterhaltsamer Opernabend, aber nichts für Puristen, die alles sehr ernst nehmen - sie buhen das Regieteam am Ende geradezu von der Bühne, so dass es nicht mal zu einem zweiten Vorhang kommt. Diese Art von Intoleranz im hippen Berlin ist dann wohl fast der stärkste Eindruck der Premiere.



Carmen an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Marcus Lieberenz

Steffen Kühn - 21. Januar 2018
ID 10483
CARMEN (Deutsche Oper Berlin, 20.01.2018)
Musikalische Leitung: Ivan Repusic
Inszenierung: Ole Anders Tandberg
Bühne: Erlend Birkeland
Kostüme: Maria Geber
Licht: Ellen Ruge
Chöre: Jeremy Bines
Kinderchor: Christian Lindhorst
Choreografie: Silke Sense
Dramaturgie: Jörg Königsdorf und Katharina Duda
Besetzung:
Carmen ... Clémentine Margaine
Frasquita ... Nicole Haslett
Mercédès ... Jana Kurucová
Micaëla ... Heidi Stober
Don José ... Charles Castronovo
Moralès ... Philipp Jekal
Zuniga ...Tobias Kehrer
Escamillo ... Markus Brück
Remendado ...Ya-Chung Huang
Dancairo ... Dean Murphy
Kinderchor, Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 20. Januar 2018.
Weitere Termine: 24., 27.01. / 04., 10.02. / 30.05. / 01., 07., 09., 16.06.2018


Weitere Infos siehe auch: http://www.deutscheoperberlin.de


Post an Steffen Kühn

http://www.hofklang.de

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