Nicht
gerade
kurzweilig
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Camilla Nylund als neue(r) Fidelio an der Staatsoper im Schiller Theater | Foto (C) Bernd Uhlig
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Bewertung:
Spätestens als Harry Kupfer (81) vor zwei Jahren seine alte Salome (von 1979!) hier "im Westen" wiedereinstudierte, tat man sich fast zwangsläufig sofort daran erinnern, dass doch damals jemand an die Deutsche Staatsoper Berlin zum Arbeiten gekommen war, der richtig (also: richtig gut) noch inszenieren konnte - Daniel Barenboim begründete mit ihm die ersten Staatsoper-Saison's seiner inzwischen 24jährigen Chef-Ära an dem hochtraditionellen Haus, ja und so inszenierte Kupfer nach und nach den ganzen herkömmlichen Wagner-Kanon, der sich ziemlich lange hielt. Nachdem die Produktionen allerdings dann ausgewechselt wurden und zutage trat, dass sich die neuen Sichtweisen der Anders-Neuen allzumeist als handwerkliche Pleiten 'rausstellten, blieb die Ernüchterung auf allen Seiten.
Jetzt kamen die beiden Granden wieder - nach zig Jahren - unter einen Hut und wählten Beethovens Fidelio zu dem Zwecke aus. Ihr beider Resultat wirkt nicht gerade kurzweilig, und ich bin mir (am Ende dieses vielzu langen Abends) gänzlich unsicher, wer von den Zwein den größten Langeweileanteil beisteuerte: Barenboim mit seinen stellenweise bis aufs Unerträgliche genüsslich (aber völlig sinnlos) breit gezerrten Dargebrachtseinsangeboten? oder Kupfer, dem nun wahrlich nicht besonders Einfallsreiches zu dem so schon dramaturgisch schwachen Stück geraten wollte??
Anfangen tut es mit Leonore II, also der zweiten (und unpopulären!) der drei vorliegenden Beethoven'schen Ouvertüren; und die Staatskapelle Berlin seziert geradezu jedes Detail dieses (gefühltermaßen:) halbstündigen Opus für Orchester. Dann hebt sich der Vorhang, und man sieht die Vollzahl aller Ausführenden, wie sie still und schweigend vor 'ner Plane mit dem abfotografierten Großen Musikvereinssaal Wien verharrt, sich zu ihm umdreht und dann, wieder umdrehend, zu uns ins Publikum herüberblickt; dann schlabbert die Plane in sich zusammen, und das öde Einheitsbühnenbild mit der bekritzelten schwarzen Gefängnismauer (von Hans Schavernoch kreiert) eröffnet sich. In der Mitte ein Konzertflügel mit Beethovenbüste oben drauf, davor paar Stühle und herumliegende Edition-Peters-Klavierauszüge...
Harry Kupfer meint: "Eine Gemeinschaft von jungen Künstlern mit ihren Dozenten beschließt, dieses Stück zu untersuchen und in einer improvisierten Handlung zu interpretieren. Und so wird daraus, fernab jeglicher Gefängnisromantisierung, ein geistiger Vorgang, der sich mit dem Stück und den Figuren auseinandersetzt. Auf diese Weise eröffnet sich auch die Möglichkeit der Utopie am Schluss. Denn was der Minister am Ende sagt, ist reine Utopie - das sind die Gedanken von Beethoven, dem großen Humanisten." (Quelle: Programmheft)
Das [s.o.] wäre also die Erklärung.
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Ja, warum denn nicht?
Ist zwar nicht ganz so neu, diese Idee "Spielen wir Spielen"; und im Falle des Fidelio hätte man gewiss zuallerletzt damit gerechnet - gilt er doch bis heute (so im allgemeinsten Allgemeinverständnis von Frau & Herrn Müller) als DIE Freiheitsoper, wie es immer so schön heißt. Weiß auch nicht, wie und wann es bloß zu diesem törichten Klischee gekommen war; also von wegen Freiheitsoper oder so. Da gibt es höchstens dann zwei Hits, die das vielleicht bekräftigten: "O welche Lust in freier Luft" (der Gefangenenchor) und das Fidelio-Finale "Heil sei dem Tag", was auch am Schluss schon wieder fast nach Adolf klingt... Der ganze Rest der Handlung: Schrott!!
Vielleicht ist auch - so wie bei mir - ein Fünkchen Abgenervtheit und Desillusion beim Regisseur versteckt gewesen, dass er jetzthin keine Lust verspürte, sich zum x-ten Male und konkret mit dem so dürftigen Fidelio-Stück auseinandersetzen zu müssen und stattdessen auf so inszeniererische Abwege geriet.
Egal auch.
Hab' bisher noch nie einen mich einiger Maßen zufriedenstellenden Fidelio erlebt; wahrscheinlich kann man aus ihm überhaupt dann nichts Gescheites machen. Pech fürs Stück.
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Und Barenboim???
Er kann und will sich nicht entscheiden, welchen "Grundtenor" er seiner Werksicht auferlegt. Die meiste Zeit verplempert er mit ruhenden Fermaten und gespenstisch anmutenden Zuspitzungen (leise/laut fast ohne Übergänge). Stellenweise klingt das freilich faszinierend und noch nie in dieser Art gehört. Aber es streckt die Chose, und v.a. zeitlich, bis zu einem Geht-nicht-Mehr. Und plötzlich (im Fidelio-Finale) schaltet er den ganzen Apparat auf absoluten Heißlauf, allzu schnell und allzu laut geht es dann augenblicklich zu.
Camilla Nylund klingt zu hell und leicht für ihre Titelrolle. Florestan Andreas Schager scheint hingegen idealbesetzt, frisch (trotz des Kerkers), höhensicher und metallisch; was für ein Tenor! Matti Salminen gibt dem Rocco (seiner letzten Einstudierung einer Rolle) lebensweisheitliche Milde, stimmlich ist er immer noch total intakt. Falk Struckmanns aggressiver Anschlag als Pizarro imponiert, obwohl ich nicht ein Wort von ihm verstanden habe. In den kleinen Rollen überzeugen Evelin Novak (Marzelline), Florian Hoffmann (Jaquino) oder Roman Trekel (Minister). Toll: der Staatsopernchor!!
Durchwachsener Applaus.
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Fidelio an der Staatsoper im Schiller Theater | Foto (C) Bernd Uhlig
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Andre Sokolowski - 4. Oktober 2016 ID 9597
FIDELIO (Staatsoper im Schiller Theater, 03.10.2016)
Musikalische Leitung: Daniel Barenboim
Inszenierung: Harry Kupfer
Regiemitarbeit: Derek Gimpel
Bühnenbild: Hans Schavernoch
Kostüme: Yan Tax
Licht: Olaf Freese
Chor: Martin Wright
Dramaturgie: Detlef Giese
Besetzung:
Don Fernando ... Roman Trekel
Don Pizarro ... Falk Struckmann
Florestan ... Andreas Schager
Leonore ... Camilla Nylund
Rocco ... Matti Salminen
Marzelline ... Evelin Novak
Jaquino ... Florian Hoffmann
Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin
Premiere war am 3. Oktober 2016
Weitere Termine: 7., 9., 14., 16., 25., 28. 10. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper-berlin.de
http://www.andre-sokolowski.de
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