Teufel,
Nazi,
Jüdin...
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Magdalena Kožená als sich im BDM-Look versteckende Jüdin mit Charles Castronovo als dem sie auflauernden Pseudo-Nazi in La damnation de Faust (in der Regie von Terry Gilliam aus dem Jahr 2011) - jetzt auch in der Berliner Staatsoper im Schiller Theater | Foto (C) Matthias Baus
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Szenische Bewertung:
Vor zwei Jahren führte Simon Rattle Hector Berlioz' La damnation de Faust mit den Berliner Philharmonikern bereits in Baden-Baden und der Hauptstadt auf, je konzertant. Die Oper, die ja eigentlich dann keine "echte" Oper ist, gefällt ihm scheinbar derart gut, dass er sie jetzt auch noch aus dem Orchestergraben des Berliner Schillertheaters dirigieren wollte oder sollte; dieses Mal dann allerdings mit dem Orchester der Staatskapelle Berlin, deren besonders auf das deutsche Repertoire geeichten Musikerinnen und Musiker den Rattle mittlerweile kennen, schätzen und lieben lernten; es ist also nicht das erste Aufeinandertreffen der zwei exemplaren Kraftzentren. Schwer vorstellbar dann allerdings, dass sich der Rattle jemals auf die Gast-Anstellung eingelassen hätte, wenn nicht auch noch Magdalena Kožená als Marguerite hinzuverpflichtet worden wäre; was ganz selbstverständlich nicht bedeutet, dass sie gar am Ende nicht die Idealbesetzung für die Rolle an der Staatsoper gewesen sein sollte - nein, nein, sie war es, selbstverständlich, unbestritten, und doch irgendwie. Und auch Charles Castronovo (Faust) und Florian Boesch (Méphestophélès) schienen idealbesetzt; ja und Jan Martiník (Brandner) meisterte ebenso dann seinen kurzen Part.
Staatsopernchor (Choreinstudierung: Martin Wright) und Staatskapelle klingen allerdings noch viel, viel hauptstarhafter; dieses Opus ist von seinem Komponisten nun mal ziemlich vordergründig dann auf diese Zwei - Chor und Orchester - zugeschnitten, und da beißt die Maus kein' Faden ab; es ist halt so.
Womit wir auch schon, was das Musikalische betrifft, soweit denn abgeschlossen hätten. Punkt.
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Mit Fausts Verdammnis konnte sich nunmehr der vierte Szenenaufguss einer schon an anderen Theatern abgelauf'nen teuren Produktion an der Berliner Staatsoper einschmuggeln, was bedeutet, dass das erste Haus am Platz in der noch laufenden Saison in summa drei (von acht) eigene Inszenierungen verantwortete; und die andern fünf waren/sind halt entweder zweit- und drittgespielte Ko-Ereignisse (Elektra, Manon Lescaut, Die Frau ohne Schatten, Jakob Lenz [am 5. Juli]) oder (wie im Fall von Fausts Verdammnis) lediglich "nur" ausgeliehen oder angekauft. Staatsoperneigenes waren/sind: Fidelio, King Arthur und Die Perlenfischer [am 24. Juni]. Da stimmt wohl irgend etwas in der Relation nicht mehr. Der Einwand sollte nun ermutigen, sich in der Zukunft neue Anleihen & Ankäufe etwas genauer vorher anzuschauen, dass dann nicht nochmal so was wie nachstehend Beschriebenes erworben würde; bitte, bitte nicht!!
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Den weltberühmten Monty Python-Filmbuchschreiber Terry Gilliam hatte man vor sieben Jahren die Berlioz-Legende am Londoner ENO szenisch anvertraut. Sein comicartiges Herangehen an die Geschichte zwischen Faust und Gretchen und dem bösen Teufel fand zu dieser Zeit bei Bühnenbildnerin Hildegard Bechtler und Kostümdesignerin Katrina Lindsay einen dankbar-assistierenden Kollegenkreis im Dienst der Gilliam'schen Sicht der Dinge:
Leicht und locker, um nicht gar zu sagen liederlich und laut hetzte der Regisseur "sein" Publikum per Zeitraffer durch die französisch-deutsche (Kurz-)Geschichte zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg inkl. Giftgasangriff, Versailler Vertrag, Weimarer Republik, SA, Berliner Olympiade, Reichskristallnacht, Naziterror, Judenstern, Deportation etc. pp. Zunehmend spielt sich "alles" - und wir haben es noch immer mit Berlioz' La damnation de Faust zu tun; ganz nebenbei bemerkt - unter dem Hakenkreuz dann ab; der etwas variierte Plot geht jetzt in etwa diese Richtung hier: Gretchen ist Jüdin und muss sich, damit sie nicht als solche von den Nazis (Faust trägt auch inzwischen eine Hakenkreuzbinde, die ihm Mephisto anempfahl, damit er ungestört ans Gretchen könnte) aufgespürt würde, als Zopfblondchen "maskieren", was natürlich letztlich auffliegt, und so wird sie mit noch vielen andern Juden schließlich ab nach Auschwitz (Güterwagenszene) deportiert...
Das Alles wird so derart flapsig und illustrativ, d.h. unter der Aussparung jeglichen Mitgefühls und dem Totalfehlen von Seele, zu uns Publikum über den Graben (wo der Rattle augenblicklich dann die Staatskapelle dirigiert) herüber resp. vor gerotzt, dass einem schlichtweg übel davon wird.
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Voll ausgebuht, was sonst.
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Marguerite und Menora in La damnation de Faust an der Berliner Staatsoper im Schiller Theater | Foto (C) Matthias Baus
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Andre Sokolowski - 28. Mai 2017 ID 10051
LA DAMNATION DE FAUST (Staatsoper im Schiller Theater, 27.05.2017)
Musikalische Leitung: Sir Simon Rattle
Inszenierung: Terry Gilliam
Regiemitarbeit: Leah Hausman
Bühnenbild: Hildegard Bechtler
Kostüme: Katrina Lindsay
Licht: Peter Mumford
Video: Finn Ross
Chöre: Martin Wright
Besetzung:
Marguerite ... Magdalena Kožená
Faust ... Charles Castronovo
Méphistophélès ... Florian Boesch
Brandner ... Jan Martiník
Stimme aus dem Himmel ... Anna Charim und Miho Kinoshita
Tänzer: Ini Dill / Renske Endel / Ula Liagaité / Carla Morera Cruzate / Martin Buczkó / Jofre Carabén van der Meer / Floris Dahlgrün / Connor Dowling / Damian Dudkiewicz / Carl Harrison / Angelo Smimmo / François Testory / Victor Villarreal
Staatsopernchor
Staatskapelle Berlin
Premiere an der English National Opera, London: 6. Mai 2011
Berliner Premiere war am 27. Mai 2017.
Weitere Termine: 01., 04., 09., 11.06.2017
Eine Produktion der English National Opera London, La Fondazione Teatro Massimo Palermo und De Vlaamse Opera Antwerpen
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper-berlin.de
http://www.andre-sokolowski.de
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