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Premierenkritik

Opfer und

Mörderin



Anja Kampe als Lady Macbeth von Mzensk an der Bayerischen Staatsoper | Foto (C) Wilfried Hösl

Bewertung:    



112 Takt komponierter Koitus mit orgiastischen Blechbläsern, einschließlich Orgasmus und Erschlaffen im nach unten gleitenden Glissando: Das war und ist vielleicht das größte Skandalon von Dmitri Schostakowitschs wahrlich auch sonst nicht zimperlicher Lady Macbeth von Mzensk, die er in den 1960er Jahren in einer geglätteten Fassung als Katerina Ismailowa bearbeitete. Denn was für ein wildes, manchmal abstrus parodistisches, dann wieder ganz zart lyrisches oder auch zutiefst leidenschaftliches und Leiden schaffendes Stück ist diese Oper eines 26jährigen, deren Handlung und Musik sich am Ende ins Allgemeingültige wendet und musikalisch als Requiem und wie mit einem ins Universelle gewendeten Trauermarsch endet!

60 Jahre nach der Uraufführung gab es 1993 in München erstmals die Urfassung von Dmitri Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk aus dem Jahr 1932 am Nationaltheater zu sehen; in der Regie von Volker Schlöndorff mit Hildegard Behrens - und auf Deutsch. Jetzt endlich kam die Oper (wieder an der Bayerischen Staatsoper) im russischen Original auf die Bühne, inszeniert von Harry Kupfer mit einer großartigen Anja Kampe in der Titelpartie. Kirill Petrenko stand am Pult des exzellenten Bayerischen Staatsorchester.

Hans Schavernoch hat Harry Kupfer die Illusion einer riesigen gemalten Fabrikhalle für das Nationaltheater entworfen, in die das Zimmer der „Lady“, also der Kaufmannsgattin Katerina Ismailowa, hineingehängt ist. Es kann auf- und abschweben und ist das ramponierte, löchrige, kaum möblierte Gefängnis mit gelben Stahlträgern einer Frau, die sich langweilt, weil sie mit ihrem Mann, der sie vernachlässigt, keine Kinder bekommen kann, die unter einem tyrannischen Schwiegervater leidet und von einem jungen Vorarbeiter rüde verführt wird.

Anja Kampe hat alles, was es für die Darstellung des Schicksals der Katerina braucht: Neben einer großen Bühnenpräsenz Sinnlichkeit, Verletzbarkeit, aber auch und vor allem einen lodernden Sopran, der in jedem Ton glaubhaft macht, dass da eine Frau gleichsam in Notwehr zur dreifachen Mörderin wird: am Schwiegervater, der sie demütigt und den Geliebten brutal auspeitscht (grandios und immer noch stimmgewaltig: der 69jährige Anatoli Kotscherga); einem Schlappschwanz von Gatten, den Sergey Skorokhodov ebenso trefflich singt, wie er ihn als scheues Männlein spielt; und am Ende der neuen Geliebten eines Liebhabers, von dem man nie weiß, wie triebgesteuert er ist und wieviel Liebe er Katerina je geben konnte: Bei Misha Didyk hat Sergej schon in der Stimme etwas Animalisches, das Fürchten macht.

Auch die zahlreichen kleineren Partien waren hervorragend besetzt: etwa mit langjährigen Ensemble-Mitgliedern wie Heike Grötzinger (Axinja) oder Kevin Conners (Der Schäbige), dem jungen Bassisten Milan Siljanov (Mühlenarbeiter) oder der wunderbar samten klingenden, ebenso jungen Altistin Anna Lapkovskaja als Sonjetka und Nebenbuhlerin Katerinas, die sie am Ende in den Tod stößt und mit ihr in einem „schwarzen See“ untergeht. Als Polizeichef brilliert der beinahe überbesetzte Alexander Tsymbalyuk – immerhin schon Boris Godunow an der Staatsoper!

Bis zur Pause will der etwas halbherzige Realismus, den Harry Kupfer seiner Inszenierung zugrunde legt, allerdings nicht so recht überzeugen: Ein (vergiftetes) Pilzgericht zu „fressen“, Folter, Vergewaltigung oder Beischlaf einerseits nur anzudeuten und dann doch vital auszureizen, funktioniert in dieser Doppelung nicht. Dafür gelingt es Kupfer im dritten Akt hinreißend – nun ist die Fabrikhalle hinten offen und riesige, meist schwarze Wolken verdecken die Sonne -, auf zweistöckiger Bühne die Hochzeit in Weiß (Kostüme: Yan Tax) und (darunter) die grelle Parodie von Polizisten auf sich drehenden Bürostühlen zum Ereignis zu machen. Auch das von Schostakowitsch so großartig auskomponierte Menschheitspathos des sibirischen Gefangenenlagers kann Kupfer mit dem Chor der Bayerischen Staatsoper überzeugend auf die Bühne bringen.

Das Ereignis der Produktion ist neben Anja Kampe jedoch das Bayerische Staatsorchester unter Kirill Petrenko. Sowohl der schneidende Sarkasmus der Bläser wie die aus dem Ruder laufenden parodistischen Tänze, aber auch die zarte Süße der Streicher in der Liebesszene von Katerina und Sergej oder das Requiem der Schlussszene haben bei Petrenko ihren Platz und verweisen im Augenblick des Erklingens auf Nichts als sich Selbst; gewaltige Crescendi wachsen oft auf nur einem Ton ins Riesenhafte und sind dabei kaum mehr erträglich, weil sie die pure Expression darstellen.



Lady Macbeth von Mzensk an der Bayerischen Staatsoper | Foto (C) Wilfried Hösl

Klaus Kalchschmid - 1. Dezember 2016
ID 9717
LADY MACBETH VON MZENSK (Nationaltheater München, 28.11.2016)
Musikalische Leitung: Kirill Petrenko
Inszenierung: Harry Kupfer
Bühne: Hans Schavernoch
Kostüme: Yan Tax
Video: Thomas Reimer
Licht: Jürgen Hoffmann
Produktionsdramaturgie: Malte Krasting
Chor: Sören Eckhoff
Besetzung:
Boris Timofejewitsch Ismailow ... Anatoli Kotscherga
Sinowi Borissowitsch Ismailow ... Sergey Skorokhodov
Katerina Lwowna Ismailowa ... Anja Kampe
Sergej ... Misha Didyk
Axinja ... Heike Grötzinger
Schäbiger ... Kevin Conners
Verwalter ... Christian Rieger
Hausknecht ... Sean Michael Plumb
Mühlenarbeiter ... Milan Siljanov
Pope ... Goran Jurić
Polizeichef ... Alexander Tsymbalyuk
Polizist ... Kristof Klorek
Lehrer ... Dean Power
Sergeant ... Peter Lobert
Wächter ... Igor Tsarkov
Sonjetka ... Anna Lapkovskaja
Alter Zwangsarbeiter ... Alexander Tsymbalyuk
Zwangsarbeiterin ... Selene Zanetti
Chor der Bayerischen Staatsoper
Bayerisches Staatsorchester
Premiere an der Bayerischen Staatsoper: 28. November 2016
Weitere Termine: 1., 4., 8., 11. 12. 2016 / 22. 6. 2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsoper.de


Post an Klaus Kalchschmid



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