Stürmische
Abgründe
|
Peter Grimes an der Oper Bonn | Foto (C) Thilo Beu
|
Bewertung:
Windig, wortkarg und einzelgängerisch erscheint der ärmliche Fischer Peter Grimes wie ein idealer Außenseiter für die Küstenbewohner. Exponiert vor einem Tuch platziert, dass nur die Umrisse der übrigen Anwesenden verrät, steht Grimes bereits zu Beginn der Oper vor Gericht. Sein Lehrjunge starb auf hoher See unter ungeklärten, eigentümlichen Bedingungen. Der Richter entlässt Grimes in die Freiheit. Doch der Angeklagte hat trotzdem bereits verloren. Im hämischen Gesang der rauen und bigotten Dorfbewohner – unter denen sich auch zahlreiche zwielichtige Gestalten, wie sogenannte leichte Mädchen, befinden - wird Grimes die Position eines Outcasts zugewiesen. Sein Name alterniert hier bald mit „Crimes“. Sein Auftreten löst Befremden und Unruhe aus.
Doch auch das unbeständige Meer, dem sich Grimes sehr verbunden fühlt, ist tumultös. Das Wogen der See, der Klang der Brandung, das Stürzen fliehender und treibender Wellen, drückt sich stets in vielfältigen Klangfarben und musikalischen Nuancen von insgesamt sechs Interludes oder Orchesterstücken aus. Der argentinische Opernsänger José Cura inszeniert Peter Grimes eindrücklich und zeichnet sich auch für das sehenswerte Bühnenbild und die schlichten, in Brauntönen gehaltenen Kostüme verantwortlich. Die 1945 in London uraufgeführte Oper von Benjamin Britten gibt vieldeutige Rätsel auf und zeichnet die Titelfigur ambivalent. In rührenden Szenen bilden Jungen in weißen Nachthemden – sich vom sichtlich bewegt-verwirrten Grimes abwendend - einander umarmend eine Gemeinschaft. Elegant deutet die Inszenierung Homosexualität oder Pädophilie als eine mögliche Erklärung für die scheinbar auch selbst auferlegte eigentümliche Außenseiterposition von Grimes nur an. Dem offen schwul lebenden Komponisten Britten war wohl bewusst, dass noch zur Entstehungszeit seines Werkes undifferenziert homosexuelle Männer und Pädophile gesellschaftlich gleichermaßen verfolgt wurden.
Als mögliche Erlöserfigur kommt bei Britten der Witwe Ellen Orford, einer Lehrerin des Ortes, eine tragende Rolle zu. Sie verhilft Peter zu einem neuen Lehrjungen, den sie für ihn aus einem Armenhaus holt. Doch bald glaubt Ellen zu erkennen, dass Grimes auch diesen Lehrjungen nicht gut behandelt. Peter Grimes befindet sich fortwährend im Zwiespalt zwischen seinem Geborgenheitswunsch und seinem Fremdheitsgefühl in der schlussendlich lynchbereiten Dorfgemeinschaft. Diese zentrale Zerrissenheit bricht sich in der kontrast- und spannungsreichen Musik bahn. Ein sich ankündigendes und alsbald ausbrechendes Unwetter wird im ersten Akt beinahe zum Höhepunkt der Oper. Neben grandiosen Lichteffekten setzt hier die Instrumentierung des Bonner Beethoven Orchesters so ungewohnte Akzente, dass der Orchesterklang beinahe einem schallenden Unwettergetöse und schneidendem Wind gleichkommt. Überhaupt berauscht der erste Akt mit eingängigen und betörenden Gesangspartien, atmosphärischen Bildern einer gelungenen Personenregie und Chorpassagen, die mit solistischen Einlagen von Grimes oder Ellen regelmäßig stimmungsvoll kontrastieren.
Nach der Pause zieht sich die Inszenierung dann etwas in die Länge, da die von Grimes ausgehende Gefahr für den Lehrjungen weiterhin abstrus und geheimnisumwittert bleibt. Immerhin bietet ein zentral auf einer Drehbühne platziertes, eindrucksvolles Gehöft mit Aussichtspunkt, das zeitweise als Dorfkirche, Wirtshaus oder Grimes Haus an der Klippe dient, stets neue Einblicke. Es ist eine tröstende Musik mit dicht aufspielenden Streichern und Holzbläsern, die mit dem traurigen Schicksal des in die Heimatlosigkeit getriebenen Grimes beinahe befriedet. Neben dem solide und souverän Peter Grimes verkörpernden, jedoch stimmlich manchmal etwas unsicheren Johannes Mertes sticht insbesondere – wie so oft in der aktuellen Spielzeit an der Oper Bonn – die Kanadierin Yannick-Muriel Noah in der Rolle der Ellen Orford mit feinmoduliertem, glasklarem Sopran hervor. Großes Lob auch an den hervorragenden Chor und Extrachor des Theater Bonn unter der Leitung von Marco Medved, der sich in vielen Momenten zu wahren Höhenflügen aufschwingt.
|
Peter Grimes an der Oper Bonn | Foto (C) Thilo Beu
|
Ansgar Skoda - 13. Juni 2017 ID 10083
PETER GRIMES (Bonner Opernhaus, 11.06.2017)
Musikalische Leitung: Jacques Lacombe
Inszenierung und Ausstattung: José Cura
Licht: Thomas Roscher
Choreinstudierung: Marco Medved
Besetzung:
Peter Grimes … Johannes Mertes
Ellen Orford … Yannick-Muriel Noah
Balstrode … Mark Morouse
Auntie … Ceri Williams
1. Nichte … Marie Heeschen
2. Nichte … Rosemarie Weissgerber
Bob Boles … Christian Georg
Swallow … Leonard Bernad
Mrs. Sedley … Anjara I. Bartz
Pastor Adams … David Fischer
Ned Keene … Ivan Krutikov
Dr. Crabbe … Goswin Spieß
Hobson … Daniel Pannermayr
Fischersfrau … Asta Zubaite
Fischersmann … Nicholas Probst
Ein Anwalt … Georg Zingerle
John (Der Lehrling) … Moritz Hamelmann
William … Clemens Risse, Mika Wagner
Chor und Extrachor des Theater Bonn
Beethoven Orchester Bonn
Premiere an der Oper Bonn war am 7. Mai 2017.
Weitere Termine: 22. + 30.6./ 08. + 15.07.2017
Koproduktion mit der Opéra de Monte-Carlo
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de
Post an Ansgar Skoda
skoda-webservice.de
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
CD / DVD
INTERVIEWS
KONZERTKRITIKEN
LEUTE
NEUE MUSIK
PREMIERENKRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
RUHRTRIENNALE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|