"Uraufführungen im Wiener Dialekt"
Schubert unter Harnoncourt
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Nikolaus Harnoncourt - Foto (C) Marco Borggreve
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Bewertung:
Vor drei Wochen war er schon mal da, um die Hommage, die derzeit das Konzerthaus Berlin (vom 7. bis 16. November) auf ihn feiert, sozusagen vorfristig und vorbereitend abzusegnen - - man weiß überhaupt nicht recht, warum sich Ivan Fischer, der Konzerthausorchester-Chef, so vehement ins Zeug legte, ihn (einen Lebenden doch immerhin!) in diesem Jahr hommagehaft hochzufeiern; freilich, er ist in Berlin geboren, und es ist auch immerhin der 85. Geburtstag, den der so anjubilierte Maestro (erst) am 6. 12. feierlich begehen wird - doch im Konzerthaus war er vorher trotzdem nie: Nikolaus Harnoncourt also erfuhr/erfährt derzeit diese so ungewöhnlich abgehalt'ne Ehre. Eine kapriziöse, zündende Idee für den Gendarmenmarkt!
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Nach dem umjubelten Konzert mit "seinem" Concentus Musicus Wien nun also das seit Monaten schon ausverkaufte Gastspiel mit den Wiener Philharmonikern:
Er dirigierte diesmal Schubert, und zwar ausschließlich. Ja und er wollte das Programm dann unbedingt "mit den Wiener Philharmonikern machen, weil das Orchester noch immer einen sechsten Sinn für Schubert hat, weil die Musiker den Wiener Dialekt können."
Also ein durch und durch melancholischer Abend sollte es werden... (Die "Erfindung" der Melancholie scheint ja in Wien verortet - wenn Sie dort sind, brauchen Sie nur spaßenshalber mal über'n Zentralfriedhof zu gehen, und schon fragen Sie gleich nicht mehr, wie das eigentlich gemeint wäre mit dieser Wiener Melancholie; oder Sie blättern bisschen in dem Freud herum, nach einschlägigen Stellen im Register suchend, ja, das hilft womöglich zum Verständnis dessen.)
Harnoncourt lieferte auch - weswegen das Programmheft eines Tages antiquarisch Hochpreiswert bekommen dürfte - die zwei Werkeinführungen höchstselbst; man konnte also sehen, dass der Jubilar nicht nur ein hochbegnadeter Kapellmeister sondern gleichsam ein "unkompliziert" scheinender Formulierer seiner eignen Texte ist; es liest sich halt wie Butter... Harnoncourt hob insbesondere auf Schuberts literarische Inspirationsquellen, die den zwei dargebrachten Werken zugrunde lagen, ab. Im Fall der Unvollendeten handelte es sich beispielsweise um Schuberts höchsteig'ne Kurzprosa Mein Traum [auch im Programmheft abgedruckt] - da steht dann Dieses hier:
"Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz. Und wollte ich wieder Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe. So zertheilte mich die Liebe und der Schmerz." (Es geht hierin auch um den grauenhaften Vater-Sohn-Konflikt; das ZDF verfilmte dieses Thema seiner Zeit mit Traugott Buhre sowie Udo Samel in dem Mehrteiler Mit meinen heißen Tränen.)
Melancholie in, durch und wegen Wien - noch Fragen? ja??
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Traugott Buhre und Udo Samel in dem ZDF-Mehrteiler Mit meinen heißen Tränen | Bildquelle: tv-spielfilm.de
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Die Rosamunde-Schauspielmusik hatten wir letztmals vor fünf Jahren (und in einem der sehr rar gewordenen Konzerte der Berliner Philharmoniker unter Claudio Abbado) gehört - hier nun, bei/mit den Wienern unter Harnoncourt, fiel insbesondere dann auf, wie Harnoncourt sie "dualistisch" nahm - zwei schlichte große Welten (Gut & Böse) prallten hier brutal aufeinander, und Vermischendes gab es dann, aus Prinzip schon, nicht. Die Aufführung hatte also was Unversöhnliches. Sie breitete jenes Prosaische der schlichten Schauspielvorlage extrem und nachgeweitet aus; mitunter waren zwischen all den Stellen, die das Gute und das Böse voneinander trennten, grabenartige Zäsuren, was das Alles nach und nach dann schon etwas behäbig machte.
Ungeachtet dessen brachte Harnoncourt in das von ihm dualisierte und zugleich sich widersprechende Geschehen komisch(st)e Momente ein, indem er Textpassagen aus der altmodischen Stückvorlage mottohaft und ausschnittmäßig selber sprach oder von zwei SolistInnen des Arnold Schönberg Chors hochtheatralisch ausposaunen ließ; da hieß es: "Nein, ich kann dich nicht lieben!", "Mich schreckt keine Gefahr, ich liebe einen Anderen!", "Nein, du nicht!!" (für Rosamunde) oder "verlaufne Dirne", "Doch ich herrsche!" (für Fulgentius, dem gegnerischen Feind von Rosamunde)... Verkürzend wirkte das nun wieder nicht.
70 Minuten dauerten die Rosamunde, und die Unvollendete vollzog sich (gottlob!!) auch nicht sehr viel "schneller".
Tiefgefühle, Nachdenken über das ach so vielzu kurze Leben...
Standing Ovations für den Harnoncourt und die von ihm geleiteten Weltklangkörper.
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(C) Konzerthaus Berlin | Bildquelle: konzerthaus.de
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Andre Sokolowski - 11. November 2014 ID 00000008237
"EINMAL NOCH BERLIN!" | HOMMAGE AN NIKOLAUS HARNONCOURT (Konzerthaus Berlin, 10.11.2014)
Franz Schubert: Bühnenmusik zu dem Schauspiel Rosamunde, Fürstin von Zypern D 797
- Sinfonie h-Moll D 759 (Unvollendete)
Wiebke Lehmkuhl, Alt
Arnold Schönberg Chor
(Choreinstudierung: Erwin Ortner)
Wiener Philharmoniker
Dirigent: Nikolaus Harnoncourt
Gastspiel im Rahmen der o.g. Hommage - vom 7. bis 16. November 2014 im Konzerthaus Berlin
Weitere Infos siehe auch: http://www.konzerthaus.de/
Post an Andre Sokolowski
http://www.andre-sokolowski.de
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