Übergänge
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Das ist der Dirigent Gianandrea Noseda, der am 22. Mai 2015 sein Debüt bei den Berliner Philharmonikern hatte - Foto (C) Ramella&Giannese | Bildquelle: berliner-philharmoniker.de
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Bewertung:
Die Berliner Philharmoniker gedenken dieser Tage an ihr erstes Nachkriegskonzert am 26. Mai 1945 im Titania-Palast von Steglitz - 70 Jahre ist es her; da dirigierte Leo Borchard, der als neuer Chef des deutschen Traditionsorchesters, das sich in der Nazi-Zeit (wie alle deutschen Traditionsorchester) nicht ausschließlich "nur" mit seinem reinweg künstlerischen Ruhm, sondern genauso mit dem ganzen braunen Brei hierum bekleckern tat, geplant gewesen war. Furtwängler durfte seiner Zeit in Deutschland nicht mehr auftreten, so hatten es die Aliierten festgelegt. Sein Posten in Berlin war daher frei, eine Entscheidung drängte... Und das Schicksal schlug, im Fall Furtwänglers Nachfolger, auf eine so nicht vorstellbar gewesenen bizarr-brutale Weise zu, denn: Borchard wurde im August 1945 "irrtümlich" von einem amerikanischen Soldaten erschossen.
Alles das [s.o.] kann man aktuell in einer sehenswerten Ausstellung unter dem Titel Leo Borchard - Dirigent, Kosmopolit, Widerständler im Foyer der Philharmonie Berlin auf Texttafeln und Fotos informell gut nachvollziehen.
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Auch das gestrige Konzert stand unter dem Gedenkanspruch zu Obigem und hatte übergreifend ebenso dieses Zwischen-den-Zeiten (Ende/Anfang einer Ära) unbeabsichtigt-beabsichtigt im Blick: Es debütierte Gianandrea Noseda, von dem wir - nach dem live Erlebten - kühn zu meinen uns erdreisten wollen, dass er u.E. eine gute erste Wahl für die Nachfolge Simon Rattles sein könnte; wir sind ja eigentlich dann meistens oder immer gegen all das mainstreamartig ausufernde Stargeschrei von außen wie von innen - warum also nicht mal tollkühn einen Joker ziehen, den so gar nicht keiner jemals je für möglich hielt? [Das war ein Scherz, obgleich mit einer etwas ernsten Attitüde.]
Noseda dirigierte zu Beginn die (von dem Borchard anno 1937 in Berlin erstaufgeführte!) Partita für Orchester des Italieners Goffredo Petrassi (1904-2003) - ein den damaligen Zeitgeschmack bedienendes neoklassizistisches Stück von 20 Minuten Dauer; hochexpressiv, andeutungsreich und bieder.
Dann bot Camilla Nylund Strauss' Vier letzte Lieder dar; ja und nachdem wir uns noch immer nicht aus dem erlitt'nen Schockstarrzustand angelegentlich des Weltstargastauftritts von der Netrebko (mit besagten Liedern) im September des vergang'nen Jahrs zu lösen glaubten - diesmal schien die Gegentherapie zu funktionieren! Nylund's Vortrag jedenfalls wirkte sehr diesseitig und lichtdurchwachsen wie bei 'ner Mittsommernacht - irgendwie "sachlich" und zugleich betörend schön.
Als Highlight spielten die Berliner Philharmoniker Tschaikowsky's Vierte Sinfonie - Noseda ließ hier deutlich wissen, dass er zwischen Ursache und Wirkung (Notentext und Ohrenschmaus) differenzierend austarieren kann, will sagen: Unser laienhafter Hörverstand setzte bei diesem doch zu allgemeiner Überschwänglichkeit tendierendem Gesamtschmachtfetzen überhaupt nicht aus.
Tolles Konzert!
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Andre Sokolowski - 26. Mai 2015 ID 8668
BERLINER PHILHARMONIKER (Philharmonie Berlin, 25.05.2015)
Goffredo Petrassi: Partita für Orchester
Richard Strauss: Vier letzte Lieder
Peter Tschaikowsky: Symphonie Nr. 4 f-Moll op. 36
Camilla Nylund, Sopran
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Gianandrea Noseda
Weitere Infos siehe auch: http://www.berliner-philharmoniker.de
Post an Andre Sokolowski
http://www.andre-sokolowski.de
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