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Uraufführungen

Hof Klang 2014

mit Uraufführungen von Sergey Khismatov sowie Cornelia Friederike Müller und Gerd Schenker


(C) Hof Klang

Bewertung:    



Der diesjährige Konzertort von Hof Klang - ein wunderschöner Innenhof einer in der Gründerzeit um 1890 erbauten ehemaligen Feinmaschinenfabrik - ist bis auf den letzten Platz gefüllt, viele Zuhörer werden das Konzert stehend erleben. Gut sind jene dran, die in dem Gebäude, was vor kurzem zu Lofts umgebaut wurde, ihr Zuhause haben. Auf den umliegenden Balkonen sitzen die Bewohner in kleinen Grüppchen, festlich gekleidet beobachten sie das Treiben von oben. Eine Stimmung wie auf einer italienischen Piazza: sommernächtliche Temperaturen, Menschen im Hof, Menschen in den umliegenden stimmungsvoll illuminierten Architekturen; schätzungsweise 150 Leute konnte Hof Klang heute in die Berliner Michaelkirchstrasse locken.

Steffen Kühn, Erfinder und künstlerischer Leiter von Hof Klang,
veranstaltet Konzerte mit ausschließlich Neuer Musik. Die Idee von Hof Klang war von Anfang an, heute lebenden Komponisten und an Neuer Musik interessierten Musikern Aufführungsmöglichkeiten zu schaffen. Die Orte dabei sind unkonventionell, meist Höfe historischer Gebäude in zentralen Lagen, Orte, die niemals für Konzerte konzipiert waren. Eine ehemalige Pelzmanufaktur in Leipzig war der Ausgangspunkt der Initiative, später kam das historische Bosehaus, Sitz des Bacharchives und Bachfestes in Leipzig, hinzu. Bach hat in Leipzig jede Woche die Motette für den sonntäglichen Gottesdienst neu komponiert, jeden Sonntag war Uraufführung, daran möchte Kühn anknüpfen.



Der Gründer und Initiator Steffen Kühn mit dem diesjährigen Hof Klang-Ensemble -Foto (C) Ingo Karge


Den Abend beginnen die beiden jüngsten Musiker Maxine Bell und Ferdinand Gentz. Mit dem Stück „Ekkremes“ für zwei Akkordeons (von Panos Iliopoulos) haben sie dieses Jahr den Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ gewonnen. Das dreisätzige Stück arbeitet mit verschiedenen Raumanordnungen, wie gemacht für den wunderschönen Innenhof mit seinen vielen Möglichkeiten, die Musiker und damit den Klang zu inszenieren. Beim 1. Satz sitzen die beiden auf verschiedenen Balkonen weit voneinander entfernt, kraftvoll werfen sie sich die Töne durch den Hof. Harrison Birtwistles „Crowd“ schließt sich ohne Pause an. Das Stück darf man als eines der schwierigsten der neuen Harfenliteratur bezeichnen, Alma Klemm gestaltet einen brillanten Klang, ihr perfektes Timing bindet auch die leisen Stellen wunderbar ein. Immer noch kommt die Musik von oben.

Mit „Schwarze Wolken“ für Vibraphon von Edisson Denissow wird zum ersten Mal die Bühne bespielt. Gerd Schenker (langjähriger Percussionist des MDR-Sinfonieorchesters) bringt den Hof zum Klingen. Ein Sirren und Raunen, der Klang von der Bühne, durch die Hofwände reflektiert, entwickelt sich intensiver als von oben. Maxine Bell und Ferdinand Gentz - mittlerweile auch im Hof angekommen - sitzen während des 2. Satzes von Ekkremes immer noch weit entfernt voneinander, gemäß den Aufführungsvorgaben des Komponisten.

Die Uraufführung von „Voice Quartett“ des russischen Komponisten Sergey Khismatov am Ende des ersten Teiles des Konzertes ist der Höhepunkt des heutigen Abends. Sergey Khismatov hat mit diesem Stück am Hof Klang Kompositionswettbewerb 2012 teilgenommen. Am 20. April 2012 bekam er im Bach-Archiv Leipzig dafür den ersten Preis. Ekkehard Klemm, Rektor der Dresdner Hochschule für Musik Carl Maria von Weber und Vorsitzender der Jury, würdigte das aus den internationalen Einsendungen ausgewählte Stück als sehr innovativ und höchst anspruchsvoll. Matthew Toogood (Dirigent an der Komischen Oper Berlin) hat zusammen mit Rose Nolan, Anton Derbanosov, Jérôme Quéron und Konrad Furian das Quartett einstudiert. Die höchst komplexe Musik bewegt sich in einem Bereich, den man klassisches Beat Boxen bezeichnen möchte. Von den vier Sängern wird Akrobatisches mit dem Mund verlangt, Zischen und Räuspern sind da noch die harmlosesten Anforderungen. Über viele Stellen sind die Stimmen solistisch notiert, immer wieder müssen sich die Sänger mit der Stimmgabel selbst den Weg durch die Partitur suchen. Matthew Toogood aber findet einen Zugang zur Komplexität von Khismatov’ Musik und schafft es einzelne Linie und Melodiefetzen herauszuarbeiten. Die Zuhörer schwanken zwischen Verblüffung und Begeisterung, manche Stellen geraten ins Komische, was die Stimmung auflockert und Kontakt zum Publikum schafft. Die Frage, ob das noch Musik ist, beantwortet sich ganz spontan. Auf einem der Balkone beginnt sich ein kleines Mädchen - sie sitzt auf einer der Balkone mit ihren Eltern und beobachtet das Konzert - zu Khismatov’ Musik zu bewegen und zu tanzen; also ein kleines Mädchen, vielleicht sieben Jahre alt, festlich gekleidet mit sorgsam geflochtenen blonden Zöpfen, tanzt bei der Uraufführung eines höchst komplexen Stückes Neuer Musik: Das ist großartig, welch ein Erlebnis!



Quartett beim Hof Klang 2014 - Foto (C) Ingo Karge


Der Beginn des zweiten Teiles gehört nochmal Maxine Bell und Ferdinand Gentz. Für den 3. Satz von „Ekkremes“ sitzen sie sich in der Mitte des Hofes gegenüber. Nun nicht mehr das Hin- und herwerfen der Töne; diesmal beginnen die zwei Akkordeons gemeinsam zu atmen, tief und intensiv wird der Hof mit ihrem Spiel durchdrungen.

Weshalb Kühn ein Stück der Altmeisterin Sofia Gubaidulina ins Programm genommen hat, erklärt sich erst während der Aufführung. Alma Klemm an der Harfe, Ander Perrino am Bass und Gerd Schenker am Schlagzeug entlocken den „Fünf Etüden“ eine musikalische Brillanz, welche das Publikum nochmal ganz intensiv zuhören lässt. Ander Perrino türmt im zweiten Satz Klangkaskaden, die man vom Freejazz gewohnt ist. In der sich anschließenden Aufführung von Teppo Hauta-Aho's „Kadenza“ für Bass solo kann sich Perrino dann nochmal ganz entfalten.

Gerd Schenker und Cornelia Friederike Müller sind für die zweite Uraufführung des Abends verantwortlich. „Disturblency“ für Trommeln und Elektronik baut auf Friedrich Schenkers Stück "Felle" auf. Das Stück arbeitet mit dem Kontrast von akustischer und elektronischer Musik. Loops und Echos laufen der akustischen Musik nach oder stoßen neue Themen an. In den Tuttis wird die Musik physisch, das Publikum wird noch mal durchgeschüttelt, bevor der Abend mit Karlheinz Stockhausens „Aus den sieben Tagen ruhig ausklingt.

Viel, viel Applaus. Kühn wird mit auf die Bühne geholt. Die Frage „"Warum Neue Musik?“" - sie wurde heute beantwortet!



Das Publikum beim diesjährigen HOF KLANG 2014 - Foto (C) Ingo Karge


[Anm.d.Red.: Unsere Gastautorin Ina Rosbe studierte Germanistik, war im Kulturmanagement tätig und lebt und arbeitet in Leipzig; dort hatte sie mehrere Kulturprojekte mitorganisiert. | a.so.]


Ina Rosbe - 31. August 2014
ID 8051
HOF KLANG 2014 (Michaelkirchstrasse 15 in 10179 Berlin, 28.08.2014)

Werke

Panos Iliopoulos: Ekkremes (2013) für zwei Akkordeons
Harrison Birtwistle: Crowd (2005) für Harfe
Edisson Denissow: Schwarze Wolken (1984) für Vibraphon
Sergey Khismatov: Voice Quartet (2012) für vier Stimmen (UA)
Sofia Gubaidulina: Fünf Etüden (1965) für Harfe, Bass, Schlagzeug
Teppo Hauta-Aho: Kadenza (1981) für Bass
Cornelia Friederike Müller und Gerd Schenker: Disturblency für Trommeln und Elektronik feat. Friedrich Schenker "Felle" (UA)
Karlheinz Stockhausen: Aus den sieben Tagen, Textkompositionen für Intuitive Musik (1968), Stimmen, Harfe, Bass, Akkordeon und Percussion

Ausführende
Rose Nolan, Anton Derbanosov, Jérôme Quéron und Konrad Furian (Quartett)
Matthew Toogood (musikalische Leitung des Quartetts)
Gerd Schenker und Cornelia Friederike Müller (Elektronische Musik)
Maxine Bell und Ferdinand Gentz (Akkordeon)
Alma Klemm (Harfe)
Ander Perrino (Bass)

Weitere Infos siehe auch: http://www.hofklang.de





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