London Symphony Orchestra
Sir Simon Rattle
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Bewertung:
Sir Simon Rattle hatte während seiner Zeit als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker (2002-2018) alle Mahler-Sinfonien dirigiert, und das mehrere Male. Auch schon vorher, seit er ab 1987 - da zählte er erst 32 Lenze - regelmäßig Gast hier war, dirigierte er die eine oder andere; und mit der Sechsten gab er schließlich vor fünf Jahren seinen Ausstand. Er kannte/ kennt sich also aus mit diesen publikumswirksamen Brocken, sowieso zählen die Mahler-Sinfonien zum unverzichtbaren Repertoire-Bestandteil der wohl meisten Pultstars, denen derartige Spitzenorchester (zu denen auch halt die Berliner Philharmoniker mitzählen) anvertraut sind, hiermit kann und wird man immer kräftig punkten, und die Säle kriegt man hiermit allenthalben voll.
Noch ist er Musikdirektor des London Symphonie Orchestra (oder doch schon nicht mehr?), das er nach nur sechs Jahren in diesem Jahr definitiv verlässt, um mit Beginn dieser Konzertsaison 2023/24 die Nachfolge Mariss Jansons' als Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks anzutreten.
Beide (Rattle & LSO) gastierten gestern beim MUSIKFEST BERLIN mit Mahlers 9. Sinfonie.
"Bis heute kommen, geht es um Mahlers Neunte, Begriffe wie 'Abschied' und 'Tod' in den Sinn. Für Sir Simon Rattle, der bereits mehrere aufwühlende Einspielungen der Neunten vorgelegt hat, ist es allerdings 'kein endgültiger Abschied. Und er ist in keiner Weise sentimental, sondern eher stoisch. Das bedeutet nicht, dass da keine Wut, kein Aufbäumen spürbar wäre. Aber die Reise, von der hier erzählt wird, ist doch getragen von einer großen Akzeptanz, auch wenn das Atmen immer schwerer fällt.' Für die Interpret*innen, so Rattle weiter, müsse es vor allem darum gehen, die Ambivalenz dieser tiefgründigen Musik hörbar zu machen: 'Die Symphonie kann nach tiefschwarzer Depression klingen, aber auch nach Liebe und Sehnsucht.' Am Ende seiner Amtszeit als Chefdirigent des britischen Klangkörpers stellt Rattle nun mit dem London Symphony Orchestra seine gegenwärtige Sichtweise von Mahlers Neunter Symphonie vor: 'Das ist ein Stück, das wie kein anderes den Charakter der Interpreten sichtbar macht, des Dirigenten und des Orchesters.'“ (Quelle: Berliner Festspiele)
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Sir Simon Rattle | Foto (C) Oliver Helbig
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Beim Ländler (2. Satz) fiel mir die Szene aus dem österreichischen Spielfilm Alma + Oskar (derzeit in diversen Programmkinos) ein, wo Emily Cox als Alma Mahler, die lustige Witwe ihres soeben verstorbenen Gatten, bei der Orchesterprobe zur bevorstehenden New Yorker Erstaufführung der Neunten zugegen war und justament den Dirigenten dahingehend zusammenschiss, dass er doch bitte wortwörtlich nehmen sollte, was dem Komponisten, als er jenen Satz mit "Etwas täppisch und sehr derb" verschriftlichte, so klanglich vorschwebte - das Orchester spielte diesen Satz ihrer Meinung nach nicht täppisch und derb genug. (Im Film hieß es fälschlicherweise, dass es sich um die Fünfte gehandelt haben würde, aber in der Fünften gibt es keinen Ländler; so Filmemacher sind halt keine echten Sachverständigen, und also bringen sie die Fakten manchmal durcheinander, wie es meistens, wenn sich zwischen Dichtung & Wahrheit entschieden werden soll, die Regel ist.)
Sir Simon und das LSO nahmen dann allerdings, wie ich bestätigen kann, die Satzbezeichnung Mahlers für den Ländler 1:1 beim Wort und musizierten in der Tat dann "etwas täppisch und sehr derb".
Was auffiel und erschreckend irritierte: Das Orchester nutzte die "Abteilungenpause" zwischen erstem und zweitem Satz zum nochmaligen Stimmen seiner Instrumente, und sein Dirigent nahm kurz noch einen großen Schluck aus seiner Pulle, die er unterm Pult hervor geholt hatte; und der Gesamteindruck des eben noch Gehörten (1. Satz) war schlagartig dahin.
Versöhnlich stimmte dann der letzte Satz (Adagio), der ewig-ewig nicht zu Ende gehen wollte also wo zum Schluss hin das Orchester, bis zur 90-prozentigen Unhörbarkeit, so wie in einem anhaltenden "Todesrausch" sprich Immer-leiser-Ausatmen, allmählich aber sicher fortverstarb. Ein Streicherfest der Sonderklasse. Ja, zum Heulen schön und gottlob nicht von dieser Welt.
Rattle scheint schon seit Langem - wie der Abend insgesamt erneut bestätigte - der derzeit beste aller Mahler-Dirigenten auf der Welt zu sein.
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Andre Sokolowski - 29. August 2023 ID 14357
MUSIKFEST BERLIN (Philharmonie Berlin, 28.08.2023)
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 9
London Symphony Orchestra
Dirigent: Sir Simon Rattle
https://www.berlinerfestspiele.de/musikfest-berlin
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