Die unbeantwortete Frage
IRIS von Pietro Mascagni mit der Berliner Operngruppe
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Bewertung:
Jährlich führt in schöner Tradition die Berliner Operngruppe rare Opernwerke aus den Archiven des legendären Ricordi-Verlages auf, dessen gesamtes Erbe mittlerweile von der deutschen Bertelsmann-Stiftung aufgekauft und verwaltet ist. Zuletzt beglückte uns die Truppe mit Klängen von Puccini und Verdi – und namentlich die Darbietung von dessen Stiffelio vor drei Jahren dürfte zu den absoluten Höhepunkten dieser Konzertreihe gehören – ein unvergessliches Ereignis!
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Ob nun die Wahl des diesjährigen „Melodrammas“, Mascagnis siebente Oper Iris (Rom, 1898), all der Mühe lohnen würde? Das gesamte Opernwerk des Komponisten, der sich später Mussolini und dem Faschismus anschließen sollte, hat es außerhalb Italiens ziemlich schwer. Abgesehen von dem unverwüstlichen Opernreißer Cavalleria rusticana und seines ab und zu von Operngourmets erinnerten L‘amico Fritz (auch wegen einer schönen Aufnahme mit der kürzlich verstorbenen Mirella Freni und der Verwendung als Filmmusik im Paten) findet sich fast nichts von ihm auf den Programmen. Umso merkwürdiger die sporadischen Initiativen um Mascagnis Iris - von der es immerhin einige hochrangige CD-Aufnahmen und mitunter sogar Opernproduktionen gibt – selbst in Berlin konnten Unverdrossene eine Verramschung á la Neuköllner Oper vor einigen Jahren miterleben (Iris Butterfly).
Das Iris-Libretto schrieb Luigi Illica gemeinsam mit Giuseppe Giacosa (wie bei Puccinis La Bohème, Tosca und Madama Butterfly). Die fade Handlung schien als Steilvorlage für eine veristische Musik-Behandlung prädestiniert: schöne und unschuldige Tochter (Sopran), die Blumen und Sonne liebt, wird bei einem vorgegaukelten Puppenspiel aus dem Haus ihres erblindeten Vaters (Bass) von zwei geilen Mackern entführt: einem Bordellbesitzer (Kyoto, Bassbariton) und seinem begehrlichen Gesellen (Osaka, Tenor). So originell wie deren Namen bleibt es auch ansonsten mit der „Exotik“ des Gebotenen: nachdem Iris die Annäherungsversuche Osakas verschmäht, überlässt der sie dem Bordellbesitzer. Es kommt, wie es kommen muß: als zufällig der Vater das Etablissement aufsucht, glaubt er, seine Tochter sei freiwillig dort tätigt – und wirft sie in den Abflusskanal. Der Opernsadismus der Herren zeigt uns im 3. Akt so verlogen, wie unkritisch das Frauenopfer, das am Ufer des Flusses erst sterben darf, nachdem es noch ausgeraubt wurde – nur lautstark getröstet von Blumen und Sonne verklärt sich das Ende von Iris.
Dennoch – und es liegt an der Komposition – zündet die Geschichte kaum: alles ist richtig und alles musikalisch abwechslungsreich gestaltet, die Details sind gekonnt, aber das Ganze erreicht weder Anteilnahme, noch tieferes Interesse. In seinem Versuch, naturalistisch zu komponieren, kommt nie eine echte, tragende Melodik auf. Erst die dramatische Steigerung des 2. Aktes hat Beeindruckendes, ohne aber solch tragische Kraft zu erreichen, wie das Geschehen sie erfordern – um von einer kritischen Dimension gar nicht erst zu reden. Es ist ja kein realistisches Stück. Im 3. Akt schließlich gewinnt die Orchesterbehandlung in oft kammermusikalischer Transparenz Eigenart und überzeugt als der sublimste Abschnitt der Oper. Schließlich bringt das Finale sogar eine Choralmelodie, bevor alles laut, blechtönend und trügerisch strahlend den Schlussapplaus erzwingt.
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Alle Beteiligten waren, wie bei der Berliner Operngruppe unter Stabführung ihres enthusiastischen Felix Krieger stets, hochmotiviert und sie gaben ihr Äußerstes. Allein dieses spürbare Engagement übertrug sich auf die Atmosphäre des Abends – ein Markenzeichen. Felix Krieger leitete Orchester und Chor der Berliner Operngruppe mit gewohnter Sicherheit. Es ist eine Freude, seiner Aufmerksamkeit für die Details der farbig durchgearbeiteten Partitur zu folgen! Gerade im 3. Akt kamen die einzelnen Orchestergruppen in schöner Intensität zur Geltung – nicht nur die differenziert besetzten Bläser, sondern gerade auch die tiefen Streicher! Bereits mit dem strahlenden „Sonnenhymnus“ des Beginns glänzte der Chor (Einstudierung: Steffen Schubert) - die Tenorgruppe ist hier zu rühmen ; in den beiden Finali wirkte das Ensemble gesteigert!
Ob nun Karine Babajanyan eine Idealbesetzung für die Titelfigur war, ob ihr merkliches Vibrato noch den Charakter einer unschuldig-reinen Iris zu versinnlichen vermochte? Jedenfalls gelang ihr mit Vehemenz, die außerordentlichen Anforderungen der Partie von zartester Lyrik bis hochexpressiver Erregtheit zu meistern! Ganz ohne Wenn und Aber fesselten ihre beiden Gegen-Spieler Samuele Simoncini als schmachtender Osaka (eine Partie, die einst Pavarotti sang!) mit stets kraftvoll schmetternder Tenorstimme bis in die enormen Höhen, sowie der souveräne Ernesto Petti als Halbweltganove Kyoto, der sowohl mit Körperpräsenz und Spiel, wie dank einer wirklich männlich-schönen Baritonstimme rundum überzeugte und die Figur in jedem Augenblick erfüllte! Den „blinden Vater“ der Iris gab David Oštrek mit sicher strömendem Bass. Offenbar sollte er nicht nur einen Blinden, sondern mithin Gehbehinderten spielen, der sich dennoch dauernd nach den hinter seinem Rücken agieren Protagonisten umdreht (und zuvor ohne Sturz den Weg übers Podium zur anachronistischen Sitzgruppe an der Rampe schafft, aber allein und ohne Stock später durch den ganzen Saal läuft). Während im 3. Akt der Tenor Andrès Moreno García als räuberischer „Lumpensammler“ gesanglich hervorragend mit seinen anderen Kollegen harmonisierte, blieb Nina Clausen als „eine Geisha“ (plötzlich in Ganzkörperkostüm und voll maskiert daher trippelnd) mit schrillen Sopran hinter den Erwartungen zurück - und das leider auch darstellerisch.
Hier ist der Moment, wo das Ärgerliche, Störende der sogenannt „halbszenischen“ Gestaltung um ein weiteres Mal einzuklagen ist. eine nervtötend banale Illustration von pseudo-theatralischen Vorgängen, die ästhetisch und inhaltlich so inkonsequent wie hilflos gesetzt sind, um über ein Dilettantentheater kaum hinaus zu weisen. Wozu das „chinesische“ Service aus dem Sortiment jedes x-beliebigen Teeladens, mit dem der Vater sich (warum?) eine Tasse einschenkt, während andere eine Duett-Szene singen – wozu das offenbar im nächsten Blumengeschäft gekaufte „Ikebana“-Bäumchen? Für schrillen Kitsch sorgte unfreiwillig das Puppenspieler-Trio mit krampfhaft bemühter Gestik. Gut wirkte jedenfalls die Einbeziehung des Raums (Saal, Galerie usw.). - Man hat schon große Oper im Konzert erlebt, wo allein die gekonnt reduzierte Darstellung auf Sänger und Sängerinnen das Drama packend zu verlebendigen vermochte. Ein altes Motto mal wieder bestätigt: Weniger ist oft mehr; jedenfalls hat das Als-ob der Phantasie noch immer eher mit Kunst zu tun, als aller bestenfalls kunstgewerbliche Ersatz.
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Mir hat sich mit der Aufführung nicht wirklich erklärt, was uns diese Iris noch soll? Wenn schon Mascagni, dann lieber gleich Puccini. - Wünschen wir der Berliner Operngruppe (und uns), dass ihrem so verdienstvollen Spiritus rector Felix Krieger fürs nächste Mal wieder eine glücklichere Hand die Wahl bestimmt! Genau solche Entdeckungen sind ja das Charakteristikum derartiger Experimente – und die müssen sein! Wünschen wir uns also vor allem, dass diese hochwertigen Erkundungen weniger beachteter Werke von italienischen Meistern unserer Berliner Kulturlandschaft sicher erhalten bleibt: diese Reihe ist unverzichtbar – und das zumindest hat gerade auch die Iris-Aufführung bewiesen!
Wer Mascagnis Iris demnächst noch einmal live erleben möchte, kann sich den Wunsch mit der „Oper im Konzert“ schon am 18. und 22. Mai jeweils um 20 Uhr vom Teatro Real Madrid erfüllen lassen.
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o.b. - 19. Februar 2020 ID 12007
IRIS (Konzerthaus Berlin, 18.02.2020)
Oper in drei Akten von Pietro Mascagni
Musikalische Leitung: Felix Krieger
Szenische Einrichtung: Isabel Ostermann
Choreinstudierung: Steffen Schubert
Besetzung:
Iris ... Karine Babajanyan
Osaka ... Samuele Simoncini
Kyoto ... Ernesto Petti
Der Blinde ... David Oštrek
Eine Geisha ... Nina Clausen
Ein Lumpensammler ... Andrès Moreno García
Chor und Orchester der Berliner Operngruppe
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlineroperngruppe.de/
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