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Konzertkritik

Psycho

MAETERLINCKS TRAUMWELT - EINE REISE INS UNBEWUSSTE


(C) Rundfunkchor Berlin

Bewertung:    



Vor ca. einem Monat kippte der Berliner Senat sein coronabedingtes Singverbot, das - ungeachtet allgemeinen Kirchen- oder Feiersingens - insbesondere die professionellen und Laienchöre, deren Dichte in der Hauptstadt ganz besonders ausgeprägt ist, aufs Verheerende betraf; die Pandemie-Verordnung vom 23. Juni hatte das Chorsingen in Berlin bis Ende Oktober verboten, weil: Aerosole, die beim Luft- und Spuckeausstoßen (einer unvermeidbaren Begleiterscheinung jeglichen Singens) entstünden, würden als Virenschleudern fungieren, und infolge dessen hätten alle indirekt oder direkt Beteiligten dann den Salat.

Derzeit werden infektiologisch tragbare Neu-Standards erarbeitet und abgestimmt, und also fängt das große Chorsingen allmählich wieder - vorerst freilich nur im kleinsten Kleinen - an; ab wann dann allerdings Beethovens Schlusschor aus der Neunten oder Mahlers Auferstehungssinfonie oder die legendären Mitsingkonzerte des Rundfunkchors Berlin (1.300 Mitwirkende) in geschlossenen Konzertsälen stattfinden können, wäre eine Quizfrage an das Orakel wert.

Nachdem nun die Berliner und Tourneedaten der beiden weltberühmten Profi-Chöre aus der Hauptstadt (auch dem RIAS Kammerchor geht's nicht viel besser) abgesagt, verändert oder ausgedünnt wurden, muss jetzt alternativ und kreativ gehandelt werden, um den zwei Ensembles wenigstens mit diesem Wenigen zu ein paar Auftritten notzuverhelfen...

*

In dem schönen Oktogon des silent green Kulturquartiers (dem Ex-Krematorium im Berliner Wedding) fand jetzt à la Maeterlincks Traumwelt – eine Reise ins Unbewusste ein psycho-musikalischer Themenabend statt, wo eine Auswahl von acht Stücken, die alle irgendwie mit Texten des Besagten zu tun hätten, gesungen und gespielt wurde und wo dann der Gelehrte Timo Storck auf spitzfindige Anfragen der deutsch-amerikanischen "Dinglerin" Gayle Tuft (welche, nach eigenem Bekunden, schon als Sechsjährige ihre erste Psychoanalyse in New York erlebte; hätte aber alles, wie sie meinte, nichts genützt) Interessantes zu Freuds Couch oder Selbstdezentrierung sagte. Die erfolgte Werkauswahl besorgte der mit Gayle vergnüglich plaudernde südniederländische Chorleiter-Star Gijs Leenaars; und er stellte, ähnlich gut gelaunt wie unsere vergnügte Gayle, den Symbolisten Maeterlinck als Sachverständigen für Bienen und Termiten (beispielsweise) vor... So herrlich locker also fing die Chose an.

Man muss sich das mal vorstellen:

Von 60 weltberühmten ChoristInnen "durften" dann lediglich vier Mitglieder aus ihrem elitären Kreis - damit uns HörerInnen nicht ihre gefährlich-virenschleuderischen Aerosole angriffslustig träfen - singen; und die anderen, oder ein nicht zu übersehender Teil von ihnen, "durften" dann vom oberen Balkon herunter Glasharfen betätigen. Das war dann allerdings auch der vielleicht spektakulärste Beitrag des Konzerts - Philip Mayers komponierte Stèle für Tenor, Glasharfe, Bratsche, Flöten und Klavier, und Holger Marks war der Vokalsolist.

Barbara Berg sang Darius Mihauds Adieu; Gijs hatte dieses Opus, von dem es bis heute keine Aufnahme geben würde, quasi als Weltureinspielung auf dem Plan [man kann es wohl am 1. 9. drei nach acht auf Deutschlandfunk Kultur nachhören]. Übrigens: Barbaras Stimme klang und klingt so wunderbar betörend, dass ich sie mir gleich als hellglockige Melisande vorzustellen in der Lage war!

Sören von Billerbeck war der Solist der Drei Lieder nach Gedichten von Arthur Rimbaud von Hans Krása, der (wie sein jüdischer Kollege Victor Ullmann) 1944 in Auschwitz ermordet wurde.

Und schließlich sang Josette Micheler Jean Absils anspruchsvollen Quatre poèmes de Maeterlinck!!

Grandiose Runde.




Gayle Tufts interviewt den Harfenisten Markus Thalheimer... | Foto (C) Holger Talinski

Andre Sokolowski - 27. August 2020
ID 12417
Maeterlincks Traumwelt - Eine Reise ins Unbewusste (silent green Kulturquartier, 26.08.2020)
Claude Debussy: Pelléas et Melisande für Violine, Cello und Klavier (Arr.: Hubert Mouton)
Darius Mihaud: Adieu op. 410 für Sopran, Flöte, Viola und Harfe
Hans Krása: Drei Lieder nach Gedichten vn Arthur Rimbaud für Bariton, Klarinette, Viola und Violoncello
Bob Dylan: "You're gonna make me Ionesome" (Arr.: Philip Mayers)
Philip Mayers: Stèle für Tenor, Glasharfe, Bratsche, Flöten und Klavier
Paul Dukas: La plainte au lain du faune für Klavier solo
Gabriel Fauré: Impromptu op. 86 für Harfe solo
Jean Absil: Quatre poèmes de Maeterlinck op. 12 für Mezzosopran und Klavier
SolistInnen des Rundfunkchores Berlin:
Barbara Berg, Sopran
Josette Micheler, Mezzosopran
Sören von Billerbeck, Bariton
Holger Marks, Tenor
sowie Daniela Braun (Violine), Eve Wickert (Viola), Anna Carewe (Cello), Rebecca Lenton (Flöte), Meriam Dercksen (Klarinette), Markus Thalheimer (Harfe), Philip Mayers (Klavier) und Mitglieder des Rundfunkchores Berlin (Glasharfe)
Dirigent: Gijs Leenaars
Moderation: Gayle Tufts
Im Gespräch: Prof. Dr. Timo Storck, Psychoanalytiker


Weitere Infos siehe auch: https://www.rundfunkchor-berlin.de/


http://www.andre-sokolowski.de

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