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Konzertkritik

Elektrisierender Soundregen und LED-Blitzgewitter



Sänger Azekel mit „Ritual Spirit“ beim Massive Attack-Konzert im Kölner Palladium | Foto © Ansgar Skoda

Bewertung:    



Über 30 Jahre besteht die britische Band Massive Attack nun schon. Die Pioniere des Trip-Hops, einem atmosphärisch klingenden elektronischen Musikstil mit ruhig pulsierenden, oft gemächlich anschwellenden Rhythmen, legten in den vergangenen Jahrzehnten mit wechselnden Guest-Vocals Hits wie “Teardrop“ oder “Protection“ vor. Bei ihrem ausverkauften Konzert vergangenen Donnerstag im Kölner Palladium spielte die Band um die Gründer Robert „3D“ Del Naja und Grantley „Daddy G“ Marshall viele der Hits früherer Platten und auch einige neuere Songs.

Als Vorgruppen heizen bereits ab 19:30 der nigerianische Liedermacher Azekel und ab 20 Uhr die schottische Gospel-HipHop-Soul-Pop-Gruppe Young Fathers dem Publikum ein. Später treten beide Acts bei einzelnen Songs zusammen mit 3D und Daddy G auf. Sowohl der Singer-Songwriter Azekel als auch die Polit Hip-Hop-Avantgardisten von den Young Fathers wirkten auf Massive Attacks jüngster EP Ritual Spirit (2016) mit. Azekel erarbeitete mit Massive Attack das tänzelnd schwerelose “Ritual Spirit“, die Young Fathers schufen mit Massive Attack das mit hektischem, ratternd-bellendem Rap versehene “Voodoo in my blood“. Die Musikvideos zu ebendiesen Songs überraschten mit prominenten weiblichen Darstellerinnen; Kate Moss respektive Rosamund Pike werden hier minutenlang in Großaufnahme gezeigt.

Auch beim Kölner Konzert setzt die Band mit Lichteffekten und Textbotschaften auf Schauwerte, wenngleich man sich ebenso hier mehr weibliche Power erhofft hätte – als einzige Frau tritt Deborah Miller auf, die Shara Nelsons ursprünglichen Vocals bei “Safe from harm“ kraft- und glanzvoll mit stimmlicher Beweglichkeit übernimmt. Viele der Massive Attack-Hits leben von dem charismatischen, facettenreichen oder hypnotischen Ausdruck von Gastsängerinnen – wie Elizabeth Fraser, Tracey Thorn, Nicolette, Martina Topley-Bird und nicht zuletzt Neneh Cherry und Sinéad O’Connor –, die jedoch natürlich nicht allesamt auf der Bandtournee vertreten sein können. Im Zentrum des Konzerts steht demgemäß der Kern der Männerriege der Bristoler Formation. Elegante und ausdrucksstarke Interpretationen wie etwa von “Eurochild”, die 3D und Daddy G im rhythmischen Wechselgesang performen, entschädigen etwas für das Fehlen anderer Hits. Die Bristoler spielen “Eurochild” von 1994 nun nach 18 Jahren wieder auf ihrer Tournee als Reaktion auf den Brexit.

Bewusst politische Akzente setzen 3D und Daddy G auch mit einer aufwendigen Dramaturgie aus Licht und Wort im Rahmen ihrer Show. Auf riesigen LED-Wänden flimmern während der Live-Performance von “United snakes”, “Risingson” oder “Future Proof” Bilder und Texte zur Partei- und Weltpolitik, zu Themen wie Kriegsführung und Flüchtlingsarbeit. Die Collage typografischer LED-Anzeigen suggeriert teilweise eine Datenerfassung in Echtzeit. Sie bietet politisch aufgeladene, aktuelle und nachdenklich stimmende Inhalte. Da treffen großformatig eingeblendete Aussprüche Hitlers auf Zitate Trumps. Like-Aufforderungen folgen auf die Einblendung einer Flughafentafel mit „delayed flights“. Blinkende Shell-Logos treten neben Aussprüche wie „Den Sumpf trocken legen“. Es stellt sich die Frage, ob hier eine Positionslosigkeit, Polarisierung oder ein Bildermissbrauch thematisiert werden soll? Die Köpfe hinter Massive Attack trauen sich, auf fragwürdige politische Ansichten öffentlichkeitswirksam zu reagieren und haben damit für viele Aktivisten eine Vorbildfunktion. So deaktivierten sie etwa im Zuge des aktuellen „Cambridge Analytica“-Datenskandals ihre Facebook-Fanpage. Einige, in leuchtenden Lettern eingeblendete tiefschürfende Sentenzen, wie „Wir sind alle in einem Boot“ und „Was ist der Sinn des Lebens“, haben durchaus Charme. Die visuelle Reizüberflutung verantwortet übrigens das Londoner Unternehmen United Visual Artists (UVA), das seit Jahren mit Massive Attack zusammenarbeitet.

Auf “Way up here” folgt der Song “Angel”, bei dem der 67jährige Horace Andy mit gefühlvollem Falsett-Gesang die Vocals übernimmt. Der jamaikanische Roots-Reggae-Künstler ist Gastsänger auf allen fünf Studioalben von Massive Attack und wird von den Fans einhellig bejubelt. Er singt während des Live-Konzerts auch “Hymn of the big wheel” und “Girl I Love You“. Auf das sexy-sinistere “Inertia creeps” folgt ein neuerer Song, “Take it there” mit elegisch prasselndem Flüster-Rap. Ein Highlight der Show ist schließlich als Zugabe “Unfinished sympathy” aus dem Debütalbum der Band. Hier erobert wieder Deborah Miller mit schneidigem und entrücktem Gesang die Bühne und viele im Publikum wippen mit. “Splitting the atom” ist schließlich mit seinen elektronischen Samples, Dub-Rhythmen und tiefbassigen Klängen die letzte gefeierte Zugabe des Konzertabends in der ehemaligen Fabrikhalle.



Reggae-Legende Horace Andy (Mitte) mit “Hymn of the big wheel” beim Massive Attack-Konzert im Kölner Palladium | Foto © Ansgar Skoda

Ansgar Skoda - 30. Juni 2018
ID 10781
Weitere Infos siehe auch: http://www.massiveattack.co.uk/


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