Mehr als ein Paukenschlag
Hartmut Haenchen dirigierte das SWR Symphonieorchester
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Wenn man nicht gerade Müller oder Meier hieß und Verwechslungen vorbeugen musste, signalisierte ein Doppelname früher aristokratische Wichtigtuerei, die die echte oder eingebildete Ausstrahlung der Ahnen bewahren wollte. Als sich dann in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Doppelname als Ausweis feministischer Gesinnung epidemisch verbreitete, schrieb die Schriftstellerin und Übersetzerin Dagmar Ploetz, das solle zu verstehen geben, dass die Trägerin zwar so emanzipiert sei, dass sie ihren Mädchennamen behalte, aber nicht so unattraktiv, dass sie keinen Mann gefunden hätte.
Daran erinnert der Wikipedia-Artikel über Hartmut Haenchen. Er beschreibt den Dirigenten als einen Mann, der regimekritisch genug sei, um in der DDR schikaniert und diskriminiert worden zu sein, aber nicht so unbegabt, dass er nicht eine beneidenswerte Karriere absolviert hätte und mit Preisen überschüttet worden wäre. Jedenfalls nimmt es den Horrorgeschichten über die DDR einen großen Teil des Schreckens, wenn man zweimal von der Musikhochschule verwiesen werden und zugleich in Leningrad studieren und in Westdeutschland hospitieren konnte, wenn man zwar eine Berufung an die Komische Oper Berlin verpasste, aber doch die führenden Orchester der DDR dirigierte sowie eine Professur bekleidete. Dass er Mitglied der CDU wurde und diese wegen einer Elbbrücke wieder verließ, legt den Verdacht nahe, dass Haenchen eine streitbare Person ist. Das gilt bekanntlich als positiv, wenn man, wofür diese streitet, unterstützt, und als negativ, wenn man die Gegenposition vertritt.
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Innerhalb des Schostakowitsch-Schwerpunkts, den das SWR Symphonieorchester in der laufenden Saison gesetzt hat, wählte Hartmut Haenchen die dreisätzige Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 34 aus dem Jahr 1939. Noch war die Sowjetunion vom Krieg verschont. Schostakowitschs nächste Sinfonie war dann, zwei Jahre später, die aufwühlende Leningrader. Haenchen dirigiert präzise, differenziert, ohne Mätzchen. Den ersten Satz lässt er mit großem Ernst, nicht ohne Pathos, wie eine Trauermusik spielen. Dazu kontrastieren der zweite und der dritte Satz mit ihrem Charakter eines Volksfests einem fast Offenbachschen Galopp.
Das Tänzerische, wie von einer Bauernhochzeit, verbindet die Schostakowitsch-Sinfonie mit dem dritten Satz des Konzerts für Viola und Orchester von Béla Bartók, das, zusammen mit Joseph Haydns Sinfonie Nr. 95 c-Moll, vor der Pause zu hören war. Das Konzert konnte Bartók vor seinem Tod im Jahr 1945 nicht ausführen. Es wurde von senem Schüler und Freund Tibor Serly vollendet, von Bartóks Sohn Peter danach revidiert. Auch Bartóks Komposition ist hochdramatisch und voll von Kontrasten, zwischen dem Soloinstrument und dem Orchester, zwischen den Blechbläsern und den Streichern.
Als Solist glänzte der Franzose Antoine Tamestit, der zurzeit Artist in Residence beim SWR Symphonieorchester ist. Die Blumen, die ihm vor der Zugabe überreicht wurden, schenkte er dem Paukisten, der bei Schostakowitsch seine schon bei Bartók demonstrierte Kunstfertigkeit noch toppen durfte. Was er hier zu bewältigen hatte, war mehr als nur ein Paukenschlag.
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Thomas Rothschild – 31. März 2019 ID 11315
SWR SYMPHONIEORCHESTER (Liederhalle Stuttgart, 29.03.2019)
Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 95 c-Moll
Béla Bartók: Konzert für Viola und Orchester
Dimitrij Schostakowitsch: Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 54
Antoine Tamestit, Viola
SWR Symphonieorchester
Dirigent: Hartmut Haenchen
https://www.swr.de/swrclassic/symphonieorchester/swrclassic-symphonieorchester-100.html
Post an Dr. Thomas Rothschild
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