Third Stream
Mit SECOND PRELUDE TO THE PRIMAL SCREAM verbindet Wolfgang Dauner klassisches Sinfonieorchester und Big Band zu unerhörten Klängen, Formen und Aussagen
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Der deutsche Jazz, von dem man nicht behaupten kann, er stünde zurzeit im Zentrum des öffentlichen und medialen Interesses, hat seine Helden. Einer davon, in Stuttgart und weit darüber hinaus seit Jahrzehnten bewundert und verehrt, heißt Wolfgang Dauner. Als Pianist, als Komponist, als Arrangeur und als Organisator hat er Zeichen gesetzt, unter anderem mit seinem United Jazz & Rock Ensemble. Es gehörte ein Vierteljahrhundert zu den führenden Big Bands und zu den Repräsentanten dessen, was man Jazzrock nannte.
Zu Dauners Begabungen als Musiker zählt seine Vielseitigkeit. Er war einer der Ersten, die in Deutschland mit dem Synthesizer experimentierten. Damit hat er nie aufgehört. Aber auch als Solist am Flügel überzeugt er immer wieder. Nicht zuletzt steht er für etwas, was man einst den Third Stream nannte: ein Konglomerat aus „Klassik“ und Jazz, meist in Form des Zusammenspiels eines Orchesters mit Combos oder Solisten des Jazz.
Jetzt haben die Stuttgarter Philharmoniker unter der Leitung des Allround-Talents Denis Russell Davies zusammen mit der SWR Big Band, die über viele Jahre von Erwin Lehn geprägt wurde, Dauners Second Prelude to the Primal Scream zur Aufführung gebracht. Die Komposition besticht durch Tempo und den üppigen Einsatz von Synkopen. An einer Stelle lässt Dauner die Musiker chorisch kurze Sätze aus einem früheren Werk sprechen – weder im Jazz, noch in der zeitgenössischen E-Musik ganz ungewöhnlich, aber immer wirkungsvoll und ein wenig komisch.
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Eingerahmt wurde Dauners Komposition von Duke Ellingtons dreiteiliger Suite Black, Brown and Beige und Miles Davis‘ Sketches of Spain. Es gibt Leute, die halten den langsamen zweiten Satz aus dem populären Concierto de Aranjuez von Joaquin Rodrigo in der Version von Miles Davis, in der das Flügelhorn die Gitarre ersetzt, für schöner als das Original. Es gehört Mut dazu, das Genie mit dem unverwechselbaren Trompetensound, dem Inbegriff des Cool Jazz, zu covern. Sebastian Studnitzky besteht die Herausforderung mit Bravour. Und doch: wer den schneidenden Ton von Miles Davis im Ohr hat, muss sich fragen, ob es im Zeitalter der Musikkonserve sinnvoll ist, eine so singuläre Aufnahme nachzuspielen. Die Zweifel werden bestärkt durch den verwischten Klang des kleinen, außer aus einer Harfe, einem Kontrabass, Perkussion und Schlagzeug ausschließlich aus Bläsern bestehenden reduzierten Orchesters, bei dem die Melodiestimme zu verschwinden droht. War das Russell Davies‘ Entscheidung, Unvermögen oder gar die Akustik des voll besetzten Beethoven-Saals der Liederhalle?
Bei Duke Ellington, zu Beginn des von der Kulturgemeinschaft, der größten deutschen Besucherorganisation in der Tradition der Volksbühnen, veranstalteten Konzerts, wurde der Zwittercharakter des Third Stream doch sehr deutlich. Er erinnert, etwa wenn das Fagott mit dem Saxophon konkurriert, an die Sportart Biathlon, bei der Schilanglauf und Schießen eine Einheit ergeben sollen. Die Stuttgarter Philharmoniker versuchen gar nicht erst, den Eindruck zu erwecken, als ahnten sie etwas von der Intonation, vom Drive, vom Feeling des Jazz. Das hörte sich an wie das Mantovani Orchester mit einem von den in der hintersten Reihe versteckten Solisten der Big Band beigesteuertem Zuckerguss aus Jazz, näher an Gershwin als an Count Basie oder an Duke Ellington selbst. Das ist, jedenfalls in der Stuttgarter Interpretation, wenn überhaupt, Jazz für Weiße, bei dem die Frage gar nicht erst aufkommt, warum die Musik eines Schwarzen, die immerhin schon mit ihrem Titel verkündet, in welchen Bereichen sie beheimatet ist, nicht von einem Schwarzen dirigiert wird. Dem Verdacht der Othello-Darsteller ist Denis Russell Davies nicht ausgesetzt.
Black, Brown and Beige hangelt sich im raschen Wechsel von einem Motiv zum nächsten. Für eine Durchführung ist ebenso wenig Raum wie für Improvisation, die für viele Puristen ein unverzichtbarer Bestandteil des Jazz ist. Aber die dürften ohnedies wenig anfangen können mit dieser Sackgasse der Jazzgeschichte. Es hat schon seinen Grund, dass der Third Stream eine Episode geblieben und über das Experimentierstadium nicht hinaus gekommen ist. Hübsch anzuhören war das Konzert am Vorabend des „Kampftags der Arbeiterklasse“, der zugleich als „Internationaler Tag des Jazz“ firmiert, allemal.
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Thomas Rothschild – 1. Mai 2019 ID 11381
STUTTGARTER PHILHARMONIKER (Liederhalle Stuttgart, 30.04.2019)
Duke Ellington: Black, Brown and Beige
Wolfgang Dauner: Second Prelude to the Primal Scream
Miles Davis: Sketches of Spain
Sebastian Studnitzky, Trompete
SWR Big Band
Stuttgarter Philharmoniker
Dirigent: Dennis Russell Davies
Weitere Infos zu den Stuttgarter Philharmonikern
Post an Dr. Thomas Rothschild
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