Nur bedingt monumental
BRUCKNERS ACHTE mit dem Staatsorchester Stuttgart unter Marek Janowski
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Bewertung:
Selbstzweifel gehören nicht zu den bevorzugten Merkmalen der Kunstbeurteilung, nicht beim breiten Publikum und auch nicht bei den professionellen Kritikern. Ihr Modus ist der Indikativ. Nicht "dieses Werk könnte als misslungen betrachtet werden" heißt es, sondern "dieses Werk ist misslungen", nicht "ich halte diesen Pianisten für überschätzt", sondern "dieser Pianist ist überschätzt", nicht "ich habe mich bei diesem Drama gelangweilt", sondern "dieses Drama ist langweilig". Da ist kein Platz für das Eingeständnis von Subjektivität und für die Einsicht in differierende, sich mit der Zeit verändernde Bewertungen.
Als einer der Kronzeugen gegen die Vorstellung, die Qualität von Kunst und Künstlern ließe sich ein für alle Mal und objektiv benennen, kann Anton Bruckner herbeizitiert werden. Zu Lebzeiten und darüber hinaus klafften die Einschätzungen über diesen Komponisten weit auseinander. Für viele, allen voran den einflussreichen zeitgenössischen Musikkritiker Eduard Hanslick, war Bruckner allenfalls ein herausragender Organist, aber kein Tonsetzer von Belang. Inzwischen hat sich das Urteil über Bruckner weitgehend verändert. Einige der maßgeblichsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts haben sich seines Werks mit Nachdruck angenommen, und für so manche besteht die Gewissheit, dass er als der wohl bedeutendste Symphoniker zwischen Brahms und Mahler gelten darf. Zu einer Zeit, da viele an der Möglichkeit symphonischen Komponierens nach Beethoven, auch nach Schubert und Schumann zweifelten, schuf er ein immenses Werk, das heute auf kaum einem Konzertspielplan fehlt.
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In seinem 4. Sinfoniekonzert der laufenden Spielzeit hatte das Staatsorchester Stuttgart, das auch als Opernorchester fungiert, Bruckners Achte auf dem Programm. Gespielt wurde die zweite, von Leopold Nowak herausgegebene Fassung von 1890. Unter den präzisen Anzeigen des auswendig dirigierenden, in Wuppertal aufgewachsenen gebürtigen Polen Marek Janowski sorgte das Orchester für subtile Differenzierungen in der Dynamik. Das Tempo ist gegenüber anderen Interpretationen leicht angezogen. Alles steuert auf das Finale zu, dessen geballte Bläsersätze den Organisten verraten und auch die Einflüsse Richard Wagners.
„Monumental“ und „gigantisch“ gehören zu den meistgebrauchten Attributen, wenn von Bruckners 8. Symphonie die Rede ist. Es hat den Anschein, dass die pure Länge das Vokabular der Beschreibungen bestimmt. In der Stuttgarter Liederhalle wirkte das Werk keineswegs „lang“, und auch monumental klingt es bei Marek Janowski nur bedingt. Sein Augenmerk oder vielmehr sein Ohrenmerk gilt den kompositorischen Verflechtungen, dem Dialog der Instrumentalstimmen, die er akzentuiert und aufdröselt. Anton Bruckner braucht nicht mehr entdeckt zu werden, aber immer wieder neu hören kann man ihn schon.
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Thomas Rothschild – 21. Januar 2019 ID 11160
STAATSORCHESTER STUTTGART (Liederhalle, 20.01.2019)
Anton Bruckner: Sinfonie Nr. 8 c-Moll
Staatsorchester Stuttgart
Dirigent: Marek Janowski
Weitere Infos siehe auch: https://www.oper-stuttgart.de/staatsorchester/
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