Die Überzeugungskraft des Symphonischen
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Es geht auch ohne Thielemann, und es geht sogar ohne die Pracht der Semperoper. Die Sächsische Staatskapelle Dresden, eins der bestrenommierten Orchester Europas, gab ihr Konzert in an die Verhältnisse adaptierter Form, also ohne Pause, unter dem Titel Variation im unweit gelegenen Kulturpalast, der seine Herkunft aus der DDR nicht zu verheimlichen versucht – ein überdimensionales Wandbild an der Westseite zeigt die Geschichte des Sozialismus inklusive Walter Ulbricht –, unter der Leitung ihres Ersten Gastdirigenten Myung-Whun Chung. Als Solist gesellte sich der zum Sir geadelte Pianist András Schiff mit drei Staatsbürgerschaften – der ungarischen, der österreichischen und, als Voraussetzung für das Pädikat „Sir“, der britischen – zu ihr. Wenn sich Künstler bedenkenlos den jeweiligen politischen Systemen anschließen, heißt es meist: „Na ja, ein Künstler!“ András Schiff gehört wie sein jüngerer Kollege Igor Levit zu jenen, die sich mit politischem Verstand und Rückgrat zu Unrecht und Reaktion äußern und entsprechend verhalten.
Die Ankündigung als „Sonderkonzert am 472. Gründungstag der Sächsischen Staatskapelle Dresden“ erinnert daran, dass das Orchester bereits seit 1548 ohne Unterbrechung besteht. Das ist schon was. Die Kombination von Brahms mit Dvořák ist ebenso unoriginell wie sinnfällig. Der deutsche und der tschechische Komponist waren Zeitgenossen, und ihre wechselseitige Wertschätzung ist verbürgt. Nach Schumann und Mendelssohn Bartholdy wurden sie zu den Kronzeugen gegen die These, dass Symphonien nach Beethoven nicht mehr möglich seien. In dem Dresdner Sonderkonzert allerdings war nur Dvořák als Symphoniker im engen Verständnis vertreten, mit seiner gleich nach der Uraufführung erfolgreichen 7. Symphonie. Von Brahms war das 1. Klavierkonzert zu hören. Die beiden Kompositionen verbindet die Tonart d-Moll.
Gleich die ersten kraftvollen Takte des Klavierkonzerts geben den Gestus vor. Myung-Whun Chung dirigiert präzise, aber eher zurückhaltend, ohne äußerliche Effekte. Das ausgedehnte liedhafte Thema des ersten Satzes, das dem Klavier ohne Orchester überlassen bleibt, interpretiert András Schiff mit Nachdruck, „singend“, als Kontrast zu den dramatischen Ausbrüchen der Komposition. Das Fugato im dritten Satz setzt delikat, fast fragil ein und steigert sich dann in Zwiesprache mit dem Klavier zu einem Höhepunkt des dreiviertelstündigen Werks.
Das Orchester, das in der heute selten gewordenen „deutschen Aufstellung“ spielt, lässt, bei Brahms ebenso wenig wie bei Dvořák, etwas zu wünschen übrig und rechtfertigt seinen Ruf. Besonders beeindruckt die makellose Artikulation der Blechbläser.
Übrigens: die Eintrittskarten kosten in Dresden einen Bruchteil dessen, was man für ein vergleichbares Konzert bei den Salzburger Festspielen bezahlt. Wer erklärt uns die nationalökonomischen Gesetze, die den Wert von Arbeit bestimmen? Wovon hängt es ab, was fünf Minuten András Schiff oder Staatskapelle kosten? Etwa von der Garderobe der Zuhörer?
Das Konzert ist in der selben Besetzung heute, am 23. September, in der Kölner Philharmonie zu hören. Die für die Folgetage avisierten Gastkonzerte in Antwerpen, Luxemburg, Brüssel, Wien und Bratislava wurden abgesagt.
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Thomas Rothschild - 23. September 2020 ID 12483
SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE DRESDEN (Kulturpalast Dresden, 22.09.2020)
Johannes Brahms: Klavierkonzert Nr. 1 d-Moll op. 15
Antonín Dvořák: Symphonie Nr. 7 d-Moll op. 70
Sir András Schiff, Klavier
Sächsische Staatskapelle Dresden
Dirigent: Myung-Whun Chung
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatskapelle-dresden.de/
Post an Dr. Thomas Rothschild
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