"Er war
von je
ein Bösewicht!"
|
Der Freischütz an der Opéra national du Rhin | Foto (C) Klara Beck
|
Bewertung:
Seit 39 Jahren steht Achim Freyers erfolgreiche Inszenierung des Freischütz auf dem Spielplan der Stuttgarter Oper. Solange das Regie- und Dramaturgiegespann Jossi Wieler & Sergio Morabito das Haus geleitet hat, konnte es nicht selbst eine Version der populären Oper von Carl Maria von Weber in Angriff nehmen. Jetzt arbeiten die beiden vorerst frei und haben das Projekt in Straßburg (in Koproduktion mit dem Théâtre Royal de La Monnaie / De Munt, Brüssel und dem Staatstheater Nürnberg) realisiert.
Dass Wieler und Morabito wie Achim Freyer oder wie Robert Wilson mit der Hilfe von Tom Waits ein romantisches Märchen illustrieren würden, war nicht zu erwarten. Auch mit Jägern haben sie wenig im Sinn. Bei ihnen werden sie zu Soldaten in blauen und orangenen Overalls mit Sturmgewehren mit Zielfernrohren.
Schon während der Ouvertüre sieht man die Schatten von Drohnen auf einem projizierten roten Vorhang. Als Drohne muss später auch Samiel über die Boxen sprechen. Der nicht allzu komplexe Einfall, dass der Krieg Teufelswerk sei, lässt sich jedoch nicht durchhalten. Das Libretto gibt das nicht her.
Max lässt sich aus einer Position der Niederlage, der Verspottung durch seine Kollegen, zum „Teufelspakt“ verleiten, zum Schuss mit der Freikugel. Wo wäre die Analogie zu den Drohnen aggressiver Angreifer?
Agathe steht der Soldatenwelt ihres Max als Kind gegenüber, das mit Puppen spielt. Später schwebt Max durch die Luft in die Wolfsschlucht. Der romantische Schrecken ist zusammen mit der Sprache stumpf geworden. Der Jägerchor wird in scharfem Kontrast zu Achim Freyer in dunklen Anzügen absolviert. Die Männer erheben spielerisch jeweils zwei Finger wie Pistolen gegen die Frauen, die eben noch den Jungfernkranz geflochten haben. Nun tritt auch Max im Abendanzug auf, ehe ein Fugato wie eine Antwort auf ein Bachsches Oratorium von Kaspar berichtet: „Er war von je ein Bösewicht!“
Den versöhnlichen Schluss machen die verbliebenen Bässe unter sich aus. Wenn es fast ganz am Ende heißt, „lasst uns zum Himmel die Blicke erheben“, sieht man dort nicht den Ewigen, sondern ein Computerschema eines Luftangriffs. Zurück zum Anfang. Mit Gewalt.
Insgesamt fehlt der Inszenierung die analytische Schärfe, die man von Morabito und Wieler gewohnt ist. Weit entfernt von dem Stil, den Wieler und Morabito ansonsten pflegen, ist auch das schwer nachvollziehbare Bühnenbild der angesehenen Nina von Mechow, das von alten Buchillustrationen inspiriert ist, die mit modernen Einsprengseln irritieren.
Opernsänger sind nicht unbedingt gute Sprecher, zumal wenn Deutsch nicht ihre Muttersprache ist. Offenbar angehalten, nicht zu outrieren, verfallen sie in Straßburg bei den Dialogen in Monotonie.
Aus dem Ensemble ragen die Soprane Lenneke Ruiten als Agathe und Josefin Feiler als ihr halbwegs komischer Counterpart Ännchen heraus. Die zum Schlager gediehene Arie "Wie nahte mir der Schlummer" singt Lenneke Ruiten als das Gebet, das sie ist. Die Bässe David Steffens als Bösewicht Kaspar und Roman Polisadov als der alles verzeihende Eremit, ein anderer Sarastro, überzeugen eher durch ihre kraftvollen Stimmen als durch Intonationssicherheit. Jussi Myllys ist ein versierter Max. Ein strahlender Tenor ist er nicht. Und das Orchester unter Patrick Lange tut sich stellenweise mit dem vielen Blech schwer. Das Publikum spart dennoch nicht mit Applaus.
|
Der Freischütz an der Opéra national du Rhin | Foto (C) Klara Beck
|
Thomas Rothschild – 18. April 2019 ID 11357
DER FREISCHÜTZ (Opéra Strasbourg, 17.04.2019)
Musikalische Leitung: Patrick Lange
Inszenierung und Dramaturgie: Jossi Wieler und Sergio Morabito
Ausstattung: Nina von Mechow
Licht: Voxi Bärenklau
Choreinstudierung: Christoph Heil und Alessandro Zuppardo
Besetzung:
Agathe ... Lenneke Ruiten
Ännchen ... Josefin Feiler
Max ... Jussi Myllys
Kaspar ... David Steffens
Kuno ... Frank van Hove
Kilian ... Jean-Christophe Fillol
Ottokar ... Ashley David Prewett
Der Eremit ... Roman Polisadov
Chœurs de l'Opéra national du Rhin
Orchestre symphonique de Mulhouse
Premiere an der Opéra national du Rhin: 17. April 2019
Weitere Termine: 20., 23., 25., 27., 29.04. (Strasbourg Opéra) / 17., 19.05.2019 (Mulhouse La Filature)
Koproduktion der Opéra national du Rhin mit dem Théâtre Royal de La Monnaie / De Munt, Brüssel und dem Staatstheater Nürnberg
Weitere Infos siehe auch: https://www.operanationaldurhin.eu
Post an Dr. Thomas Rothschild
Opernpremieren
THEATER-THEMEN
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
CD / DVD
INTERVIEWS
KONZERTKRITIKEN
LEUTE
NEUE MUSIK
PREMIERENKRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|