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Premierenkritik

Zack ab

die Nase



Die Nase an der Komischen Oper Berlin | Foto: Iko Freese/drama-berlin.de

Bewertung:    



Barrie Kosky ist ein Theatermann durch und durch: Er hat das Gespür für aufregende, oft absurde Stoffe und Geschichten. Mit seiner überwältigenden Empathie scharrt er seit Jahren eine schillernde Theatergemeinde um sich, und er ist kompromisslos in seinem künstlerischen Anspruch.

Schostakowitschs Die Nase ist so ein aufregender absurder Stoff. Nikolai Gogol schrieb hier Mitte des 19. Jahrhunderts eine bizarre Erzählung, welche oft dem Surrealismus zugeordnet wird, obwohl die Künstler in Europa den Surrealismus erst 70 Jahre später aus der Taufe hoben. Die Geschichte ist einfach erzählt:

Der Emporkömmling Kowaljow wacht eines Morgens ohne Nase auf. Welche Katastrophe - „wie die Nase des Mannes so der Johannes“. Im Programmheft wird eine lateinische Entsprechung aus dem Römischen Reich dieses Idioms zitiert. Männliche Verlustangst ist also das Thema.

Der erst 21jährige Schostakowitsch vertonte diesen Stoff als Examensarbeit 1927/28. Und er fiel gleich durch damit. Als unspielbar wurde das Stück abgelehnt und konnte dann erst 1930 uraufgeführt werden. Wie ein Einundzwanzigjähriger einen stilistischen Reigen erfinden konnte, ist unglaublich. Der riesige Klangapparat gibt dem Stück einen für damalige Verhältnisse sehr modernen Anstrich. Aber die explosionsartigen Eruptionen werden abgelöst von russisch-orthodoxem Kirchgesang und zirkusmusikartigen Aktionen. Einzelne Instrumente überzeichnen klangmalerisch die absurden Charaktere; Kowaljow jammert mit der Violine, sein Diener Iwan rülpst und furzt zum Kontrafagott.

*

Kosky weidet sich an dieser Vorlage. Die verlorene Nase wird vervielfacht; muskulöse Tänzer, mit riesigen Nasen überzogen, steppen durch die Kante. Die gleichen Tänzer treten auch als StripperInnen auf. Buki Shiff hat ihnen fantasievoll-laszive Kostüme verpasst, die würden auch im KitCatClub durchgehen. Die Kostüme sind überaus farbig und laut. Gut, dass Klaus Grünberg seine Bühne abstrakt gehalten hat.

Ainārs Rubiķis, der designierte Generalmusikdirektor der KOB, gibt mit der Nase schon mal seinen Einstand. Er beweist, dass das Stück nicht unspielbar ist. Mit dem groß aufgestellten Orchester der Komischen Oper Berlin bewältigt er die Partitur barvorös. Klangkaskaden werden aufgetürmt ohne den Sängern den Raum zu nehmen, und dann plötzlich schillert russisch-orthodoxem Kirchgesang durch. Bei soviel Absurdität darf die Frage erlaubt sein, ob das eigentliche als Oper taugt. Schostakowitsch hat in seinem Plot eine Szene mit darüber palavernden Zuschauern eingebaut. Kosky hat das in eine BBC-Ansage-Szene verwandelt. Die Sprecherin sinniert slapstickartig darüber, wer so eine Oper eigentlich braucht. Das Publikum lacht und staunt über so derart viel Absurdität. Die neue deutsche Textfassung stammt von Ulrich Lenz - ein Höhepunkt in ihr: der Slogan „Entnasifizierung“.

Die Übersetzung ist künstlerisch konsequent und hätte die Komische Oper ein Jahr gekostet, wie Kosky bei der Premierenfeier berichtete. Und dann lobte und herzte er seine Gemeinde; klar, er braucht sie wieder, all die Sänger, Tänzer und vielen Helfer. Die nächste Herausforderung wartet sicher schon.




Die Nase an der Komischen Oper Berlin | Foto: Iko Freese/drama-berlin.de

Steffen Kühn - 17. Juni 2018
ID 10761
DIE NASE (Komische Oper Berlin, 16.06.2018)
Musikalische Leitung: Ainārs Rubiķis
Inszenierung: Barrie Kosky
Choreographie: Otto Pichler
Bühnenbild und Licht: Klaus Grünberg
Kostüme: Buki Shiff
Dramaturgie: Ulrich Lenz
Chöre: David Cavelius
Mit: Günter Papendell, Jens Larsen, Rosie Aldridge, Alexander Kravets, Alexander Lewis, Ivan Turšić, Ursula Hesse von den Steinen, Mirka Wagner, Carsten Sabrowski, Samuli Taskinen, Johannes Dunz, Emil Ławecki, Adrian Strooper, Caren van Oijen, Christoph Späth und Tom Erik Lie
Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin
Premiere war am 16. Juni 2018.
Weitere Termine: 24., 28., 30.06. / 06., 14.07.2018
Koproduktion mit The Royal Opera House Covent Garden, der Opera Australia und dem Teatro Real, Madrid


Weitere Infos siehe auch: http://www.komische-oper-berlin.de


Post an Steffen Kühn

http://www.hofklang.de

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