Zeitloses
Zerrinnen
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Yannick-Muriel Noah als Emilia Marty und Ivan Krutikov als Jaroslav Prus in Die Sache Makropulos an der Oper Bonn | Foto © Thilo Beu
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Bewertung:
Die Altersuhr tickt ein Leben lang. Doch auch lange von Alterslosigkeit gezeichnete Wesen mögen Opfer des Altersstarrsinns werden. So etwa Elina Makropulos, die Hauptfigur in Leoš Janáčeks Oper Die Sache Makropulos (1926) Sie gleitet als vielverehrte Operndiva sangesfreudig und erhaben durch die Jahrhunderte, ohne zu altern. Alsbald fällt es ihr jedoch schwer, lange verinnerlichte Gewohnheiten zu überdenken.
Vorlage für das temporeiche Alterswerk des tschechischen Komponisten war die Komödie Věc Makropulos (1922) seines Landsmanns Karel Čapek. Nun zeigt der US-Amerikaner Christopher Alden den Dreiakter, den er bereits 2006 an der English National Opera in London inszenierte, mit Detailreichtum und Dynamik auch am Bonner Opernhaus.
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Während der Ouvertüre hebt sich der schwarze Bühnenvorhang nur sehr langsam. Bald eröffnet sich der Blick auf eine Eingangshalle eines im Bauhausstil gestalteten Bürogebäudes mit hoher Decke, Marmorwänden und einer sterilen Bürobeleuchtung (Bühne: Charles Edwards). Rechts dominiert eine Glasfront mit Türen und Fenstern, durch die im Stückverlauf mehrfach Licht einfällt. Hier befindet sich auch eine machtvolle Wanduhr, deren Zeiger schicksalhaft stehen geblieben sind. Dieses hallenartige Foyer dient zunächst als Büro eines Anwalts. Im zweiten Akt um unzählige (Plastik-)Blumenansammlungen bereichert wird das Einheitsbühnenbild zur Garderobe der Opernsängerin und Hauptfigur umfunktioniert, die hier nach einem gefeierten Auftritt von Verehrern mit Avancen überschüttet wird. Zu Beginn des dritten Aktes ist die Bühne dann zum Schlafzimmer umgestaltet, indem der Tisch zum Bett umfunktioniert wurde. Unter den wenigen Requisiten, die auf der Bühne mehrfach zum Einsatz kommen, befinden sich außerdem auch große Schiefertafeln auf der rückwärtigen Wand, auf denen die Figuren im Stückverlauf Gedankengänge mit Kreide verschriftlichen.
Zu Anfang wird in der Anwaltskanzlei des Dr. Kolenaty ein Erbstreit verhandelt, der sich bereits seit fast 100 Jahren vor Gericht hinzieht. Die Weitergabe eines Gutshofes wird durch das Fehlen eines eindeutigen Testaments erschwert. Die Kontrahenten sind Baron Prus und Albert Gregor. Plötzlich betritt die Opernsängerin Emilia Marty den Saal, erringt mühelos die Aufmerksamkeit der interessierten Herrschaften und lenkt alsbald die Verhandlungen in eine neue Richtung. Auch sie sucht ein für sie wertvolles Dokument. Sie selbst sucht die Formel für ein Lebenselixier, das ihr vor vielen Jahren verabreicht wurde. Erst gegen Ende stellt sich heraus, dass die Diva bereits im 16. Jahrhundert geboren ward. Ihr Vater Hieronymos Makropulos, Leibarzt Kaiser Rudolfs II., hatte sie einst als Versuchskaninchen benutzt. Er verabreichte ihr einen Trunk, der sie nicht mehr altern ließ. Im Verlauf ihres langen Lebens wechselte sie mehrfach Namen und Identität, behielt jedoch stets ihre Initialen E.M. bei. Sie kannte die Vorfahren der beiden Kontrahenten. Doch nun läuft die Wirkungszeit des Mittels ab und die Künstlerin sucht die Rezeptur.
Gesungen wird die handlungstechnisch recht komplexe Oper auf Tschechisch mit deutschen Übertiteln. Die kanadische Sopranistin Yannick-Muriel Noah gibt eine ausdrucksstarke und gesanglich nuancenreiche Performance als schillernde und unterkühlte Diva mit wechselnden Namen, die sich mit Verve in einer von Männern dominierten Welt zurechtzufinden weiß. Der russische Bariton Ivan Krutikov mimt den Jaroslav Prus mit kraftvoll-viriler und expressiver Stimmgewalt. Er umschwärmt die, als Projektionsfläche vieler dienende Künstlerin in ihrer Garderobe als einer von vielen. Er hat jedoch das Glück, dass nur er ihr bei ihrem persönlichen Kampf um Aufklärung zu Hilfe sein kann. Nachdem er dies zu nutzen weiß und sich bald vor ihr die Hosenträger abgestreift und entblößt, begreift er, dass auch die Nacht mit ihr ihm keine Genugtuung schenken wird. Neben den insgesamt recht soliden gesanglichen Leistungen ist vor allem die pointierte Instrumentierung unter der musikalischen Leitung von Bonns erstem Kapellmeister Hermes Helfricht ein Highlight des Opernabends. Das Beethoven Orchester Bonn spielt Janáčeks rauschhaft überbordende Musik dramatisch und konzentriert mit vielschichtigem, impulsivem und fein austariertem Klang.
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Die gelungenen Bilder und die atmosphärische Musik der Vorführung regen vielfach zum Nachdenken über das eigene Zeitempfinden an. In Die Sache Makropulos geht es ja nicht isoliert um die Unsterblichkeit, sondern um ihr Verhältnis zur Sterblichkeit. Die Position der Hauptprotagonistin verändert sich im Verlauf des Stückes: anfangs ein gefeierter Star, selbstbewusst und überlegen, wird sie dann immer mehr zur Außenseiterin – haltlos, zynisch, nach materieller und menschlicher Sicherheit suchend. Und davon kann sie dann doch immer weniger halten als alle anderen Menschen, die nur einige flüchtige Jahre zu leben haben. Eine besonders beeindruckende Szene ist es, wenn fast alle Akteure von der linken Bühnenseite hin zur hellen Eingangsseite gehen und nur die Protagonistin diese Menschen in Gegenrichtung durcheilt. Dabei versucht sie Einzelne zu fassen, was ihr aber nicht gelingt und ihre Verzweiflung nur steigert. Die Bewegung des individuellen Lebens hat eine andere Richtung als die Unsterblichkeit der inzwischen 337jährigen. Von diesem starken Eindruck des Bühnengeschehens ins Publikum blickend wird einem als Zuschauer plötzlich klar, dass alleine in der eigenen Reihe Menschen sitzen, deren Lebensalter zusammengenommen über 1500 Jahre sind – und dass in diesem Moment in der Oper in Bonn die Aufmerksamkeit von Menschen mit insgesamt über 50.000 Jahren Lebenserfahrung auf diese Momentaufnahme der Vergänglichkeit gerichtet ist.
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Die Sache Makropulos an der Oper Bonn | Foto © Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 9. April 2019 ID 11344
DIE SACHE MAKROPULOS (Opernhaus Bonn, 07.04.2019)
Musikalische Leitung: Hermes Helfricht
Regie: Christopher Alden
Bühne: Charles Edwards
Kostüme: Sue Willmington
Licht: Adam Silverman
Lichteinrichtung Bonn: Andy Cutbush
Choreinstudierung: Marco Medved
Besetzung:
Emilia Marty … Yannick-Muriel Noah
Jaroslav Prus … Ivan Krutikov
Janek … David Lee
Albert Gregor … Thomas Piffka
Hauk-Sendorf … Johannes Mertes
Dr Kolenatý … Martin Tzonev
Vítek … Christian Georg
Krista … Kathrin Leidig
Komorná (Kammerzofe) … Susanne Blattert
Strojník (Maschinist) … Miljan Milovic
Poklízečka (Putzfrau) … Anjara I. Bartz
Chor des Theater Bonn
Statisterie des Theater Bonn
Beethoven Orchester Bonn
Premiere an der Oper Bonn: 7. April 2019
Weitere Termine: 11., 20.04./ 04., 19., 26., 31.05./ 19.06.2019
Koproduktion mit der English National Opera
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de/
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