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Im weißen Rößl am Theater für Niedersachsen | Foto (C) T.Behind-Photographics

Bewertung:    



Abgesehen von den beiden Schimmel-Aufstellern macht die Hildesheimer Halle39 von außen nicht viel her. Ich tausche im Foyer mein Bargeld in Rössl-Marken und spiele noch eine Runde Tischfußball, bevor sich die Türen des, ohh ja, Festzeltes öffnen. Drinnen stehen Dutzende von Biertischen, an den Wänden hängen riesige Provinzwappen. “Servus, ich bin Nico, Ihr Kellner für heute Abend”. Ich setze mich in den Bereich “Fuschl am See”, bestelle bei Nico ein Oktoberfestbier vom Fass für 2 Rössl und lausche den Klängen der Akkordeonspielerin. Der Saal füllt sich.

Auf den genialen Einfall, das Oktoberfest mit einer Operette zu kombinieren, muss man erst einmal kommen. Für ein solches Setting eignet sich vermutlich kein Werk besser als Ralph Benatzkys revuehaftes Singspiel Im weißen Rößl. Und schon schießen die ersten eigenen Ideen durch die Rübe: Der 2. Fledermaus-Akt auf einem richtigen Ball zwischen geladenen Gästen? Eine Lustige Witwe mit realer Singleparty? Ja, warum denn nicht? Hier in Halle39 sind wir also nicht nur Publikum, sondern auch mit Rössl-Marken zahlende Kundschaft des Hotels Weißes Rössl.

Für dessen Spielversion hat sich Bühnenbildner Hannes Neumaier ein prima postkartenkitschiges Bilderbuchhäuschen einfallen lassen, in dem sie alle ein- und ausgehen: die fesche Rößl-Wirtin (famos: Neele Kramer), der Zahlkellner Leopold (mehr Musicalsänger, denn Operettentenor: Gerald Michel), der federleicht tänzelnde Dr. Siedler (smart: Julian Rohde), die für ihn schwärmende Ottilie (versprüht gekonnt Kleinmädchen-Charme: Antonia Radneva) und, und, und. Den stärksten Eindruck hinterlässt Uwe Tobias Hieronimi, der als Wilhelm Giesecke den furztrockenen, aber sympathischen Berliner Meckerkopp mit Herz & Schnauze gibt.

Am Pult der TfN-Philharmonie waltet Achim Falkenhausen seines kapellmeisterlichen Amtes und neutralisiert den unsäglichen Schmalz, der sich in den Nachkriegsjahren auf die Partitur legte. Zwar dürfte es hie und da etwas zügiger vorangehen, aber an Schmiss und Witz mangelt es diesem Benatzky keineswegs. Zudem darf der in Lederhosen dirigierende Falkenhausen einen der besten Gags des Abends reißen, indem er zwischendurch Wagner auf Kuhglocken spielt.

Apropos Wagner. Regisseur Erik Petersen, der überwiegend unbeschwerte Unterhaltungskost serviert, lässt zu der Nummer "Eine Kuh, so wie du" derer drei auf die Bühne ziehen: Isolde, Ortrud und Elsa. Es dürfen also nicht nur Herzen lachen, sondern auch Schwarten krachen. Allerdings: Die zweite Hälfte schleppt a bissl, was eindeutig am Stück selbst liegt, das Charaktere wie den Sigismund (schön selbstironisch: Johannes Osenberg) viel zu spät einführt. Egal, dafür gibt's herrlich choreografierte Tanzeinlagen (Ludwig Mond), quietschbunte Sakkos und Dirndl (Kostüme: Kristopher Kempf), ein Blasorchester, das uns die Pause versüßt, einen wahrlich majestätischen Kaiser (Piet Brunix) und sogar einen stellvertretenden Bürgermeister (Nikolaus Schramm) zu bestaunen.

*

Kurzum: Ein waschechter Operettenstadl. Karl Moik hätte seine helle Freude daran gehabt. Und jetzt löse ich bei Nico noch zwei Rössl ein … Prost!



Im weißen Rößl am Theater für Niedersachsen | Foto (C) T.Behind-Photographics

Heiko Schon - 10. Oktober 2019
ID 11736
IM WEIßEN RÖßL (Halle39, 02.10.2019)
Musikalische Leitung: Achim Falkenhausen
Inszenierung: Erik Petersen
Bühne: Hannes Neumaier
Kostüme: Kristopher Kempf
Choreografie: Ludwig Mond
Besetzung:
Josepha Vogelhuber … Neele Kramer
Leopold Brandmeyer … Gerald Michel
Wilhelm Giesecke … Uwe Tobias Hieronimi
Ottilie … Antonia Radneva
Dr. Erich Siedler … Julian Rohde
Sigismund Sülzheimer … Johannes Osenberg
Prof. Dr. Hinzelmann … Jens Krause
Klärchen … Sandra Pangl
Kaiser … Piet Bruninx
Piccolo … Nicolo Soller
Kathi/Zenzi … Elisabeth Köstner
Opern-, Kinder-, Jugend- & Extrachor des TfN
Statisterie des TfN
TfN-Philharmonie
Special guests:
Nikolaus Schramm (Stadtmitte/Neustadt)
Blasorchester Nordstemmen von 1883 e.V.
ARS SALTANDI Dance & Drama School
Axel Pulvermüller
Premiere am Theater für Niedersachsen: 20. September 2019
Weitere Termine: 17.-19.10.2019


Weitere Infos siehe auch: https://www.tfn-online.de/


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