Auferstanden
von den Toten
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Oberst Chabert an der Oper Bonn | Foto © Thilo Beu
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Szenische Bewertung:
Auch heutzutage gibt es noch abertausende verschollene und vermisste Soldaten, die irgendwann für tot erklärt wurden. Doch bereits 1912 – und somit noch vor dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg - thematisiert eine Oper die leidvolle Problematik von Spätheimkehrern. Ebenjene Musiktragödie zeigt, wie eine Frau die Rückkehr ihres totgeglaubten Ehemannes, eines gefeierten Kriegshelden, in tiefe Verzweiflung stürzt. Denn die einstige Kriegswitwe hat sich bereits in ihrem Leben mit einem neuen Gatten und gemeinsamen Kindern neu eingerichtet.
Jacques Lacombe und Roland Schwab entdecken mit Oberst Chabert von Hermann Wolfgang von Waltershausen an der Oper Bonn eine selten gespielte Rarität wieder. Waltershausens Oper erzählt frei nach Honoré de Balzacs Comtesse à deux maris (1835) vom hochdekorierten Oberst Chabert, der in der letzten Schlacht der napoleonischen Kriege bei Preußisch-Eylau im Jahr 1807 als gefallen erklärt wird. Doch Chabert überlebt schwer verwundet seine eigene Beerdigung in einem Massengrab. Erst nach Jahren im Irrenhaus und als Bettler gelingt dem mittellosen Veteran eine Rückkehr in seine Heimat. Dort versucht jedoch Rosine, Chaberts Ehefrau, ihren Gatten zu verleugnen.
Der Musikpädagoge, Lehrer und Theoretiker Waltershausen (1882-1954) machte sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in München insbesondere als Komponist und Dirigent einen Namen. Er blieb während des 3. Reichs in Deutschland, weitestgehend jedoch ohne sich ideologisch vereinnahmen zu lassen. Waltershausen war übrigens selbst ein Versehrter, da ihm als Neunjährigen aufgrund eines bösartigen Tumors am Lymphsystem der rechte Arm und das rechte Bein amputiert wurden. In Bonn inszeniert Regisseur Roland Schwab Waltershausens vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs uraufgeführtes Stück mit symbolträchtigen Bildern:
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David Hohmanns Bühne mutet eindrucksvoll wie ein geöffneter Schlund an, da auf dem Boden oder von der Decke schwarze Trümmer hängen. Inmitten dieser gruft- und kraterartigen Ruinenlandschaft werden assoziativ Videoprojektionen etwa von Aktenregalen, einer Wendeltreppe, einer zerbombten Straßenflucht, einem Riesenrad, bewölktem Himmel, leuchtendem Feuerwerk oder entlaubten Bäumen eingesetzt (Video: Janica Aufmwasser, Niclas Siebert, David Sridharan).
Der Amerikaner Mark Morouse gestaltet den Chabert mit dramatisch-wuchtigem und kantigem Bariton. Er bewegt sich inmitten der Trümmer in abgerissen-verwahrloster Kleidung gestenreich und effektvoll auf Krücken. Seinen Counterpart und seine geliebte Gattin Rosina mimt die Sopranistin Yannick-Muriel Noah eindringlich und ausdrucksstark. Auch die übrigen Darsteller überzeugen mit Präsenz und Intensität. Beim bewegenden Quintett am Ende des zweiten Aktes lässt insbesondere der amerikanische Bassbariton Stephen Bronk in der Rolle von Chaberts getreuem ehemaligen Korporal Godeschal mit rhythmischen Nuancen und Schattierungen im Gesang aufhorchen. Auch das groß besetzte Beethoven Orchester Bonn meistert die zahlreichen Soli, wechselnden Tempi und die mal dynamische und mal schimmernd harmonische, stets anspruchsvolle Partitur mit Verve.
Der Leidenstrip des pausenlosen, etwa 100minütigen Werkes hat trotz allem leider kleine Längen und Schwächen. So ist es etwa ein recht abgegriffener Effekt, das Publikum durch mehrere Scheinwerfer wiederholt zu blenden, um so vielleicht die gleißende Ohnmacht der Hauptfiguren zu symbolisieren. Auch die Beiläufigkeit der selbstlosen Suizide gegen Ende erscheint nicht mehr zeitgemäß und hat einen faden Beigeschmack. Insbesondere Waltershausens Frauenbild wirkt hier für unsere heutige Zeit doch recht antiquiert, wenn Rosina plötzlich doch ihrem totgeglaubten und ungeliebten Ehemann selbstlos und ohne großes Hadern in den Tod folgt und ihre beiden kleinen Töchter so mutterlos alleine dem Diesseits hinterlässt.
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Oberst Chabert an der Oper Bonn | Foto © Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 11. Juli 2018 ID 10799
OBERST CHABERT (Opernhaus Bonn, 05.07.2018)
Musikalische Leitung: Jacques Lacombe
Regie: Roland Schwab
Bühne: David Hohmann
Video: Janica Aufmwasser, Niclas Siebert und David Sridharan
Kostüme: Renée Listerdal
Licht: Boris Kahnert
Dramaturgie: Andreas K. W. Meyer
Besetzung:
Graf Chabert … Mark Morouse
Graf Ferraud … Peter Tantsits
Rosine … Yannick-Muriel Noah
Derville … Giorgos Kanaris
Godeschal … Stephen Bronk
Boucard … David Fischer
Beethoven Orchester Bonn
Premiere war am 17. Juni 2018.
Nächster Termin: 13.07.2018
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de
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