Die Depressive
|
Maria Bengtsson als Oceane von Detlev Glanert an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Bernd Uhlig
|
Bewertung:
Vor zehn Jahren hörte ich zum ersten Mal ein Werk des deutschen Komponisten Detlev Glanert (* 1960), es hieß Fluss ohne Ufer (nach Hans Henny Jahnns gleichnamigem Roman-Epos); ja und ich war tatsächlich extra seinetwegen von Berlin nach Köln geflogen, um bei seiner Uraufführung live dabei zu sein. Das Stück betrachtete er lediglich als Vorstufe zu seiner späteren Oper Das Holzschiff (diese wiederum, uraufgeführt 2011 in Nürnberg, hatte ich verpasst)... Hingegen sah und hörte ich 2012 seine zusammen mit Hans-Ulrich Treichel gewerkte Caligula-Oper am ENO in London; auch nicht so verkehrt gewesen.
Glanert'sche Musik ist nicht weltrevolutionär, was einen sogenannten "neuen" Klang beträfe. Sie klingt irgendwie fast herkömmlich und hat auch irgendwas Gefälliges, freilich auf hohem Niveau. Man tut sie ausnahmslos tonal begreifen; kaum was wirkte in ihr überbordend widerborstig, ihre nicht gerade unoft aufbrausende Expressivität erfolgt beinahe schon distanzlos zu der jeweils hierzu aufgeschlag'nen Buchseite, d.h. auch ohne mitlesbare Übertitelung würde zu hörende Musik der einen oder andern literarisch abrufbaren Stelle zuzuordnen sein, was wiederum als ein bloß musikalisches Illustrationsgebaren missgedeutet werden könnte... Mir gefällt dieser unendlich in die Tiefe ziehende Salzwassersound ganz ungemein!
*
Jetzt hat der Komponist (erneut mit seinem Texter Treichel) eine kaum bekannte Prosa Theodor Fontanes (Oceane von Parceval) als wunderbares, wunderliches "Sommerstück" vertont:
Die Titelheldin, die gerade (zufälliger Weise?) Kurzurlaub in einem mehr oder weniger heruntergekommenen Ostsee-Strandhotel macht, wird von einem jungen Gutsbesitzer, der dort ebenso (zufällig) kurz verweilt, entdeckt und unverzüglich in Beschlag genommen - Liebe auf den ersten Blick nennt man sowas. Die einseitige Liaison (Wunschliaison) endet dann allerdings so einseitig wie sie begann - die in Beschlag Genommene hätte vielleicht dann irgendwann gefragt sein sollen, ob sie überhaupt dann dieser einseitig gewünschten Liaison ihres Entdeckers, wie auch immer, gegenüber stünde; Emotionalitäten lassen sich halt nicht erzwingen.
Sowieso scheint Oceane emotional weit weg und "abwesend" zu sein; und das allmähliche Voranschreiten ihres extremen Depressionsgrades bis hin zum Suizid per abschließlichem Gang ins Meer - fürwahr und freilich ein gefund'nes Fressen für den Tonsetzer! Obgleich man während der zwei abgespielten Stunden nichts, aber auch gar nichts aus dem (Vor-)Leben Oceanes textlich mitbekommt; Mrs. Unbekannt mitohne Flaschenpost.
Maria Bengtsson singt und spielt mit skandinavischem Gespür für Unterkühlung in der Herzensgrube fast schon idealisch ihren dankenswerten Haupt- und Titelpart.
Ihr maskulines Gegenüber findet in dem bohrend-tenoralen Impetus Nikolai Schukoffs eine passende Entsprechung.
Doris Soffel ist als quasi mittellose, aber immer noch französisch sich ins jugendliche Früher 'rückträumende Hoteliersfrau zu erleben.
Das meerrauschig aufspielende und mitunter sich in wundervolle Mini-Ostsee-Ebben flüchtende Orchester der Deutschen Oper Berlin wird dirigiert von Donald Runnicles.
Und Robert Carsen hat (einschließlich der das Bühnenbild-Cinemaskope beherrschenden Meer-Videos von Rober Pflanz) schön atmosphärisch inszeniert.
Ganz großartig in Allem!!!!!
|
Oceane von Detlev Glanert an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Bernd Uhlig
|
Andre Sokolowski - 3. Mai 2019 ID 11387
OCEANE (Deutsche Oper Berlin, 03.05.2019)
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Inszenierung, Bühne und Licht: Robert Carsen
Bühne: Luis F. Carvalho
Kostüme: Dorothea Katzer
Licht: Peter Van Praet
Chöre: Jeremy Bines
Video: Robert Pflanz
Choreografie: Lorena Randi
Dramaturgie: Ian Burton und Jörg Königsdorf
Besetzung:
Oceane von Parceval ... Maria Bengtsson
Martin von Dircksen ... Nikolai Schukoff
Dr. Albert Felgentreu ... Christoph Pohl
Kristina ... Nicole Haslett
Pastor Baltzer ... Albert Pesendorfer
Madame Louise ... Doris Soffel
Georg ... Stephen Bronk
Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin
Uraufführung war am 28. April 2019.
Weitere Termine: 15., 17., 24.05.2019
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutscheoperberlin.de
http://www.andre-sokolowski.de
Neue Musik
Opernpremieren
Rosinenpicken
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
CD / DVD
INTERVIEWS
KONZERTKRITIKEN
LEUTE
NEUE MUSIK
PREMIERENKRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
RUHRTRIENNALE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|