„Letzte Bastion der Redefreiheit“
GEORG FRIEDRICH KAMMERER
im Gespräch mit Maik Gerecke
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Das ist Georg Friedrich Kammerer | Bildquelle https://www.facebook.com/GeorgKammererComedy
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Im Comedy-Untergrund Berlins wird Englisch gesprochen. Seit etwa sieben Jahren gedeiht in der Multikulti-Hauptstadt eine lebhafte Szene, zu der mittlerweile sogar deutsche Komiker überlaufen. Wir sind Undercover gegangen und haben den Komiker, Filmemacher, Schriftsteller und Politiker Georg Friedrich Kammerer interviewt, um dazu ein paar Insider-Informationen zu bekommen....
Georg, du bist in Deutschland geboren und deutscher Muttersprachler – warum englische Stand-up-Comedy?
Georg Friedrich Kammerer: Weil deutsche Comedy Dreck ist und ein Verbrechen gegen die Menschheit. Oder etwas differenzierter: an dem Klischee, dass Deutsche keinen Humor haben, ist insofern was dran, dass es zwar natürlich sehr humorvolle und lustige Deutsche gibt, die deutsche Humorkultur und -tradition, falls man das so nennen kann, aber doch im Großen und Ganzen auf einem relativ primitiven Level festhängt. Bei der Stand-up-Comedy als genuin amerikanischer Kunstform tritt das womöglich noch deutlicher zu Tage. In der englischsprachigen „Alternative Comedy“ ist es üblich, dass der Comedian schlicht und einfach über die Sachen spricht, die ihn oder sie gerade interessieren, ob das nun soziale oder politische Realitäten sind, sexuelle Unzulänglichkeiten oder irgendwelche Absurditäten.
Und wie ist es in Deutschland? Also in der deutschen Comedy?
GFK: Im deutschsprachigen Raum gibt es diese bizarre Einteilung in Comedy und Kabarett: Kabarett gilt als anspruchsvoll und politisch, Comedy als schlicht und auf den nächsten billigen Lacher aus, und die betreffenden Künstler bedienen diese Erwartungen in der Regel auf die eine oder andere Weise. Das ist natürlich eine grobe Verallgemeinerung, es gibt sehr rühmliche Ausnahmen, aber insgesamt nehme ich das Ganze so wahr.
Und das war dein Grund für den Wechsel?
GFK: Ja, ich fühle mich in keiner dieser deutschen Schubladen wirklich gut aufgehoben. Insbesondere auf die Thematisierung persönlicher Schwächen, die für mich als „Confessional Comedian“ einen großen Teil der Kunstform ausmacht, reagiert das deutsche Publikum häufig mit Befremden. Die Leute haben Mitleid statt zu lachen. Ich vermute, das liegt an der Angst, man könnte sich, indem man über die Schwäche der Bühnenpersona lacht, mit dieser Schwäche gemeinmachen. Nach meinen ersten Auftritten bei englischen Shows habe ich festgestellt, dass ich dort nicht nur eine bessere Verbindung zum Publikum habe, sondern mich auch den Kollegen näher fühle. Als ich noch bei deutschsprachigen Shows aufgetreten bin, hatte ich es in der Regel sehr eilig, danach nach Hause zu kommen. Mit den internationalen Kollegen aus der englischen Szene saufe ich auch gern mal nach einer Show noch die Nacht durch, und ich habe mit einigen von ihnen sehr enge Freundschaften geschlossen. Abgesehen davon bringt die englische Comedy natürlich auch die nette Option mit sich, international zu touren oder mit Videocontent im Netz ein breiteres Publikum zu finden. Und ich mag die englische Sprache, deren grammatikalische Struktur und Vokabular dem gesprochenen Witz etwas mehr entgegenkommen als die deutsche.
Du lebst ja in Berlin und bist hier auch comedymäßig aktiv. Seit wann gibt es diese Szene schon?
GFK: Die Szene ist im Laufe der letzten sechs, sieben Jahre gewachsen. Es fing an mit ein, zwei Shows pro Monat. Ich habe die Szene vor etwa drei Jahren entdeckt, als die ersten wöchentlichen Shows anfingen. Inzwischen gibt es um die zehn englische Shows in Berlin pro Woche, etwa fünfzig im Monat.
Und wie viele Comedians kann man dabei sehen? Ist die Auswahl groß?
GFK: Aktive Comedians, die regelmäßig bei Shows und Open Mics auftreten, gibt es etwa 40-50. Darunter sind Performer auf vielen unterschiedlichen Stufen, manche fangen gerade erst an, andere betreiben es nur als netten Zeitvertreib. Es gibt etwa fünfzehn, die ich als quasi-professionell bezeichnen würde. Nicht in dem Sinne, dass sie ihren Lebensunterhalt damit verdienen, aber was die Qualität ihres Materials angeht und die Ernsthaftigkeit, mit der sie die Sache verfolgen.
Haben es schon welche über die Berliner Szene hinaus geschaft, bekannt zu werden? Oder anders gefragt: Wird Berlin als Standort für englische Comedy auch international wahrgenommen?
GFK: International wahrgenommen wird die Szene auf jeden Fall. Immer häufiger kommen z.B. proffessionelle Comedians aus dem englischsprachigen Raum zu Besuch und treten hier bei unseren Shows auf. Meine persönlichen Highlights waren Josie Long, die in diversen Shows der BBC zu Gast war, Ben Kronberg, der immerhin schon ein halbstündiges Special auf Comedy Central hatte und John F. O'Donnell, der als durch Amerika tourender Headline Act u.a. bei meinem kleinen Open-Mic in einer Neuköllner Bar vor zwanzig Zuschauern performt hat.
Zur Bekanntheit über Berlin hinaus hat es aus unserer Szene noch niemand im nennenswerten Umfang geschafft, abgesehen von Daniel Ryan Spaulding, dessen Video If Gay Guys said the Shit Straight People Say ein kleiner Viral-Hit wurde, der aber auch schon vor seiner Berliner Zeit international als Touring Comedian relativ erfolgreich war. Viele von uns touren aber bereits in unregelmäßigen Abständen durch Deutschland und auch Europa, und ich gehe davon aus, dass im Laufe der nächsten zwei Jahre ein paar von meinen Berliner Freunden auch individuelle internationale Aufmerksamkeit erfahren werden. Außerdem bekommt die Berliner Szene gerade den Ruf, ein gutes Pflaster zu sein, um sich als Comedian auszuprobieren. Da die Szene noch recht klein und familiär ist, ist hier auch der Konkurrenzdruck geringer als in den internationalen Comedy-Zentren. Natürlich gibt es auch hier Streit um Egos und verletzte Eitelkeiten, persönliche Dramen und all das. Unterm Strich ziehen aber doch noch alle weitgehend an einem Strang, und man freut sich gegenseitig über den Erfolg der anderen. Wenn die Szene weiter wächst und sich weiter professionalisiert, wird sicher auch der Konkurrenzdruck unter den Comedians steigen; ein bisschen war das in den letzten Jahren schon zu spüren. Aber da es irgendwo eine natürliche Grenze geben wird, wie viele Leute sich in der deutschen Hauptstadt wirklich für englische Comedy interessieren, bin ich einigermaßen zuversichtlich, dass der Community-Gedanke hier auf lange Sicht eine gewisse Bedeutung behalten wird.
Sind die Shows gut besucht?
GFK: In der Regel ja. Dass Shows vor fünf Leuten stattfinden, kommt nur noch sehr selten vor. Meistens ist es ziemlich voll. Das heißt je nach Show und Raumgröße zwischen 20 und um die 100 Zuschauer. Bei beliebten Szene-Shows wie dem wöchentlichen Open Mic We are not Gemüsed oder der monatlichen Talk Show Night Show Berlin kommen oft sogar mehr Leute, als in den Saal passen, und stehen dann bis in den Gang oder halten sich an der Bar auf, während die Show läuft. Zu den Open Air Events im Sommer (Baum Haus Comedy in der Grießmühle und Teepeeland Stands Up in der Zeltstadt an der Spree) kommen mitunter über 300 Menschen.
Vielleicht nochmal zurück zu dir: Warum eigentlich Stand-up-Comedy? Wie ist es dazu gekommen, also wie hat’s Dich dahin verschlagen?
GFK: Ich habe tatsächlich schon als Kind davon geträumt, auf einer Bühne zu stehen und Witze zu erzählen. Wahrscheinlich haben meine Eltern mir nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt oder sowas. Jedanfalls hatte ich schon früh einen gewissen Geltungsdrang und ein großes Sendungsbewusstsein. Ich habe deswegen auch eigentlich mein komplettes Teenager- und Erwachsenenleben immer irgendwelche performativen Dinge getan: Theater-AG, habe in Bands gespielt und gesungen, war lange als Schauspieler am Theater, dann habe ich Regie studiert und bin nur noch selten bei Poetry-Slams oder Lesebühnen aufgetreten. Irgendwann habe ich gemerkt, dass mir die Bühne wirklich fehlt, dass ich das irgendwie für meine seelische Gesundheit brauche. Und da gab es ja eben noch diese Comedy-Sache, die ich immer machen wollte und nie wirklich versucht hatte. Zugleich hatte ich inzwischen durch Youtube die englischsprachige Stand-up-Comedy entdeckt und plötzlich eine Referenz für ein Format, das für mich Sinn ergab: eben nicht wie in Deutschland üblich eine Witzfigur zu kreieren und diese ewig auf der Bühne zu spielen oder oberlehrerhaft die politische Lage zu erklären, sondern eine Bühnenpersona zu formen, die letztlich nur eine verdichtete, übertriebene Version der eigenen Persönlichkeit ist, über alles zu sprechen, was einen beschäftigt, so lange man es auf lustige Weise tut, und, wie schon gesagt, vor allem auch persönliche Schwächen, Selbsthass und Selbstzweifel auf der Bühne thematisieren zu können. Durch die auch damals gerade entstehenden Comedy-Podcasts aus den USA, wo Comedians sehr ausführlich über ihre Arbeit sprechen, hatte ich außerdem plötzlich eine Art Plan, wie man zum Comedy-Act kommt: ich dachte aus irgendeinem Grund immer, ich müsste ein 90minütiges Programm schreiben, proben, und dann aufführen, habe da also noch sehr in Theater-Kategorien gedacht. Plötzlich erfuhr ich: Stand-up-Komiker wird man, indem man zu Open Mics geht, dort erst mal eine ganze Weile in Fünf-Minuten-Sets Ideen ausprobiert, überhaupt erstmal lernt, sich alleine dem Publikum zu stellen, ohne vor Angst zu sterben, sich dem monate- oder jahrelang immer wieder aussetzt, um dann irgendwann Material und Bühnenpräsenz für längere Sets zu haben. Ich bin dann zu den deutschen Comedy- und Kleinkunst-Open-Stages gegangen, habe da meinen Blödsinn ausprobiert, bin richtig oft richtig hart auf die Fresse geflogen, mit ein paar kleinen Erfolgserlebnissen, dann habe ich irgendwann die englische Szene entdeckt, weil eine gute Freundin von mir einen schottischen Singer-Songwriter datete, der ein englisches Comedy- und Musik-Open-Mic organisierte.
Und heute?
GFK: Inzwischen trete ich mehrmals pro Woche auf und habe meine einstündige Solo-Show Unjustified Confidence mehrmals in verschiedenen Workshop-Varianten gezeigt, Ende April wird wahrscheinlich die offizielle Premiere sein.Ich bin immer noch in ziemlich vielen Kunstformen aktiv, als Schauspieler, mache Filme, schreibe, habe gerade wieder eine Band gegründet und mache für Die PARTEI bizarre Lokalpolitik, aber wenn ich bis zum Ende meines Lebens nur noch eine Kunstform betreiben dürfte, würde ich mich für Stand-up-Comedy entscheiden. Ich mag dieses Minimalistische, dass man alleine – fast privat – auf der Bühne steht, keine Requisiten außer dem Mikrofon und vielleicht noch einem Getränk, die Direktheit in der Verbindung mit dem Publikum – Reaktionen in Echtzeit, unmittelbare Euphorie oder unmittelbare Verzweiflung. Das hat etwas rauschhaftes.
Zum Schluss noch eine allgemeine Frage: Was ist deiner Meinung nach das Gute an Stand-up-Comedy? Was kann sie, oder anders: Welchen kulturellen Beitrag kann sie leisten?
GFK: Hmmm... es gibt die gängigen, verhältnismäßig offensichtlichen Antworten: in einer komischen Kunstform kann man unangenehme Wahrheiten aussprechen, und Menschen hören einem vielleicht sogar zu. Humor kann kathartisch oder sogar aufklärerisch wirken. Gesellschaftliche Institutionen und Regeln können in Frage gestellt werden. Comedy kann den Schwachen eine Stimme geben. Die moderne Stand-up-Comedy verhandelt Probleme – anders als z.B. das in der Regel distanziertere politische Kabarett – meistens auf einer persönlichen Ebene. Der Comedian nimmt sich selbst also nicht von der gesellschaftlichen Kritik aus, spricht seine eigenen Fehler offensiv an und lädt das Publikum ein, den wiederum eigenen Makel darin zu erkennen. Manche Komiker bezeichnen Stand-up-Comedy gar als „letzte Bastion der Redefreiheit“. Ich bin immer ein bisschen skeptisch, wenn Künstler ihrer eigenen Arbeit allzu viel gesellschaftliche Relevanz oder auch noch positive Wirkung zuschreiben. So wie Redefreiheit nunmal auch heißt, dass auch Arschlöcher und Idioten ungestraft ihre Meinung sagen dürfen, gibt es neben dem progressiven, kritischen Humor, der von unten nach oben tritt, auch reaktionäre Komik. Eine Selbstversicherung der Mächtigen im Lachen über Schwächere. Das gilt für die sprichwörtlichen Stammtischwitze wie auch für vieles von dem, was in Deutschland als Stand-up-Comedy gilt: ob nun Mario Barth eine Stunde lang darüber erzählt, wie blöd seine Freundin (stellvertretend für Frauen im Allgemeinen) ist, oder Cindy aus Marzahn eine Kunstfigur erschafft, die eine Karikatur sozial schwächerer ist und das Publikum einlädt, sich im Lachen über die Unterschicht des eigenen Status zu vergewissern. Ich will übrigens nicht behaupten, dass es sowas in der englischsprachigen Comedy nicht gäbe, im Gegenteil. Es gibt aber eben mit der progressiven Variante auch eine stärkere Gegenbewegung dazu. Letztlich glaube ich: allein schon die sinnliche Erfahrung, einen Abend lang gemeinsam zu lachen, ist etwas Wertvolles. Wenn dabei, quasi als Abfallprodukt, noch intelektuelle Stimulation, emotionale Inspiration oder gar Erkenntnisgewinn mit rumkommt, umso besser.
Vielen Dank, Georg, für's Gespräch.
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Das ist Georg Friedrich Kammerer | Bildquelle https://www.facebook.com/GeorgKammererComedy
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Interviewer: Maik Gerecke - 17. Januar 2015 ID 8370
Weitere Infos siehe auch:
https://www.facebook.com/GeorgKammererComedy
http://www.comedyinenglish.de
Post an Maik Gerecke
http://www.maikgerecke.de.vu
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