JAKOB
MARIA
MIERSCHEID
Der Vogel des regierungsfreundlichsten Bundestagsabgeordneten und sein Hintergrundgespräch am Rande des Besuches von Königin Elisabeth II.
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Mierscheid im Plenum © Friedhelm Wollner | Quelle: bundestag.de
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Sie, sehr geehrter Herr Josef Maria Mierscheid, repräsentieren sozialdemokratisches Urgestein. Trotz Ihrer Ecken und Kanten, Ihrer Werte und Tugenden, an denen sich bisweilen auch mancher Genosse zu reiben scheint (Sie schrieben einst, dass Ihre eigene Fraktion Sie wie ein Waisenkind behandele), schätzt und liebt man Sie als ein Monument des Gewissens über Fraktionsgrenzen hinweg. Und das, wie es sonst keinem anderen Politiker widerfährt. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb, haben sich seit Langem einige politische Gegner in Stellung gebracht, die Sie zu diskreditieren trachten. Trotzdem weichen Sie nie Fragen aus und flüchten sich nie in ein einfaches Ja oder Nein für Ihre Antwort.
Deshalb wagt sich dieses Interview an die folgenden Fragen, deren erste lautet...
Jakob Maria Mierscheid: Vorweg: Mein Name ist Jakob Maria Mierscheid, nicht Josef Maria, das ist ein entfernter Verwandter, für die Assoziation Maria und Josef habe ich, der aus einer katholischen Gegend stammt, natürlich Verständnis.
Das hätte nicht passieren dürfen. Ich bitte Sie vielmals um Verzeihung und danke Ihnen für Ihr ausgesprochenes Verständnis. - Ihr höchster Wert, dem Sie sich auch in der Politik verpflichtet haben, ist Authentizität. Stört es Sie deshalb besonders, dass man Ihr Image als authentischer Tugendbold dennoch zu zerstören trachtet, indem man die Mär von der reinen Fiktion Ihrer Existenz immer und immer wieder aufpoliert?
JMM: Authentizität als höchster Wert? Für mich nicht. Eher eine Selbstverständlichkeit. Hinter der Annahme in der Frage steckt wahrscheinlich, dass wahre Authentizität so selten ist, dass man sie als Fiktion oder als Konstrukt ansieht - ob aus Neid oder aus Ungläubigkeit, lassen wir mal dahin gestellt. Stören tut mich das nicht.
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Cover zu Die Mierscheid-Akte | (C) Fackelträger
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Die mediale Kampagne zur Fiktionalisierung Ihrer Person und Politik kann Sie nicht unbeeinflusst lassen. Zweifeln Sie bisweilen selbst an Ihrer Existenz?
JMM: Wenn ich morgens in den Spiegel schaue, den Mut habe ich immer, sehe ich, dass ich da bin, auch wenn ich morgens früh noch nicht immer ganz bei mir bin. Jedenfalls vor dem Kaffee. Aber ich stehe mir dann schon sehr nahe. Das lässt erst gar keinen Zweifel aufkommen.
Herr Mierscheid, Sie sind einer der letzten Aufrechten, die gestählt durch die Wirren der Geschichte, den Begriff der Freiheit noch als Wert mit Auftragscharakter verstehen und nicht, wie heute Heranwachsende, als Badewanne für einen Cocktailhedonismus mit Beliebigkeitszertifikat, in der der große Gedanke der sozialdemokratischen Bewegung sich auf immer und ewig aufzulösen scheint. Sehen sie darin eher die Zeichen von Wiederkehr alter Gefahren oder Chancenreichtum für jeden?
JMM: Das ist ja toll formuliert. Hab versucht es zu verstehen, aber leider nicht ganz geschafft. Bin halt ein Schneider und komme außer beim Skat aus dem nicht raus. Die alten Gefahren sind immer da, wenn man nicht aufpasst. Chancenreichtum ist leider nicht immer da, sondern muss immer wieder erkämpft werden. Die dauernde Aufgabe, bei der wir nicht aufgeben dürfen.
In einer Offenen Bitte an den Präsidenten des Deutschen Bundestages ersuchten Sie um Auskunft über die Verfahrensweise für Abgeordnete, Ansprechpartner mit Gehaltslistenkompetenz für Großkonzerne zu werden. Damals wurde Ihre Bitte als politisches Event verstanden, um vor der Finanzhörigkeit von Abgeordneten zu warnen. Seit 2007 sind alle Nebeneinkünfte von Bundestagsabgeordneten öffentlich anzuzeigen. Bisher weigerten Sie sich erfolgreich, dieser Pflicht nachzukommen mit dem Hinweis, Sie seien kein Angeber, Ihr Privatleben auf diese Weise durchleuchten zu lassen. Gut unterrichteten Kreisen zufolge sollen Sie in dieser Angelegenheit Unterstützung durch den Bundesbeauftragten für Datenschutz gefunden haben. Leiten Sie mit Ihrem Verhalten ein neues Denken hin zu mehr wirtschaftlicher Freiheit des Einzelnen ein?
JMM: Ich habe meine Nebentätigkeiten schon vor langer Zeit offen gelegt. Siehe Anlage. Damit ist die Frage beantwortet und das Thema durch.
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Anlage: Nebentätigkeiten von Jakob Maria Mierscheid - Foto: Pressestelle SPD-Bundestagsfraktion
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Zum einen ordnen Sie in Ihrer Erklärung zu Ihrer Person Ihr Fleisch und Blut sozialdemokratischer Art zu. Zum anderen nähren Sie mit Ihrer Weigerung, Ihre Nebeneinkünfte zu offenbaren, den Anschein persönlicher Abhängigkeit von Großkonzernen. In Ihrer erwähnten Fleisch-und-Blut-Erklärung betonen Sie, dass Sie nicht wackeln, nicht wenden und nicht wechseln. Spiegelt Ihre Äußerung vor dem Hintergrund Ihres realpolitischen Verhaltens eine erweiterte historische Dimension deutscher Sozialdemokratie?
JMM: Die Ausgangsprämisse der Frage ist nicht gegeben. Deshalb sehe ich mich nicht zu einer Antwort in der Lage. Aber die historischen Dimensionen der Sozialdemokratie ändern sich, da die Welt sich ändert, solange sie sich dreht, auch wenn sie sich derzeit und aktuell nicht so ändert, wie wir das gerne hätten. Das ist aber in Arbeit.
Als direkter Nachfahre von Johannes Bückler, besser bekannt als Schinderhannes, haben Sie verstanden, marktwirtschaftliches Individualinteresse mit sozialverantwortlicher Motivation zu verknüpfen. Kämpfen Sie in Zeiten allgegenwärtigen politischen Correctness-Denkens nicht den aussichtslosen Kampf des neuen Individuums gegen eine unsichtbare Meinungsbevormundung?
JMM: Johannes Bückler hat kein individuelles marktwirtschaftliches Interesse vertreten, denn er lebte in anderen Zeiten. Hätte er in unseren Zeiten gelebt, wäre er wahrscheinlich Banker geworden. Was die eine Seite seiner Tätigkeit angeht: Das Correctness-Denken gibt es, ich versuche mich so zu verhalten, dieses Denken gibt es doch, weil sich zu wenige wirklich so verhalten, täten sie es, müsste nicht so viel darüber geredet werden. Das neue Individuum habe ich noch nicht kennengelernt, es sind immer noch die alten, denen ich begegne.
Aussichtsloser Kampf: Albert Camus hat geschrieben, man muss sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen.
Einst sind Sie als "Regierungsfreundlichster Abgeordneter des Deutschen Bundestages" ausgezeichnet worden. Verstehen Sie diese Auszeichnung als eine mit Zeitwert, also ausschließlich gültig gegenüber der Regierung zum Zeitpunkt der Auszeichnung, oder vielmehr als eine solche von grundsätzlicher Natur?
JMM: Freundlich sein heißt nicht, unkritisch zu sein, sondern konstruktiv. Ohne eine Regierung geht’s nun mal nicht. Es sollte eine gute sein. Mindestbedingung: Ich stehe hinter jeder Regierung, bei der ich nicht sitzen muss. Sagte Werner Fink. An mehr müssen wir arbeiten. Siehe den letzten Satz der Antwort zu Frage 6.
[Anm. der Redaktion: Gemeint ist die vorhergehende Frage.]
Früher äußerten Sie einmal in einem Brief an die lieben Genossinnen und Genossen, dass "Linke, Lehrer und andere Lotterbuben" die SPD in eine Identitätskrise gestürzt hätten. Würden Sie als Träger der Plakette "Regierungsfreundlichster Abgeordneter des Deutschen Bundestages" die heutige GroKo auch als ein die SPD bedrohendes identitätskrisenverursachendes Element sehen?
JMM: Nein.
In einer Ihrer Erklärungen ließen Sie verlauten, dass Sie Politiker geworden seien, um Sachprobleme zu lösen. Heutige Politverdrossenheit scheint daraus zu resultieren, dass die Fülle gegenwärtiger, gesamteuropäischer Probleme durch einen wachsenden Dschungel von Erlassen kompensiert wird, weniger durch lösungsorientierte Politik. Lässt das heutige Europa Sie nicht an Ihrer erklärten politischen Motivation zweifeln?
JMM: Nein. Europa ist Identität, Herausforderung und Aufgabe. Dabei bleibt es. Amen.
Es heißt, dass Sie während des jüngsten Deutschlandbesuches von Königin Elisabeth II. den engsten Vertrauten von Prince Charles in Ihrem Haus in Morbach, unbemerkt von der Öffentlichkeit und den Medien, zu Gast hatten. Im Mittelpunkt dieses Kurzbesuches sollen Hintergrundgespräche über das Bienensterben in Rheinland-Pfalz und über die Vorbereitung eines Anschlusses Griechenlands an das Commonwealth of Nations gestanden haben. Können Sie den allgemeinen Verlauf und die allgemeinen Inhalte Ihrer Morbacher Gespräche mit dem engsten Vertrauten von Prince Charles schildern, so dass dennoch Vertraulichkeit gewahrt bleibt?
JMM: Kann das alles nicht bestätigen. Nicht einmal das Treffen. Aber die Gespräche fanden in einer offenen und konstruktiven Atmosphäre statt.
In keinem Interview, das Ihnen gerecht zu werden versuchen will, darf natürlich eine Frage nach dem bekannten Schwerpunkt Ihrer politischen Arbeit fehlen, nämlich die Aufzucht und Pflege der geringelten Haubentaube in Mitteleuropa und anderswo.
Im Oktober 1979 schenkte Papst Paul II. während seines New York Besuches der UNO das Mosaik einer Friedenstaube, das heute im Hauptgebäude der UNO aushängt. Recherchen von KULTURA-EXTRA weisen daraufhin, dass dieser Friedenstaube Ihre geringelte Haubentaube "Johann Ernesto" Modell gehockt haben soll. Können Sie diesen Sachverhalt offiziell bestätigen?
JMM: Keine Ahnung. Müsst ich nachgucken. Kann ich machen. Können sie mir ein Flugticket nach New York schicken?
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Taube des Friedens, UN-Hauptquartier in NYC - Foto: Arnd Moritz
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Ich bitte Sie, sich auf das medienübliche Satzergänzungsspiel einlassen zu wollen:
Der "Fall" Griechenland zeichnet ein Europa, das...
JMM: ...das wir so nicht wollen und das wir verbessern müssen.
Wladimir Putin ist ein lupenreiner Demokrat, weil...
JMM: ...die Antwort sollte der geben, der dem, der das gesagt haben soll, die entsprechende Frage gestellt hat.
Bei der nächsten Bundestagswahl wird Jakob Maria Mierscheid...
JMM: ...sich für eine hohe Wahlbeteiligung einsetzen, für die Sozialdemokratie werben, Frau/Herrn X (mehr kann ich dazu im Moment leider nicht sagen) als Kanzlerkandidaten unterstützen und wieder in den Bundestag einziehen, wenn er keine Gegenstimmen erhält, was nie geschieht.
Zum Schluss wünscht Ihnen, sehr geehrter Herr Mierscheid, KULTURA‑EXTRA eine weiterhin dauerhafte Gesundheit, für Ihren Einsatz in Sachen sozialer Gerechtigkeit jeden denkbaren Erfolg und eine auch weiterhin erfüllende Parlamentariertätigkeit. Herzlichen Dank für das Interview.
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Interviewer: Arnd Moritz - 5. Juli 2015 ID 8747
Jakob Maria Mierscheid ist gelernter Schneidermeister aus dem rheinland-pfälzischen Morbach.
Seit 1979 ist er Bundestagsabgeordneter der SPD.
Seine politischen Interessengebiete sind Allgemeine Sozialfragen und Probleme der Berufsausbildung.
Privat beschäftigt er sich mit Aufzucht und Pflege der Haubentaube in Mitteleuropa.
Weitere Infos siehe auch: http://www.bundestag.de/bundestag/abgeordnete18/mierscheid/
Post an Arnd Moritz
http://www.arndmoritz.de
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