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Madeleine Porr
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Von einer, die auszog ...
Interview mit Madeleine Porr über ihr Projekt „El Pan Alegre“ in Kuba
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Die heute 45jährige Berlinerin Madeleine Porr hatte sich 1996 einen Traum erfüllt, als sie nach Kuba ging, um ohne Netz und nur vage geplant das Pilotprojekt „El Pan Alegre“/ „Das fröhliche Brot“ umzusetzen. Ein Name, den die studierte Chemikerin nicht treffender hätte wählen können. Denn Ziel des übrigens geschlechterdemokratisch organisierten Projektes ist es, Backprodukte - und insbesondere das in Lateinamerika zu suchende Schwarzbrot - herzustellen, die mit dem ernährungsphysiologisch wertvollen Amaranthmehl angereichert und in Öfen gebacken werden, deren Energiequelle Biogas aus organischem Hausmüll ist.
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Du arbeitest mittlerweile seit über zehn Jahren an dem Projekt „El Pan Alegre“, das im Laufe der Zeit gewachsen ist und mittlerweile aus mehreren Teilprojekten besteht, die ökologisch, gesellschaftlich und sozial wirksam sind. Kannst Du bitte daher kurz den Kernbereich des Projekts darlegen?
Ein Kernbereich des Projektes betrifft die Alternativenergie, nämlich Biogas als lokale Energiequelle aus organischen Hausabfällen zu nutzen. Und im Ernährungsbereich ist es die Anreicherung des üblichen Brotes mit einem bestimmten Prozentanteil von Amaranthmehl. Amaranth ist eine Pflanze, die in Kuba angebaut werden kann und die hervorragende Bodeneigenschaften hat, zudem hoch nährstoffhaltig ist und schon in den 90er Jahren als eine von 20 Pflanzen zur Bekämpfung des Welthungers von den Vereinten Nationen empfohlen wurde. Vor allen Dingen, das sei gleich mal an der Stelle noch dazugesagt, enthält sie vor allem für Frauen viele Nährstoffe, die sie ganz besonders brauchen.
Warum hast Du dir gerade Kuba als Standort für das Pilotprojekt gewählt und nicht ein anderes der lateinamerikanischen Länder, wo das Müllproblem in den Großstädten bereits ganz andere Dimensionen angenommen hat, wie beispielsweise in Buenos Aires oder São Paulo?
Die Problematiken existieren tatsächlich überall, die haben wir auch hier in Deutschland. Es ist natürlich auch eine persönliche Komponente in meiner Arbeit enthalten. Es ist meine eigene Sichtweise, wo passiert an welchem Punkt der Welt in der Zeit, in der ich noch voller Saft und Kraft bin und sozusagen in der Blüte meiner Jahre stehe, etwas so Grundsätzliches und kann so beispielhaft sein für viele, dass es nicht nur eine Arbeit an den Symptomen ist. Vor der habe ich hohen Respekt, das ist ganz klar. Aber ich würde mir wünschen, dass das alles nicht mehr nötig ist, dass man sich umdreht und schon die nächste Katastrophe vor der Tür steht. Wenn wir uns konzentrieren könnten auf einen Ort, an dem wir ein Beispiel durchführen, an dem wir wirklich an der Wurzel einmal anpacken und im Idealfall wirklich mit konzentrierter Kraft dort so ein Muster schaffen, an dem sich andere orientieren könnten. An allen Punkten der Welt wird daran gearbeitet, auf den verschiedenen Kontinenten, in verschiedenen Ländern. Das ist nötig und es wird auch längst getan - aber das ist unsichtbar. Spektakulär in der Zeitung erscheint eigentlich nur das, was destruktiv ist. Das Konstruktive aber muss sich in der Regel wirklich seinen Platz auf der Seite Eins erkämpfen.
Es passiert überall etwas und es hat seine Effekte, aber es könnte unterstützt werden. Noch dazu an einem Ort wie Kuba, der nicht nur ein hoch energetischer Teil Erde ist, sondern der auch jetzt so deutlich im “Umbruch” ist. Nicht in dem Sinne, dass da irgendwas stürzt und gleich alles ganz anders wird, aber im Umbruch, gerade so wie hier in Deutschland in dem Moment, wo die Mauer wie ein künstlicher Staudamm gebrochen ist und sich Energien bewegen konnten. Es ist auch ein ganz organischer Prozess in Kuba im Gange, in dem einfach mit den Zeiten gearbeitet wird. Fidel Castro zum Beispiel wird einfach ganz organisch auch älter und ist ja seit einem Jahr auch nicht mehr an vorderster Front zu Gange. Das ist ja gerade das Positive an diesem Ablauf, dass er nämlich noch da ist und damit auch noch immer die Sicherheit garantiert, aber dass sich eben mit ihm zusammen doch tatsächlich erste kleine, organische Veränderungen ergeben können. Und da kann so ein Projekt Initialzündung auf ganz vielen Ebenen sein.
Hinzu kommt, dass Kuba eine Insel ist. Ich meine, es ist kein Land mitten auf dem Kontinent wie Deutschland, der eingebunden ist in Pakte und nachbarschaftliche Geschichten, aus denen es nicht so leicht ist auszuscheren und zu sagen, wenn irgendwas schief gelaufen ist, das machen wir jetzt nicht mehr. Das ist schwerer auf dem Kontinent als auf einer Insel. Und gleichzeitig ist Kuba groß genug, um wirklich nicht nur ein Mikrokosmos als Insel, sondern auch ein Makrokosmos von der Größe her darzustellen, an dem man exemplarisch Effekte erzielen und dann sichtbar machen kann. Die Einigkeit der Bevölkerung im großen und ganzen und das was sie eint, ist wichtig - auch wenn sie mit der Zeit ausgehöhlt wurden und ihnen langsam die Substanz fehlt. Die sind aber noch da und das ist tief im Herzen. Das ist ein ganz hoher Wert, auf den Du bauen und wo Du auch begeistern kannst. Und überall da, wo ich davon gesprochen habe, was „El Pan Alegre“ ausmacht, kann ich dieselbe Begeisterung, die ich dafür empfinde, tatsächlich auch bei anderen im Land selber entzünden. Gerade das partizipative Element dabei, macht es zu einem partnerschaftlichen Projekt.
Der Kubanische Frauenverband ist ein Partner von „El Pan Alegre“. Wer sind die weiteren?
Selbstverständlich habe ich den Kontakt zu allen gesucht. Es ist natürlich immer davon abhängig, ob Du beispielsweise das Projekt bereits mit einem Startgeld untermauern kannst oder ob es doch mehr auf der Initiative und dem hartnäckigen Wunsch und Willen der Beteiligten basieren soll. Aber da höhlt auch hier der stete Tropfen den Stein. Also natürlich ist die Frauenorganisation ein Wunschpartner. Aber selbstverständlich sind es auch Universitäten, denn es geht ja um Pilot- und Forschungsprojekte. Wobei es ja gar nicht mal so sehr darum geht, zu erforschen, ob es wirklich funktioniert. Auf Kuba ist bekannt, dass aus organischen Hausabfällen Biogas entweicht. Das macht ihnen ja Probleme auf den Müllhalden. Sondern eigentlich geht es um die soziale Komponente, einen Mechanismus, der mit Traditionen bricht, nämlich dass Du den Müll hinter dich wirfst und ihn da liegen lässt. Du kannst wirklich einen lokalen Bereich, einen Wohnbezirk und am Ende vielleicht sogar tatsächlich ein ganzes Land mit der Zeit dahingehend erziehen, dass sie in ihren Wohnungen den Abfall säuberlich trennen. Wir wissen, dass es möglich ist, denn hier in Deutschland geht es mit Disziplin. Wir werden hier natürlich durch Müllcontainer unterstützt. Und wir brauchen den schönen Mülleimer nicht dringend, um Wasser zu transportieren, sondern können ihn wirklich als Mülleimer nutzen. Das sind in Kuba alles Hindernisse gewesen. Wenn Du ihnen Ressourcen gestellt hast, sind diese zweckentfremdet worden. Daran anknüpfend müssten die Menschen zu Hause bei ihren Gewohnheiten abgeholt und ihnen was Praktikables mit einem handfesten Nutzen angeboten werden. Und hier geht es natürlich auch in erster Linie um die Erkenntnis, dass man in der Regel Erwachsene mit festen Angewohnheiten nur sehr schwer ändern kann. Daher möchten wir bei den Kindern ansetzen, dass sie damit aufwachsen und es ganz selbstverständlich von ihrer Seite aus praktisch bei den Eltern einfordern. Das ist natürlich ein langwieriger Evolutionsprozess. Und eine revolutionäre Führung hat sicherlich Schwierigkeiten, evolutionären Prozessen zu vertrauen. Ich denke, sie darf da ihrer Bevölkerung vertrauen, dass sie mit Herz daran arbeiten wird, wenn man sie überzeugt hat. Vom Sinn braucht man gar nicht zu reden, das stört und stinkt ja alle an.
„El Pan Alegre“ ist lokal tätig. Das ist entscheidend, dass Du den Menschen wirklich klar machst, dass ihr Aufwand auch lokalen Nutzen hat und nicht irgendwo hundert Kilometer entfernt irgendjemand sein Essen davon kochen kann. Sondern sie können im Bezirk den Strom über ihre Abfälle erzeugen. Das erzeugt eine ganz starke Bindung, aber eben auch einen großen Nutzen, denn in Kuba gibt es eben keine Mietkultur, kein Kommen und Gehen, sondern man bleibt in der Regel verbunden mit seinem Bezirk und seinem Wohnblock. Das ist ein wichtiges Standbein, mit dem „El Pan Alegre“ arbeiten kann - und das ist ein soziales. Also der soziale Aspekt ist eigentlich genau genommen der wichtigste. Aber es ist auch der am schwersten fassbare. Es gibt Leute, die finden es leichter, eine riesengroße Biogasanlage zu bauen. Aber wie kriegen wir die Leute da hin, zu trennen? Wo ich dann aber sage, wir sind in Kuba! Es wird nicht länger als ein Jahr pro Block dauern. Ich denke, das wird auch viel schneller gehen, aber in dieser Phase gehen wir von Tür zu Tür und holen die Tüte mit dem organischen Müll ab und gucken zusammen rein, machen einen Plausch, erzählen und laden ein, zu kommen und zu schauen, was man da alles macht. Wir nehmen die Kinder mit, überlassen denen ein paar Stifte und ein kleines Malheft mit Amaranthpflanzen. Sie einzubinden, damit sie mit dem Projekt verbunden sind und es dadurch nachhaltig langfristig nicht nur am Leben halten, sondern dann wird es ein ganz selbstverständlicher Teil ihres Lebens sein. - Selbst wenn schon keiner mehr weiß, wer sich das denn mal ausgedacht hat.
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Buch - Von Träumen und anderen Wirklichkeiten
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„El Pan Alegre“ scheint besonders den kubanischen Frauen zugute zu kommen. Siehst Du es auch als Teil deines Projekts, die Rolle der Frau und ihre Emanzipation in der kubanischen Gesellschaft voranzubringen?
In dem Fall auf dieser Ebene ganz konkret, Kinder und Frauen körperlich zu stärken. Und durch die Herangehensweise an die Arbeitsbereiche und die Form von partnerschaftlicher Zusammenarbeit der einzelnen Beteiligten natürlich auch auf einer menschlichen Ebene zu stärken und die Vielfalt der Erfahrungen und des Wissens mit einzubeziehen. Wenn Du sie alle praktisch über ihre Probleme sprechen hörst und abstrahierst, stellst Du fest, wie sehr die Probleme frauenspezifisch sind, dass es sie ganz speziell betrifft und nicht so sehr die Männer. Das muss natürlich ein Bestandteil des Zusammenlebens sein, um sie zu stärken. Zumal auch Fidel Castro da absolut einer Meinung mit vielen anderen ist, dass die „Período Especial“ (die „Spezialperiode“) ohne die Frauen nicht hätte durchgestanden werden können. Das waren die Schultern der Frauen, das waren die Köpfe, die Gedanken, die Phantasien, die Kräfte und die Stärke der Frauen, die das geschafft haben, dass das Land heute noch auf eigenen Füßen steht. Wackelig, aber auf eigenen Füßen, und in der Zwischenzeit ja immer stärker.
Wie schätzt Du die weitere Entwicklung von „El Pan Alegre“ ein?
Gute Dinge setzen sich auf jeden Fall durch. Die suchen sich ihren Weg und die wachsen. Und ganz unabhängig davon, dass ich davon so höchst begeistert bin, ist es ein sinnvolles Projekt. Es bietet die Chance, wirklich alle guten Erkenntnisse, alle positiv konstruktiven Erkenntnisse, die wir haben, zu fördern. - Nicht nur im Bereich von Energieversorgung, sondern auch von Ernährung. Das ist ja auch ein Energiebereich, damit versorgen wir uns mit Energien über die Nahrung. Die Wertigkeit des Eiweißes, das im Amaranth enthalten ist, ist höher als die von Milch. Es gibt ganz beeindruckende Erfahrungen in Peru mit dem Heilen von Kindern, die unter starken Eiweißmangelerscheinungen gelitten und auch bereits feste Symptome manifestiert hatten, die mit einer Amaranth-Diät geheilt wurden. So klein wie das Körnchen auch ist, ist es eine wirkliche Powerpflanze. Und eine rebellische dazu, ein rebellisches Korn. Deswegen war es für mich ganz klar, dass welches Land, wenn nicht Kuba, sollte sich für den Anbau stark machen und diese Pflanze nutzen, vor der die Spanier damals offensichtlich gezittert haben, denn sie haben damals in Lateinamerika den Eingeborenen bei Androhung von Todesstrafe den Anbau und Verzehr von Amaranth verboten. Also diese Pflanze sehe ich so natürlich verbunden mit Kuba. Auch weil sie in der Lage ist, sich auf salzhaltigen, trockenen Böden zu entwickeln und diese wieder in fruchtbare Böden für andere Kulturen umzuwandeln. Das ist in Kuba mit seiner Trockenheit im Osten ein ganz wichtiger Aspekt.
Amaranth ist wirklich eine Wunderpflanze, eine der ältesten Kulturpflanzen auf der Welt. Deswegen wird sie sich durchsetzen. Nicht unbedingt, weil es ein bestimmter Mensch will, oder zwei oder drei, sondern weil sie gut und wichtig ist. Dieser Samen sozusagen eines Projektes, das so viele positive Seiten miteinander verbindet, denke ich, ist allein genauso stark wie schon das kleine Amaranth-Korn. Und es wird sich seinen Weg bahnen, auch wenn es trocken und salzhaltig drumherum ist.
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Katja Klüßendorf/ 28. März 2008 ID 00000003763
In dem 2004 erstmals veröffentlichten Buch „Von Träumen und anderen Wirklichkeiten“ sind neben persönlichen Einblicken, die Madeleine Porr nach Kuba und zum Projekt „El Pan Alegre“ führten, eingehende Gespräche mit kubanischen Frauen festgehalten, die sie ohne ihre Aufmunterung nie einer breiten Öffentlichkeit erzählt hätten. Das Buch bietet eine Reise tief in die Gedanken- und Gefühlswelt von kubanischen Frauen unterschiedlichen Alters und einen persönlichen Einblick in die (weibliche) kubanische Geschichte allgemein.
Madeleine Porr: Von Träumen und anderen Wirklichkeiten, AG SPAK Bücher, 3. akt. Auflage, Febr. 2006, 206 S. ISBN-10: 3930830728. UVP: 18,90€. (Das Buch ist auch in spanischer Sprache erhältlich.)
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