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Gastspiele

Festival-

Auftakt





Zum Auftakt des 25. Festivals Internationale Neue Dramatik (FIND) hat Milo Rau seine letzte Inszenierung als Intendant des belgischen Nationaltheater Gent nach Berlin mitgebracht. Bereits bei den Wiener Festwochen, die der Schweizer Theatermacher und Regisseur seit 2024 leitet, polarisierte sein Stück Medea’s Kinderen das Publikum. In der Schaubühne mussten nun sogar einige ZuschauerInnen benommen aus dem Saal geleitet werden. Andere hatte die Aufführung schon vorher verlassen. Der Großteil des Publikums spendete aber den sechs zwischen 8 und 13 Jahre alten Kindern und ihrem Coach, dem Schauspieler Peter Seynaeve, noch minutenlangen Beifall.

Milo Rau verwebt in seiner Produktion die Medea-Tragödie des Euripides mit dem wahren Fall einer 5fachen Kindstötung in Belgien. Entlang der antiken Folie spiegelt sich hier die Gegenwart weitaus monströser als die barbarische Vorzeit. Zumindest kannte das antike Drama den Tod nur aus der Erzählung. Die blutige Tat geschieht dort meist im Hintergrund. Den Kindern als stumme Opfer gibt Rau in seiner Produktion nun eine Stimme und lässt sie bereits zu Beginn in einem vermeintlichen Publikumsgespräch nach der Vorstellung das Gespielte reflektierend zu Wort kommen. Das ist ein geschickter Zugriff, der den Charakter des bloßen Spiels betont und auch die Empfindungen der Kinder zu ihren Rollen berücksichtigt. Bei diesem zwanglos-witzigen Vorgeplänkel, in dem der Coach die Kinder zu ihrem Spiel oder ihren Meinungen zum Drama und dem realen Fall befragt, übernehmen diese bald selbst das Heft des Handels und beginnen am Ende das Spiel einfach aufs Neue.

Die Bühne stellt einen Sandstrand mit einem kleinen zweistöckigen Haus dar. Auf die Bühnenrückwand wird ein Video mit einem Strand des Nordseebads Ostende projiziert. Erwachsene SchauspielerInnen spielen den Kampf Jasons mit einem Drachen auf Kolchis, bei dem Medea dem Fremden hilft. Die Kinder wiederum spielen parallel dazu die Szene auf der Bühne und sprechen auch den Text. So switcht die Inszenierung weiter zwischen der antiken Tragödie und dem realen Fall. Es kommen die Eltern der belgischen Mutter und ihr marokkanischer Mann zu Wort. Dieser hatte sich von Frau und Kindern immer mehr entfernt und viel Zeit mit einem von ihm als „belgischer Wohltäter“ bezeichneten Mann in Marokko verbracht. Eine homosexuelle Beziehung steht im Raum.

Während in der Tragödie Jason die Tochter des Königs Kreon heiraten will und Kreon daraufhin die sich dagegen wehrende Medea des Landes verweist und ihr verbietet die Kinder mitzunehmen, ist es im realen Fall eine von ihrem Mann im Stich gelassene Mutter, die von der Situation überfordert ihren 5 Kindern mit einem Küchenmesser die Kehle durchschneidet. Das Stück rekonstruiert diese Tat bis ins Detail, wobei eine der KinderdarstellerInnen die anderen fünf nacheinander ins Haus lockt und ihnen dort mit einem Theatermesser zu Leibe geht, bis das Theaterblut spritzt. Diese sehr emotionsgeladenen Bilder werden durch die Nahaufnahmen der Live-Kamera noch verstärkt.

Reflektierend ist in den Gesprächen auf der Bühne viel über Liebe, Rache, Einsamkeit und Schicksal die Rede. Liebe und Leid, Zweisamkeit und Trennung stehen im Drama und wirklichen Leben dicht beieinander. Der Song Two Birds on a Wire von der US-amerikanischen Popsängerin Regina Spektor durchzieht die Handlung wie ein etwas tröstlicher Verweis darauf. „Alle guten Geschichten enden mit Schrecken und Tod“, sagt eines der Kinder und zitiert etwas altklug Beckett. Ob solche Taten dadurch verständlicher werden, lässt das Stück weitestgehend offen. Dazu bräuchte es etwas mehr an sozialem Hintergrund. Gerade das Thema Gewalt (nicht nur häusliche) und Gesellschaft böten da einiges.

Bewertung:    



Medea´s Kinderen von Milo Rau | (C) Michiel Devijver


*

Gewalt ist auch eines der Themen des Gastspiels vom Abbey Theatre aus Dublin. Der irische Dramatiker Enda Walsh ist kein Unbekannter an der Schaubühne Berlin. Thomas Ostermeier übernahm zum Beginn seiner Intendanz seine 1998 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg herausgekommene deutsche Erstaufführung von Disco Pigs ans Haus am Lehniner Platz. Auch die deutsche Erstaufführung von Misterman fand 2000 in der Schaubühne statt. Danach ist es etwas ruhiger um Enda Walsh geworden. 2015 feierte er einen großen Erfolg mit dem David-Bowie-Musical Lazarus, das auch in Deutschland von Theatern in Hamburg, Leipzig und Düsseldorf auf den Spielplan gesetzt wurde. Mit Safe House hat Walsh nun ein Solo-Stück mit Musik der aus Galway stammenden Komponistin Anna Mullarkey produziert und auch die Regie dazu geführt.

Die von Walsh geschriebenen Songtexte werden von der Schauspielerin Kate Gilmore vorgetragen. Sie spielt Grace, eine junge Frau aus Galway in den 1990er Jahren, die sich in einer leerstehenden Handballhalle eingerichtet hat. Die Bühne von Katie Davenport ist auf einem schmalen Streifen vor einer angedeuteten Brandwand mit diversen Möbeln und Kleidersäcken vollgestellt. Wie Grace hierhergekommen ist, erfährt man im Gastspiel am Globe der Schaubühne nicht. In Versatzstücken aus Videofilmen, Szenen aus Fernsehsendungen und kurzen Ansagen auf einem Anrufbeantworter muss sich das Publikum die Geschichte von Grace‘ Vergangenheit zusammenreimen. Eine schwierige Kindheit flimmert in Szenen von Geburtstagsfeiern und Erinnerungen an die irisch sprechende Tante auf dem Land über die Rückwand der Bühne. Eine toxische Beziehung ist ebenfalls im Spiel.

Der Ausbruchsversuch der jungen Frau in die Stadt endet wieder in der Heimat. Ihr Trauma bekämpft Grace mit Wein aus dem Plastikpack. Kate Gilmore tigert über die Bühne, klettert an den Möbeln und legt sich zum Schlafen in eine Kühltruhe. Sie wechselt öfter die Kostüme und träumt sich im Prinzessinnenkleid in eine bessere Zeit. Die recht poetischen Songtexte handeln u.a. vom blauen Meer als Hoffnungsort. Die Synthie-Pop-Balladen von Walsh und Mullarkey wollen der an der Welt verzweifelten Frau ihre Würde auf der Show-Bühne zurückgegeben, schrammen aber knapp an Sentimentalität und Kitsch vorbei. Das kann auch die tolle Stimme von Kate Gilmore nicht retten.

Bewertung:    



Safe House von Enda Walsh und Anna Mullarkey | (C) Ste Murray

Stefan Bock – 8. April 2025
ID 15221
FIND 2025 (Schaubühne Berlin, 04.04.2025)

Medea´s Kinderen
von Milo Rau

Konzept und Regie: Milo Rau
Text: Milo Rau, Kaatje De Geest & Ensemble
Bühne: ruimtevaarders
Kostüme: Jo De Visscher
Video: Moritz von Dungern
Dramaturgie: Kaatje De Geest
Licht: Dennis Diels
Mit: Peter Seynaeve, Lien Wildemeersch, Jade Versluys, Bernice Van Walleghem, Gabriël El Houari , Aiko Benaouisse, Emma Van de Casteele, Ella Brennan, Sanne De Waele , Helena Van de Casteele, Anna Matthys , Juliette Debackere, Vik Neirinck und Elias Maess
Ein Gastspiel des NTGent im Rahmen von FIND 2025

Safe House
von Enda Walsh und Anna Mullarkey

Regie: Enda Walsh
Komposition: Anna Mullarkey
Songtexte: Enda Walsh
Kostüme und Bühne: Katie Davenport
Licht: Adam Silverman
Video: Jack Phelan
Sound: Helen Atkinson
Maske: Tee Elliott
Mit: Kate Gilmore
Eine Produktion des Abbey Theatre

Weitere Infos siehe auch: https://www.schaubuehne.de


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