Über BRUNHILD - der
Geschichte der Nibelungen
aus der Sicht einer
Betroffenen
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Bewertung:
Uta Hertnick und ihr offenes Musiktheater-Ensemble Lyriden*18 - die Lyriden wären übrigens, lt. Peter Rühmkorf, "Sternschnuppen aus dem Bild der Lyra, die sich der Vergesellschaftung im lyrischen Gedicht entgegensehnen" - hatten sich mit BRUNHILD als Projekt befasst und untertitelten es als Geschichte der Nibelungen aus der Sicht einer Betroffenen.
Exkurs:
"Brunhild, isländische Königin, wehrhaft wie eine Amazone und dank eines geheimnisvollen Kraftgürtels mit außerordentlicher Körperstärke ausgestattet, verteidigt ihre Jungfräulichkeit mit der uneingeschränkten Maßgabe, dass nur der Mann, der sie im Zweikampf besiegt, eine Chance bei ihr hat.
Das aber gelingt schließlich dem saft- und kraftlosen Gunther. Allerdings nur mittels Unterstützung Siegfrieds, der, ausgestattet mit seiner Tarnkappe, Gunther durch die verschiedenen Wettkampfeinheiten – Speerwurf, Steinschleudern, Weitsprung – führte. Nun hatte Gunther zwar gegen die von ihrer Niederlage zerknirschte Brunhild gewonnen, aber nicht damit gerechnet, in der Hochzeitsnacht von seiner Gemahlin gefesselt und an einen Nagel an die Wand gehängt zu werden.
Aus der Traum von einer erfüllten Brautnacht. Brunhild scheint nämlich berechtigte Zweifel an Gunthers Stärke gehabt zu haben, die sich im Anschluss im ehelichen Schlafgemach tatsächlich bestätigt. Gunther hat schlicht die schlechteren Karten.
Als Brunhild, die sich im Grunde genommen ohnehin mehr für Siegfried, als für den tumben Gunther begeistert, wenig später den Schwindel durchschaut, stellt sie sich der geplanten Ermordung Siegfrieds nicht in den Weg. Auch eine Art, sich ganz nebenbei an ihrer Rivalin Kriemhild zu rächen.
Aber Achtung! In einer der diversen Überlieferungen der Sage, soll Brunhild ihr Tun und den in Kauf genommenen Tod ihres heimlichen Geliebten, Siegfried, bitter bereut und Selbstmord begangen haben. Im 2. Teil der Nibelungensage – 'Kriemhilds Rache' – spielt Brunhild keine Rolle mehr."
(Manfred Zorn auf navigator-allgemeinwissen.de)
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Gewitzt verkürzt [s.o.]
Ja und wie kriegten das unsere zehn Akteurinnen sowie Akteure während der zwei Stunden, die wir ihnen heute Abend zuhörten und zusahen, BRUNHILD-mäßig dann auf die Reihe? Halt durch eine abermalige Verkürzung - gut, sie nannten's "Überschreibung" - , und, in Teilen jedenfalls, nicht weniger gewitzt.
Als Witzigster von allen tat sich allerdings dann Jacob Keller, und zwar gleich von Anfang an, entpuppen; zu Beginn nahm er nämlich Kontakt zu uns Premierengästen auf, indem er die Performance sozusagen conferencierte, also kurz und knapp erläuterte, worum es in der umständlichen Nibelungen-Scheiße eigentlich so geht, ja und das kam dann schon mal sehr gut bei uns an. Aber auch als der große Jammerlappen Gunther, der sich ja bekanntermaßen seine Hochzeitsnacht mit der besagten isländischen Walküre vom Helden Siegfried (der vom gut ausschauenden und exzellent durchmuskelten Falk Philippe Pognan schlicht verkörpert wurde) vor- und zubereiten ließ, wollte er sich nicht lumpen lassen.
In das so genannte Heutige oder Moderne zielte die Performance dahingehend, dass sie eine sich nicht nur mit Gender-Gaga sondern auch mit Tiefen- und Familienpsychologischem auskennende Hilfstherapeutin (also Doktorantin) installierte, die von Anja Kunzmann überspitzt und übertrieben vorgeführt wurde - zum Schluss initiierte sie eine Familienaufstellung mit Gunther & Brunhild auf der einen sowie Siegfried & Kriemhild (Renée Johanna Stulz) auf der anderen Seite, und dazwischen in gewisser Lauer- und Erwartungshaltung: Hagen, der zu guter Letzt aber nicht etwa "seinen" Siegfriedmord beging, sondern lieber als Ute, wie er nämlich früher mal (vor der Geschlechtsumwandlung) höchstwahrscheinlich hieß, bezeichnet und auch wahrgenommen werden wollte; Katrin Schönemark beeindruckte sehr stark in dieser hoch interessanten Doppelrolle!!
Und Anthea Heyner, die ein paar ihrer Brunhild'schen Monologe entweder auf Isländisch oder auf Althochdeutsch vortrug, verblüffte auch mit viel, viel Tai Chi, was sie hochprofessionell zu zeigen in der Lage war!
Die Komponistin Olga Riazantceva-Schwarz beisteuerte sehr schöne Klangteppichstrukturen - stellenweise fast schon an der Grenze zum Musikfilmkitsch - , und Fadwa Qamhia (am Kontrabass), Janis Marquard (am Cello), Richard Schwarz (an der Querflöte) sowie Elias Aboud (am Schlagzeug) führten sie dann aus.
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Alles in allem:
"Überschreiben" heißt nicht immer überzeugen, und je länger dieser Abend sich so hinzerrte, um so banaler und auch nichtssagender wirkte sein arg her bemühter Text - - zumindest halt auf mich.
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Anthea Heyner als BRUNHILD | Foto (C) Maria Vaorin
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Andre Sokolowski - 2. Juni 2022 ID 13653
BRUNHILD (Theater im Delphi, 02.06.2022)
Regie und Text: Uta Hertneck
Komposition und musikalische Leitung: Olga Riazantceva-Schwarz
Kostümbild: Susanne Weiske
Licht: Jennifer Kirchhoff und Christian Meerstedt
Dramaturgie & Text: Marcus Hertneck
Besetzung:
Brunhild ... Anthea Heyner
Psychologin ... Anja Kunzmann
Siegfried ... Falk Philippe Pognan
Gunther ... Jacob Keller
Königin Ute / Hagen ... Katrin Schönermark
Kriemhild ... Renée Stulz
Musikerinnen und Musiker: Elias Aboud (Schlagzeug), Fadwa Qamhia (Kontrabass), Janis Marquard (Cello) und Richard Schwarz (Querflöte)
Berliner Premiere war am 2. Juni 2022.
Weitere Berlin-Termine: 03.-05.05.2022
Eine Produktion des Musiktheaterensembles LYRIDEN*18 in Zusammenarbeit mit der hertneck & hertneck Theaterproduktion GbR
Weitere Infos siehe auch: https://www.lyriden18.de/
http://www.andre-sokolowski.de
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