Sündhaftes
in Moll
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Theater 1000 Hertz: SALIGIA. Todsünden revisited | Foto (C) Marlene Mondorf
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Bewertung:
SALIGIA – das Wort ist ein mittelalterliches Akronym, gebildet aus den Anfangsbuchstaben der lateinischen Bezeichnungen für die Sieben Todsünden. Die da wären: Hochmut, Habgier, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Trägheit.
Vier Frauen in einem Kirchenraum. Vor einer bunt ausmosaizierten, in immer neuen Farben beleuchteten Apsis lotet das Ensemble um Leiterin Christina Vayhinger die Sünden aus – spielerisch, tänzerisch und gesanglich. Kaum Requisiten. Dieser Abend lebt vom Wort und vom Licht, von der Musik und von der Bewegung. Keine durchgängige Handlung, sondern eine Collage – einzelne Szenen, die nebeneinanderstehen und ineinander übergehen. Was durchaus stimmig ist, denn eines wird schnell klar: Auch die sogenannten Todsünden stehen nicht für sich allein. Sie be- und durchdringen einander, vermischen sich und gebähren einander: Habgier führt zu Hochmut oder auch zu Zorn – und zwar nicht nur zum neidischen Zorn auf den Nachbarn, sondern auch zum gefährlich hochmütigen Zorn der Terroristin auf die Habgier der Mächtigen.
Christina Vayhinger und ihre drei Mitsünderinnen arbeiten mit starken Motiven und Motivationen: Um die Hybris und den Hochmut des Menschen gegenüber der Natur zu verdeutlichen, zieht sich der Bericht einer Titanic-Überlebenden wie eine Girlande durch die Inszenierung. Von der Kanzel herab werden Philosophen zitiert, und um Kapitalismuskritik geht es gleich in mehreren Szenen. Das ist sehr erhellend, gedanklich spannend, überhaupt nicht langweilig und dramaturgisch innovativ. Doch es wirkt eben oft auch didaktisch, getragen, nachdenklich und melancholisch. Der Blick auf die Sünden, die ja im Grunde nur Gemütszustände und Charaktereigenschaften sind, an denen wir Menschen uns zeitlebens abarbeiten, bleibt allzu sehr auf das Problematische fixiert. Wo sind die fröhlichen Zecher, die süßen Sünden, die Freuden des Nichtstuns? Dieses Stück will eine moralische Botschaft vermitteln, und das tut es auch, nur bleibt diese ein bisschen blutleer.
Wollust, Zorn, Völlerei – was hätte man aus diesen saftigen Themen theatralisch alles machen können! Doch vieles bleibt nur angedeutet. Spannend wird es zum Beispiel, wenn ein langer goldener Schal sich hüftgoldartig um die Figuren legt, wenn bei schamlosem Gegurre, Geschmatze und Gestöhne (exzellent: Elke Bartholomäus) unklar bleibt, ob es hierbei um Wollust oder um Völlerei geht, oder wenn bei einem Tanz in der Apsis (Claudia Braubach) die Balance gesucht wird zwischen kämpferischer Selbstbeherrschung und lustvoller Entgrenzung. Von solch starken Bildern hätte man gern mehr gesehen auf dieser Bühne in einer Kirche, und von der ewigen Ambivalenz des Menschlich-Allzumenschlichen hätte man gern etwas mehr erfahren.
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Theater 1000 Hertz: SALIGIA. Todsünden revisited | Foto (C) Marlene Mondorf
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Holger Möhlmann - 29. Juli 2023 ID 14312
SALIGIA. Todsünden revisited (Friedenskirche Köln-Ehrenfeld, 28.07.2023)
Von unf mit: Elke Bartholomäus, Claudia Braubach, Alice Charlotte Janeczek und Christina Vayhinger
Inszenierung: Ensemble
Künstlerische Leitung: Christina Vayhinger
Dramaturgie: Sandra Nuy
Ausstattung: Vanessa Laumann
Lichtdesign: Raphael Heym
Produktionsassistenz: Henrike Kirsch
Premiere war am 28. Juli 2023.
Weitere Termine: 30.07./ 03.-05.08.2023
Eine Produktion von Theater 1000 Hertz
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater1000hertz.de/
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