Theater-
theoretischer
Text
DER SCHNITTCHENKAUF von René Pollesch in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
|
Foto (C) Apollonia T. Bitzan
|
Bewertung:
Auch ein Jahr nach René Polleschs plötzlichem Tod, der eine große Lücke in der deutschen Theaterlandschaft hinterlassen hat, kommt die Volksbühne nicht zur Ruhe. Die Nachfolge der vakanten Intendanz am Haus am Rosa-Luxemburg-Platz ist nicht geklärt. Die überraschend für die Interimsleitung vorgesehenen Vegard Vinge und Ida Müller haben kurz nach Bekanntwerden der Kürzungen im Kulturhaushalt Berlins abgesagt, und auch sonst scheint der Kultursenator Joe Chialo nicht viel Wert auf Transparenz bei der Intendanzfindung zu legen. Die Informationen fließen spärlich, die Spekulationen über bestimmte Namen aus der Theaterbranche überschlagen sich dagegen.
Nichtsdestotrotz kam im letzten Jahr zwei Wochen vor Weihnachten ein älterer Prosatext von René Pollesch mit dem Titel Der Schnittchenkauf an der Volksbühne zur Aufführung. Entstanden ist dieser Text anlässlich der Ausstellung René Pollesch: Der Dialog ist ein unverständlicher Klassiker, die vom 16. Dezember 2011 bis 4. Februar 2012 in der Berliner Galerie Buchholz stattfand. Also ganze 13 Jahre später und ganz ohne den Autor und Regisseur bringt die Volksbühne nun diese theatertheoretische Schrift Polleschs auf die Bühne. Eine Regie ist im Programmzettel nicht angegeben. Die Inszenierung folgt demnach ganz Polleschs Bestreben den Regisseur überflüssig zu machen. Seine Inszenierungen entstanden von jeher in enger Zusammenarbeit mit dem Aufführungsensemble, das die Texte des Autors als Spielangebot nahm und in den Proben weiterentwickelte. In diesem Fall sind das Kathrin Angerer, Franz Beil, Milan Peschel und Martin Wuttke aus der angestammten Volksbühnen-Familie sowie Rosa Lembeck, seit 2021 im Ensemble. Eine typische Gemeinschaftsarbeit also, denn auch am vorliegenden Text, der sich auf Bertolt Brechts theatertheoretisches Fragment Der Messingkauf bezieht, haben mehrere Menschen aus dem Pollesch-Kosmos mitgewirkt.
Der Messingkauf ist ein in den Jahren 1937-1951 entstandenes Theoriewerk, in dem sich Brecht in Dialogform (Philosoph, Schauspieler/in, Dramaturg und Beleuchter) mit neuen Theaterformen (Einfühlung, V-Effekt etc.) auseinandersetzt. Das scheint Pollesch, dessen Stücke ja ähnlich diskursiv um philosophische Theorien und Formen des Theatermachens kreisen, zu seinem Text inspiriert zu haben. Die Grundfrage ist ja immer, was man heute eigentlich noch erwartet, wenn man ins Theater geht. Bei Brecht ist es ein Philosoph, der ins Theater wie ein Messingkäufer zu einer Blaskapelle kommt und schaut, was ihm die Trompete bringt. Geht es nur um das bloße Material oder den Wert, den das Instrument hat? Das ist vor allem die Frage vom Sinn und Mehrwert der Kunst, die Pollesch auch schon immer diskursiv umkreist hat. Hier wird sie in einem anderen, wesentlich lustigeren Bericht dargelegt, den Franz Beil im Rattenkostüm mit langem Schwanz (Kostüme: Tabea Braun) hält. Ihm geht es um Schnittchen, die er sich im Theater erhofft. Aber er ist nur in eine begehbare Theaterinstallation geraten. Die Lösung wäre vielleicht, dem Publikum die Illusion zu nehmen, irgendetwas zu erwarten, oder es schlicht ganz abzuschaffen, da es im Grunde ja auch nicht da ist, zumindest nicht, um dem zu folgen, „was die Theaterkünstler dort hergestellt haben“.
Allein dieser Auftritt zu Beginn würde im Grunde reichen, den ganzen Abend schlüssig zu erklären. Beil ist ein wenig wie der Philosoph, der nach der Illusion im Theater sucht und hat dabei doch nur eine „desinteressierte Schulklasse im Blick, die vor uns sitzt und die sich die Decke des Theaters ansieht“. Und so geht es lustig weiter mit den Theoriefetzen und Diskursschleifen, wie man es von René Pollesch gewohnt ist. Die anderen vier gesellen sich im Holzlattenbühnenbild von Leonard Neumann in zusammengewürfelten Safari-Kostümen hinzu. Ein wenig wirkt das vor chinesischem Tuschebild-Hintergrund, wie eine ostasiatische Teelaube mit niedrigem Tischchen in der Mitte. Die vierte Wand ist aus durchsichtigem Plexiglas, an dem man sich die Nase plattdrücken kann. Auf eine Leinwand darüber werden die Szenen auf der Hinterbühne via Live-Kamera projiziert.
Pollesch hat seinen Text aus mehreren Paragraphen aufgebaut. Ähnlich wie bei Brecht, werden da Typen der Dramatik durchgehechelt. Pollesch verbindet Darwin mit Foucault und Donna Haraway, eine seiner Lieblingsphilosophinnen. Es geht um Repräsentation, „die weiße männliche Hete“, den markierten Körper, die Frage der Besetzung nach Gender, die Gier und die Kreativität. Wie Brecht propagiert Pollesch ein Theater in Unordnung. Die Sonnenauf- und -untergangs-Illusion wird bald hochgezogen. Dahinter werden an Biergartentischen die Stullen dick mit Butter beschmiert und mit Schnittlauch bestreut. Die Truppe fährt Fahrrad und Mofa und stellt in einigen Spielszenen, die an irgendwelche Hollywoodklassiker angelehnt sind, mit jeder Menge Türen-Slapstick fest: „Es gibt keinen Sinn, der zwischen zwei Türen liegt.“ Martin Wuttke trägt einen Monolog zur „Endstation Meinung“ vor. Vom Tratsch und Klatsch zum Ende der Geschichte, „aber dieses Ende zieht sich hin“.
Mit großer Lust zum Spiel wird hier nochmal alles zusammengetragen, worum es in Polleschs Theater ging. Es ist jammerschade, dass dieses große Experiment in dieser Form an der Volksbühne nicht weitergehen wird, wie bei Brecht Fragment bleibt. Aber Pollesch hat die deutschsprachige Dramatik und das Theater beeinflusst wie kein anderer. Da ist der Satz vom „Herz, das man ihnen eingepflanzt hat“ fast schon prophetisch. An diesem Abend ist das „Wiederschlagen“ zu spüren. Ganz beendet ist die Ära Pollesch an der Volksbühne noch nicht und mit ja nichts ist ok mit Fabian Hinrichs ist gerade die letzte Arbeit des Autors und Regisseurs zum Berliner THEATERTREFFEN im Mai eingeladen worden.
|
Der Schnittchenkauf von René Pollesch - an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz | Foto (C) Apollonia T. Bitzan
|
Stefan Bock - 28. Januar 2025 ID 15123
DER SCHNITTCHENKAUF (Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 25.01.2025)
von René Pollesch
Bühne: Leonard Neumann
Kostüme: Tabea Braun
Licht: Florian Brückner und Denise Potratz
Live-Kamera: Jan Speckenbach
Dramaturgie: Anna Heesen
Mit: Kathrin Angerer, Franz Beil, Rosa Lembeck, Milan Peschel und Martin Wuttke
Premiere war am 12. Dezember 2024.
Weitere Termine: 09., 24.02.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.volksbuehne.berlin
Post an Stefan Bock
Freie Szene
Neue Stücke
Premieren (an Staats- und Stadttheatern)
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|