Die Karten
werden neu
gemischt
GLAUBE, GELD, KRIEG UND LIEBE von Robert Lepage
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Stephanie Eidt (als Anna von Kahlbach) und Christoph Gawenda (als ihr Ehemann Michael) in Robert Lepages Glaube, Geld, Krieg und Liebe an der Schaubühne Berlin | Foto © Gianmarco Bresadola
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Bewertung:
Spielkarten dienten in Glaube, Geld, Krieg und Liebe als Ressource für universelle Themen. Sie verleihen mit ihrer Symbolik und Farbigkeit Bedeutung und stehen gleichzeitig für eine Absurdität des Zufalls. Wenn es um Zaubertricks, Glücksspiel, Wahrsagerei oder auch den Krieg geht, werden in dem Stück die Bezüge zu Karten sichtbar. Sieben Akteure bewegen sich in verschiedenen Szenerien und Situationen. Zufall und Unsicherheit agieren hier wie an einem Spieltisch. Mal erscheinen Szenen kurzweilig, kraftvoll und heiter, mal ein bisschen langatmig. Stets gibt es neue Chancen oder Hindernisse und existenzielle Fragen. Vier Monitore an der Bühnenrückwand dienen als fahrbare Hintergrundfenster. Sie verleihen dem Bühnenbild Tiefe und erzeugen ein Gefühl von Rhythmus, Dynamik und Vitalität. Auch durch Live-Gesangsbeiträge oder Musikeinspieler wird fesselnd mit verschiedenen Formen des Erzählens experimentiert.
Robert Lepage (kanadischer Autor, Regisseur, Schauspieler, Bühnenbildner und Filmemacher) inszenierte für seine Uraufführung erstmals hierzulande. Er entwickelte gemeinsam mit Ensemblemitgliedern der Schaubühne sein neues Stück Glaube, Geld, Krieg und Liebe. Ausgehend von Farbfamilien, Figuren und Zahlen der Spielkarten Kreuz, Karo, Pik und Herz, entstanden improvisierte Figuren und vier ineinander verwobene Handlungsstränge. Die jeweiligen Karten wurden jeweils den Schwerpunkten Glauben, Geld, Krieg und Liebe zugeordnet. Über einen Zeitraum von etwa 285 Minuten, inklusive zweier Pausen von 20 Minuten, wird eine Geschichte an verschiedenen Orten und mit über sechzig Figuren erzählt, die sich über acht Jahrzehnte erstreckt.
Im ersten Akt „Kreuz/ Glaube“ wird um 1945 ein Baby in einem Nonnenkloster abgegeben, das vor Ort aufwächst. Als erwachsene Frau geht Jeanne Bernard (Alina Vimbai Strähler) nach Paris und etabliert sich dort als ein erfolgreiches Model.
Im zweiten Akt „Karo/ Geld“ entdeckt die wohlhabende Ehefrau und Mutter Anna von Kahlbach (Stephanie Eidt) in Baden-Baden ihre unheilvolle Leidenschaft für das Glücksspiel. Sie setzt einen zu hohen Einsatz und findet sich bald hinter Gittern wieder. Ihr Ehemann Michael (Christoph Gawenda) besucht sie im Gefängnis, zahlt jedoch die Kaution für eine mögliche Freilassung nicht.
Im dritten Akt „Pik/ Krieg“ leidet der Soldat Matthias (Christoph Gawenda), Sohn von Anna und Michael, unter einer posttraumatischer Belastungsstörung. Er trauert in Therapiesitzungen seinem treuen Diensthund hinterher, den er bei einem Einsatz in Afghanistan verlor. Auch erinnert sich Matthias an den Hundeführer Jasko Marovic (Damir Avdic).
Im vierten und letzten Akt „Herz/ Liebe“ möchte sich ein schwules Paar, Jasko Marovic, nun Künstler, und sein Partner, der Lehrer Christian (Bastian Reiber), einen Kinderwunsch mit Hilfe einer Leihmutter erfüllen. Leihmutterschafts-Agentin Sarah (Stephanie Eidt) vermittelt sie an die Ukrainerin Nadia (Magdalena Lermer). Die Vorbereitungen gestalten sich als schwierig, insbesondere da Petro (Stefan Stern), der Ehemann der Leihmutter, sich von den werdenden Vätern unter anderem als Raucher gegängelt fühlt. Ein noch größeres Chaos entsteht, als das Kind kurz vor Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine geboren wird. Die Weltgeschichte durchkreuzt spätestens nun entscheidend die Pläne der Figuren.
Die Handlung zersplittert über die unterschiedlich angelegten Akte etwas. Figuren tauchen im Folgeakt teils wieder auf, ohne dabei einem Muster zu folgen. Es gibt momenthafte Situationskomik, etwa wenn menschliche Intuition offensichtlich fehlgeleitet ist. So kann ein Seelsorger den getöteten Spürhund des verwundeten Soldaten Matthias nicht auf dessen Wunsch segnen, da der Hund in der Armee als Bestandteil der Ausrüstung und somit als Ding betrachtet wird. Juju spendet ihrem Ex-Mann Christian, der mit seinem Partner Jasko ein Kind kriegen möchte, ihre Eizelle. Er erklärt ihr, dass sie nicht die Mutter sein wird, da Eizelle und Sperma nur während der Prozedur als Baumaterial dienen.
Während wir in einer Szene geduldig mit einem Zauberer auf ein mögliches Gelingen seines Tricks warten, begegnen wir in der darauffolgenden Szene einem Paar in Momenten unmittelbarer Intimität und Streitlust. Der Duktus erscheint dabei dynamisch. Die insbesondere am Ende stark im Hier und Jetzt verankerte Szenerie wird durch die leicht variierte Wiederholung einer anfangs gesetzten Schlüsselszene gerahmt. Heitere Szenen voller Situationskomik wechseln mit dramatischen Szenen, in denen sich ein tragisches Zerwürfnis zuspitzt. In Erinnerung bleiben die starken Leistungen der wandelbaren Akteure. Als besonders bemerkenswert sticht Stephanie Eidts komisches Talent hervor, wenn sie geheimnisvoll-ambivalente oder respekteinflößende Figuren verkörpert. Doch auch die zwischen besonnener Gelassenheit, Mut und sichtlicher Aufgebrachtheit changierenden Figuren Alina Vimbai Strählers bleiben in Erinnerung.
Der fünfstündige Theaterabend über wild gewürfelte Schicksale und charismatische oder auch resignierte Figuren lässt einem die eigene Begrenztheit und Endlichkeit angesichts der Rätselhaftigkeit und Größe möglicher Willkür im Weltgeschehen bewusst werden.
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Bastian Reiber (als Christian), Damir Avdic (als sein Partner Jasko Marovic) und Alina Vimbai Strähler (als Eizellspenderin Juju Köhler) in Glaube, Geld, Krieg und Liebe von Robert Lepage an der Schaubühne Berlin | Foto © Gianmarco Bresadola
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n. k. - 30. November 2024 ID 15034
GLAUBE, GELD, KRIEG UND LIEBE (Schaubühne am Lehniner Platz, 25.11.2024)
von Robert Lepage und Ensemble, in einer Übersetzung von Uli Menke
Regie: Robert Lepage
Bühne: Robert Lepage und Ulla Willis
Kostüme: Vanessa Sampaio Borgmann
Video: Félix Fradet-Faguy
Sound: Stefan Pinkernell
Dramaturgie: Nils Haarmann
Licht: Erich Schneider
Mit: Damir Avdic, Stephanie Eidt, Christoph Gawenda, Magdalena Lermer, Bastian Reiber, Stefan Stern und Alina Vimbai Strähler
UA war am 3. Oktober 2024.
Weitere Termine: 25., 26., 27.12.2024/ 10., 11., 12.01.2025
Weitere Infos siehe auch: https://www.schaubuehne.de
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