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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

In Maja Zades von ihr selbst an der

Schaubühne uraufgeführtem Solo-Stück

spinne performt Caroline Peters das

Treffen einer Frau mit hrem nach rechts

abgedrifteten Jugendfreund

Bewertung:    



Die Schaubühne am Lehniner Platz hatte letztes Jahr einen Run mit neuen Stücken. Zwei davon wurden im Mai zum Berliner THEATERTREFFEN eingeladen. Eins davon der bemerkenswerte autofiktionale Monolog The Silence von Falk Richter mit dem Schauspieler Dmitrij Schad. Nun legt Schaubühnendramaturgin und Autorin Maja Zade mit einem weiteren Monolog nach. Ihr neues Stück heißt spinne und ist unter der Eigenregie Zades mit der großartigen Caroline Peters besetzt. Spielerisch wird man an diesem Abend von Peters auch keineswegs enttäuscht. Nicht ganz so das Stück, das sein wichtiges Thema nur dank der Hauptdarstellerin über die 90 Minuten bringt.

Peters spielt die Mittvierzigerin Julia, die sich relativ prekär mit Textübersetzungen über Wasser hält. In ihrer schlecht beheizten Wohnung im Wedding hört sie den Sex ihres Ex-Freunds Marcus mit seiner neuen Beziehung nebenan. Dazu hält eine Nachbarin sie nachts mit lauter Musik wach. Da können einem schon so Gedanken über das eigene Leben kommen, an die Vergangenheit in Bremen mit Schulfreund Krispin zum Beispiel. Der hatte damals noch relativ anarchistisch gegen Lehrer rebelliert und war eine wichtige Bezugsperson für Julia. Nach 15 Jahren möchte sie nun gerne wissen, was aus ihm geworden ist. Und wie man das so macht, recherchiert sie im Internet, dass Kris auch in Berlin wohnt, Anwalt ist und gern mit Frau und Sohn zu einem Nobelitaliener geht.

Caroline Peters muss nun im Alleingang das nicht ganz zufällige Treffen Julias mit ihrem Jugend-Freund Kris im teuren Charlottenburger Restaurant am heimischen Küchentisch nachspielen, was die Peters zur Glanznummer macht, auch wenn man inhaltlich nicht gerade überrascht wird. Zwanzig Jahre können Menschen schon verändern, wer hätte das gedacht. Manchmal auch in das komplette Gegenteil, der eigenen Erinnerung, die Caroline Peters in einem Vorspiel aus dem Off nochmal Revue passieren lässt. Die Anerkennung ihres Freundes war ihr schon damals wichtig. Auch wenn sich das im Nachhinein doch etwas merkwürdig anhört, was da über ein Kindheitserlebnis der beiden zu hören ist. Und doch ist da im Restaurant gleich wieder diese Vertrautheit von früher. Bei Bier und Wein kommen die beiden langsam ins Reden. Kris ist ein vermögender Rechtsanwalt, der vorgibt, das politische System auszunutzen, AfD-Politiker vertritt und selbst einen ziemlichen Rechtsdrall hat.

Seine Frau Christiane, Karikatur einer Kudamm-Edel-Shopperin, die das Geld ihres Mannes unter die Leute bringt, kommt hinzu und hat den verzogenen Teenager-Sohn beider im Schlepptau. Die beiden Frauen gehen auch gleich in den Clinch. Es geht um die Rolle als Mutter und die Möglichkeiten für Frauen Karriere zu machen. Da gehen die Auffassungen der beiden Kontrahentinnen, so nimmt es zumindest Julia war, doch weit auseinander. Dass Kris zu einem relativer Kotzbrocken mutiert ist, der seine Frau für eine Affäre mit einem Rechtsanwaltskollegen mit Nichtachtung straft, macht Julia langsam stutzig. Fassungslos macht sie seine Aussage, dass er vom System, das angeblich Ausländer und Frauen bevorzugt, an seiner Karriere gehindert wurde. Bis dahin ist das nacherzählte Gespräch ein reines Mimikspiel Julias am heimischen Küchentisch, der sich nach und nach zum eingedeckten Restauranttisch wandelt. Mit einer großen Pizza, die später noch an die geflieste Wand fliegen wird.


spinne ist ein Monolog über die Schwierigkeit, trotz politischer Konflikte und unterschiedlicher Lebensentwürfe wirklich miteinander zu reden.“


So [s.o.] steht es zumindest im Ankündigungstext der Uraufführung.

Dass Caroline Peters dieses, wen wundert’s, schiefgegangene Gespräch beim Italiener nun entsprechend vollblut-komödiantisch in der Weddinger Altbauküche Julias (Bühne und Kostüme: Nina Wetzel) allein reenacten muss, ist zwar einerseits nicht schlecht gedacht, besitzt aber auch die Tücke, dass dem Publikum nur die Sichtweise einer, der vermeintlich politisch richtigen Seite präsentiert wird. Dass diese so ganz klar und richtig nun gerade auch nicht ist und Julia ebenso von Ressentiments und Selbstgerechtigkeit geleitet wird, legt Zade in ihrer Solo-Figur auch an. Da schießt zum Beispiel Julia in ihrer Ablehnung von Kris‘ Frau entschieden zu weit. Caroline Peters schafft es dennoch nicht in Gänze, dem mit einigen bekannten Klischees rechten Denkens beladenen Text und ihrer Figur echtes Leben einzuhauchen. Da möchte man schon mehr als die üblichen Rassismen und misogynen Allgemeinplätze hören. Was das Stück allerdings recht gut vermittelt, ist der Zusammenhang von Herkunft, autoritärer Erziehung und politisch rechter Gesinnung.

Die zusätzlich auf die Küchenrückwand projizierten Videos von titelgebenden Spinnen und anderem Getier spiegeln einerseits das frühe Kindheitstrauma der Protagonistin, lassen aber auch ganz andere Assoziationen aufkommen. Das linksliberale Bürgertum erstarrt in der Angst-Hölle vermeintlicher Machtlosigkeit gegenüber einer diffusen unüberwindbar scheinenden rechten Macht. Das ist hier aber küchenpsychologisch zu kurz gekrabbelt. Dass auch Intelektuelle konservativ denken und rechts wählen, ist nicht neu. Das populistische Gerede vom vernachlässigten Volk trifft überall auf fruchtbaren Boden. Das Desinteresse an jenen Bevölkerungsschichten, die ihr Heil eher in einfachen Antworten suchen und so intellektuell nicht satisfaktionsfähig erscheinen, ist besonders gegenüber Ostdeutschen aus der Provinz groß, was das Erstarken rechter Kräfte nur begünstigt. Davon erzählt das Stück nicht viel, bleibt im engen Kosmos seiner Protagonistin, die im trunkenen Taumel am Ende nur noch erhobene rechte Arme sieht. Eine wirkliche Auseinandersetzung bleibt da nötiger denn je.



Spinne von Maja Zade - in der Schaubühne am Lehniner Platz | Foto (C) Gianmarco Bresadola

Stefan Bock - 22. Juni 2024
ID 14811
SPINNE (Globe, 21.06.2024)
von Maja Zade

Regie: Maja Zade
Bühne und Kostüme: Nina Wetzel
Musik: Nils Ostendorf
Video: Sébastien Dupouey
Dramaturgie: Nils Haarmann
Licht: Erich Schneider
Mit: Caroline Peters
UA an der Schaubühne Berlin: 20. Juni 2024
Weitere Termine: 23., 24., 27., 28., 29.06./ 22., 23., 24., 25.09.2024


Weitere Infos siehe auch: https://www.schaubuehne.de


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